ИМПУЛС БЕЙСБОЛ

Kurzgeschichte zum Thema Musik

von  Koreapeitsche


U.K. Subs sollten in der Trauma spielen. Ich hatte die U.K. Subs noch nie live gesehen, und mir war klar, dass ich zu dem Konzert gehen werde. Sie sollten in der kleinen Halle der Traumfabrik auftreten, wo sonst meist Disco-Events stattfanden. Ich zog meine schwarze Baseballjacke an mit einer russischen Aufschrift auf dem Rücken: ИМПУЛС БЕЙСБОЛ, was auf Englisch so viel heißt wie IMPULSE BASEBALL. Die Jacke hatte mir während meines Studiums eine Grufti-Frau, Tina aus Baden-Würtemberg, geschenkt, deren Eltern in der Nachbarschaft von Jürgen Klinsmann wohnten. Sie war schwer depressiv, da sie ihren Cousin beim Terroranschlag von Lockerby verloren hatte. Und ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich die Jacke als Geschenk annehmen sollte. Doch die Aufschrift in kyrillischen Lettern machte die Jacke zu einem unwiderstehlichem Objekt der Begierde. Inzwischen vermute ich, dass die Jacke sogar Tinas toten Cousin gehört haben könnte.
Ich zog die Jacke nur selten an, da die Knöpfe oben am Kragen recht locker saßen, nicht weil sie nicht festgenäht waren, sondern, weil die Knopflöcher zu breit waren.
Als ich die Konzerthalle betrat, war enttäuschend wenig los. Das hatten die UK Subs nun wirklich nicht verdient, denn sie waren eine der großen Punk-Kult-Bands Ende der 70er und Anfang der 80er und sind es heute immer noch. Ich hatte alle ihre ersten Platten, entweder auf Tape, auf LP oder auf CD. Als Vorband sollte eine Kieler Punkband namens V-Punk spielen, die gerade ihr erstes Album veröffentlicht hatten und in Kiel sehr umstritten waren. Ihnen wurden Kontakte zur Rocker- und Rotlichtszene nachgesagt, speziell zu den Hells Angels, jedoch keine Kontakte zur Punkszene. Weitere Hintergründe kannte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Als ich die Halle betrat, blieb ich links kurz vor der Tanzfläche stehen. Hinter mir, wo heute das Raucherseparee steht, hatten die UK Subs einen Merchstand stehen, vor allem mit T-Shirts, auch mit einem Camouflagen-T-Shirt mit dem gut sichtbaren Bandnamen UK Subs, wie gewohnt im Military Stencil Style. Ich platzierte mich so, dass der Mann am Merchstand die Aufschrift ИМПУЛС БЕЙСБОЛ auf meiner Baseballjacke genau vor Augen hatte und war ganz stolz wegen der Jacke. Jetzt erkannte ich rechts von mir auf einem kleinen Podest vor dem Tresen den Boss des Rockerclubs, der in der Rotlichtszene dominierte. Ich bekam einen Schreck, als ich den Hünen mit seinen langen blonden Haaren und ganz in Leder dort erkannte, der dastand, wie eine Anti-Freiheitsstatue und mich keines Blickes würdigte. Neben ihm standen ein oder zwei seiner Speichellecker. Trotzdem konnte ich mich mit dem Gedanken arrangieren, dass er extra hergekommen war, um die UK Subs zu sehen. Weit gefehlt. Er sollte direkt nach der Vorband radikal den Saal verlassen.
      Ich drehte mich zum Merchstand und bekam einen Riesenschreck. Erst jetzt erkannte ich, dass der Verkäufer hinter dem Tisch Charly Harper war, der Sänger der UK Subs. Ich zuckte zusammen und war ganz klein mit Hut. Wenig später begann die Vorband V-Punk. Sie spielten einen harten uninteressanten Punk, der auch als Heavy Metal hätte durchgehen können, wenn er entsprechende Metal-Soli enthalten hätte. Ich schaute mehrmals zum Rockerpräsi, der wirklich während des ganzen Konzertes mit dem rechten Knie rhythmisch vor und und zurück wippte, als würde er die Rissfestigkeit der Patella testen. Er schien sich zu freuen und kaute währenddessen pausenlos Kaugummi. Während V-Punk ihr Set runterratterten, ohne Ansagen, ohne Stil, ohne Zwischenrufe aus dem Publikum, traute ich mich kurz zum Merch-Stand der UK Subs, hinter dem immer noch Charly Harper stand. Ich schaute mir die Angebote an, traute mich jedoch nicht, den UK Subs Sänger zu grüßen oder anzusprechen. Dafür war der Standesunterschied doch zu groß. Während der Vorband betrug die Anzahl der Besucher in der kleinen Halle gerade mal 20, Tendenz geringfügig steigend. Nachdem V-Punk ihren letzten Song gespielt hatten und direkt danach die Gitarrenkabel abstöpselten, verließ der Rockerboss ohne zu zögern den Ort des Geschehens wie ein Geschäftsmann, der von einem Termin zum nächsten hetzte.
      Zur Überbrückung wurde langsam Punk aus der Konserve hochgefahren. Eine knappe halbe Stunde später betraten die UK Subs die Bühne. Inzwischen hatte sich eine neue Person hinter dem Merch-Stand eingefunden, wahrscheinlich jemand aus dem V-Punk-Spektrum, während in der Halle inzwischen fast 50 Personen eingetrudelt waren. Alle „richtigen“ Punks standen vor der Bühne auf und an der Tanzfläche. Weiter hinten am Tresen standen die Musikfans, die Pseudos, die zwar Punk hörten, sich jedoch nicht auf Punk stylten. Und schon begann das Konzert mit vertrauten Songs aus der Anfangsphase des Punk. Ich hörte alle Smash Hits der Frühphase, von Stranglehold bis C.I.D, stand noch einen Moment beklemmt da wegen des Rockerspektakels zuvor. Irgendwann ging auch ich auf die Tanzfläche und tanzte Disco-Pogo. Das Konzert war geil, die Band poste und hätte ein Zehnfaches an Besuchern verdient gehabt. Die Metallstreben an den Seiten der Tanzfläche nervten, als sollten sie Knochenbrüche verursachen. Dennoch war ich befriedigt, als ich nach dem Ende die kleine Konzerthalle verließ, zum ersten Mal die UK Subs live gesehen zu haben. Doch in den folgenden Wochen und Monaten wurde es krass. Langsam machte das Gerücht die Runde, dass die kieler Band V-Punk rechtsradikal sei und deshalb gemieden werden sollte. Mir ist auch nicht bekannt, dass sie danach noch einmal einen Auftritt hatten, aber ich wohnte zu der Zeit auch nicht in Kiel. Bald wurde die Band offen als Nazi-Band bezeichnet, die sich ausschließlich in Rocker- und Rotlichtkreisen aufhielt, jedoch mit Nazi-Skinheadbands auftrat. Ich unterhielt mich noch mit mehreren Szenekundigen, die den lädierten Ruf von V-Punk bestätigten. Allerdings waren bei deren CD keine Texte dabei, und in den Diskussionen wurden nie Zitate aus den Texten gebracht, die das belegten, zumal der Gesang unartikuliert und deshalb sehr schlecht zu verstehen war. Jedoch war die Empörung über die Band dermaßen groß, dass an den Behauptungen keine Zweifel blieben. Bestätigt wurde deren Ruf Faschos zu sein, als sich herausstellte, dass die Band in Nazi-Clubs auftrat und mit einschlägigen Nazi-Bands kooperierte. Darüber hinaus wurden Nazi-Devotionalien auf Konzerten auf der Bühne getragen. Da tat es mir besonders für die UK Subs leid, denn die Konzertveranstalter hatte sie mit einer Nazi-Band auf die Bühne der Traumfabrik gestellt. Kaputte Welt - was soll das?



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