Geld, Sex, Macht, Liebe in Zeiten der Finanzkrise

Erzählung

von  uwesch

London August 2008 - Flug nach New York 

Am Montag letzter Woche bekam Mike Order direkt von London nach New York zu fliegen. Mabel brachte ihn mit ihrem Audi zum Flughafen Heathrow. Es war ein heißer Abend. Dichter Nieselregen ließ die Lichter der Startbahn diffus erscheinen. Das Wasser traf auf die noch erhitzte Piste und verwandelte sich sofort in dampfenden Nebel. Der Start des Fluges nach New York wurde verschoben. Die Fluggäste wurden in die VIP-Lounge gebeten. Er stellte sein Handgepäck neben den Tisch in der Lounge und ließ sich in den Sessel fallen.
„Was wollen wir trinken?“, fragte er Mabel.

„Schön, dass wir noch etwas Zeit für uns haben“, sagte sie und setzte sich neben ihn.

„Ich bin müde, möchte eine Cola Light.“
Er holte eine Cola Light und einen großen Martini rot von der kleinen Bar.
„Wie lange wirst du in New York bleiben?“, fragte sie und schien erregt und nervös.
„Ich weiß es noch nicht. Was ist denn los, du bist so unruhig?“
„Nichts, nichts ist los.“
„Doch, ich sehe es dir an.“
„Nein, wirklich nichts.“
„Ich weiß, es ist was. Sag´s mir Süße. Du kannst es mir doch sagen.“
„Es ist nichts.“
„Sag´s mir.“
„Ich will nicht. Ich möchte nicht, dass du dir Sorgen machst.“
„Nein, sicher nicht“, antwortete Mike.
„Bist du sicher? Ich sorg´ mich gar nicht. Aber vielleicht du.“
„Nicht, wenn du es nicht willst.“
Langsam war er genervt, denn er kannte Mabel nicht so unsicher. Ihre Augen flackerten unruhig.
„Ich möchte nicht“, sagte sie.
„Sag´ es!“
„Muss ich?“
„Ja!“
„Ich bekomme ein Baby und bin im dritten Monat. Bitte sorge dich nicht. Du musst dich nicht sorgen.“
„Ist in Ordnung“, sagte er. Scheiße dachte er.
„Ist es das wirklich?“
„Natürlich ist es das.“
„Ich habe alles Mögliche versucht, aber es hat nicht geholfen.“
„Ich mache mir keine Sorgen“, log er erneut.
„Soll ich nicht lieber abtreiben? Denk an deine Karriere!“
„Lass uns später darüber reden.“
„Ich hab mir Mühe gegeben kein Baby zu bekommen. Und du darfst dich nicht unglücklich fühlen. Ich sorge mich um dich.“
„Das brauchst du nicht. Mir wird schon etwas einfallen.“
„Aber du sollst dich einfach nicht sorgen! Ich werde das schon schaffen und dir keine Unannehmlichkeiten machen. Ich weiß, dass du jetzt erschrocken bist. Ich sehe das in deinen Augen.“
„Wir werden immer zusammen bleiben“, log er ein drittes Mal, „nur dass ich jetzt für ein paar Wochen fort muss.“
Der Flug nach New York wurde aufgerufen.
Er küsste Mabel auf die Wangen und sagte:

„Ich muss jetzt los. Ich ruf´ dich an, wenn ich in New York bin.“
Mabel weinte.

„Du musst dich nicht sorgen. Ich schaff das.“
Ihr ganzes Gesicht ging in die Brüche.
Mike stand auf und eilte zum Check-In. Beim Warten davor sah er noch, wie sie ihr Gesicht puderte, Lidstrich und Lippen nachzog, aufstand und die VIP-Lounge mit eiligen Schritten verließ. Ihre Pumps verhallten auf dem Marmorboden.
Im Flugzeug ließ er sich in den Sessel der Businessclass fallen und atmete tief durch. Scheiße, ein Baby kann ich überhaupt nicht gebrauchen, dachte er mit Schrecken. Mabel war eine attraktive Frau und immer sehr sexy. Sie hatten viele heiße Stunden wenn er in London weilte. Doch sie wusste nichts von seiner rasanten Freundin Sally in New York.
Als der Airbus Flughöhe erreicht hatte ließ er sich einen Scotch bringen und schlug erst einmal die Financial Times auf um sich abzulenken. Es stand viel über die Finanzkrise, die die Welt erschütterte, in der Zeitung. Vor allem die USA und Europa waren besonders betroffen. Neugierig machte ihn ein kurzer Beitrag über die Ergebnisse einer Studie “Aktienhändler ähneln Psychopathen“. Es wurde die Fragestellung “Warum verzocken Aktienhändler bisweilen Milliarden?“ behandelt. Untersucht wurden Kooperationsbereitschaft und Egoismus von 28 Profitradern. Im Ergebnis verhielten sich die Händler noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen, die die gleiche Computersimulation durchspielen musste. Insgesamt erzielten die Banker nicht mehr Gewinn als die Vergleichsgruppe. Statt sachlich und nüchtern auf den höchsten Profit hinzuarbeiten, ging es den Händlern vor allem darum, mehr zu bekommen als ihre Gegenspieler. Und sie brachten viel Energie auf diese zu schädigen.
Er dachte, dass da wohl sehr viel von stimmt und fragte sich, ob er auch so ein Mensch mit psychopathischer Struktur ist. Dann verschlief er den größten Teil des Fluges über den Atlantik.

New York August 2008 – Landung und Begrüßung von Sally in New York
 

Die Durchsage, dass wir uns anschnallen und die Sitze hoch stellen sollten, weckte mich aus einem unangenehmen Traum. Darin schrie ein Baby und wollte überhaupt nicht mehr damit aufhören. Der Airbus schwebte dem La Guardia-Airport New York, Ortszeit 22.30 Uhr, entgegen. Die Lichter Manhattans leuchteten in der Ferne und spiegelten sich auf den nassen Tragflächen. Regenschwaden rissen am hinteren Ende der Tragflächen ab. Die Stewardess teilte uns über das Bordmikrofon mit, dass ein Gewittersturm vor einer Stunde über New York hinweggefegt war. Das Flugzeug musste das auf den Atlantik abgezogene Gewitter umfliegen und hatte deshalb weitere 20 Minuten Verspätung.
In der Ferne konnte ich das glitzernde Manhattan durch den Regenschleier nur erahnen. Schade, denn ich liebte einen freien Blick in einer klaren Nacht auf das Lichtermeer des Wolkenkratzerensembles.
Am Ausgang des Anflugterminals stand Sally und winkte mir schon von weitem zu. Sally ist die amerikanische Form von Sarah und bedeutet so viel wie “die Fürstin“. Ich bin ihr in gewisser Weise hörig geworden, kann mich ihr gerne mal unterordnen. Es regnete immer noch Bindfäden. Wir fielen uns in die Arme und küssten uns leidenschaftlich. Ohne viele Worte eilten wir dann Arm in Arm unter ihrem großen Schirm zum Auto. Sie war mit ihrem neuen maseratiroten Porsche gekommen. Das Wasser platterte lärmend vom Himmel auf das Blech und troff in große Pfützen, die sich über das ganze Parkdeck ausgebreitet hatten. Wie eine Flut bei aufsteigender Tide. Die Kanalisation schaffte es nicht mehr das Nass in den Hudson-River zu leiten.
Sally fiel gern auf und wollte beachtet werden. Deshalb der neue Porsche-Carrera. Ich würde sie nicht als besonders hübsch bezeichnen. Ein hervorstechendes Kinn, eine etwas spitze Adlernase, zu große Ohren und einige, allerdings jetzt überschminkte Sommersprossen bestimmten ihr auffälliges Gesicht. Ihre ungewöhnlich grünschimmernden Augen machten sie geheimnisvoll und sehr verführerisch. Man könnte sagen, eine dynamische und durchsetzungsfähige Physiognomie mit offenen Fragen. Sie war nicht groß, aber schlank und geschmeidig im Körper. Sie hatte verhältnismäßig wohlproportionierte Brüste, die mir sehr gefielen, außerdem sehr hübsche Beine. Ihr brünetter Kurzhaarschnitt entsprach der Mode und wurde alle vier Wochen von einem Starfriseur gestaltet. Ihr Gesamteindruck stimmte für mich immer mehr nachdem ich sie in den letzten zwei Jahren besser kennengelernt hatte.
Sally warf ihren nassen Regenmantel auf den Rücksitz des Autos. Wir stiegen ein. Sie startete den Motor und den CD-Player. Der Beatle-Song Hey Jude, eines unserer Lieblingslieder, erklang. Sie warf mir einen Blick zu, der ein zögerndes Innehalten entstehen ließ. Die Musik füllte unser Schweigen. Dann legte sie ohne Worte ihre feingliedrigen Hände in Rallyfahrermanier, wie Viertel vor Drei einer Analoguhr, auf das Lenkrad und befreite den röhrenden Porsche aus der Lücke des riesigen Parkplatzes. Sie hielt die Lippen konzentriert zusammen und atmete nur durch die Nase, um sich bei der schlechten Sicht auf den dichten Verkehr zu konzentrierten. Auf der Brooklyn Queens Expy konnte sie dann zügig Gas geben, so dass das Auto eine glitzernde Wasserfontäne hinterließ, wie eine Rennjacht bei Windstärke Acht auf dem Hudson-River.
Wenn ich zu ihr hinüberschaute, konnte ich am Rand des Ausschnitts ihrer knappen Bluse die Ränder ihres pinken BHs sehen. Ich stellte mir darunter ihre weichen Brüste vor, und dann zwei harte Brustwarzen mit großen braunen Höfen zwischen meinen Fingern. Und natürlich bekam ich eine Erektion. Ich staunte immer wieder, wie ein Teil meines Körpers so schnell so hart werden konnte. Sally betätigte den Schaltknüppel mit sanfter, aber bestimmter Hand, um immer im optimalen Gang zu fahren. Wenn ihre rechte Hand den Knüppel umschloss, stellte ich mir vor, dass dieser mein Penis ist, und ich auf der Überholspur mit Karacho in den siebten Himmel fahre. Oh wie kitschig, aber schön!
Schweigend schaute ich auf ihre Brüste. Langsam hoben und senkten sie sich beim Atmen, wie die Wellen bei mäßigem Wind auf dem Meer. Sally bemerkte wohl meinen lüsternen Blick, lächelte still vor sich hin und beschleunigte den Porsche auf jetzt immer freierer Straße. Sie sagte nichts. Ich schwieg ebenfalls. Wir liebten es Stimmungen nicht durch Worte zu zerstören. Ich legte meine linke Hand sanft auf ihren Schenkel. Ein Lächeln unterbrach kurz ihre hohe Konzentration auf den Verkehr.


Heißes Meeting in Sally`s Appartement 

Nach dem Betreten ihrer Wohnung riss sie mir voller Ungeduld noch in der Diele die Klamotten vom Leib. Es war offensichtlich, dass sie mich sofort wollte, was mir fundamental entgegenkam. Wir entkleideten uns blitzschnell und warfen uns auf ihr mit Seide bespanntes Bett. Mein Penis stand nach kurzer Zeit, schief wie der Turm zu Pisa, als wenn er sich vor Sally noch etwas verneigen wollte bevor er aktiv werden würde.
Sally lachte und hauchte mir ins Ohr:

„Bitte, bitte warte etwas. Ich möchte, dass du mir den G-Punkt machst.“
Sie war die erste Frau, die ich kannte und das wollte. Ich wusste inzwischen aus meinen Beziehungen zu Frauen, dass Sex bei ihnen schnell dahinfließen, aber auch als schmales Rinnsal versickern kann. Sally wollte meistens etwas mehr Raffinesse beim Sex, doch vom G-Punkt hatte ich noch nie etwas gehört. Heute war ich mehr für die schnelle explodierende Nummer. Sally aber sagte:
„Ich möchte nach so langer Trennungszeit, dass mein Orgasmus sich großflächig über alle Körperregionen ausbreiten kann. Wie ein kleiner See im schillernden Mondlicht. In Ufernähe gibt es dann seichte Stellen, die zur Mitte des Sees in geheimnisvolle dunkle Tiefen abfallen; dort wo der G-Punkt liegt.“
Sally bekam trotz ihrer Härte im Business manchmal ihre romantische Ader, hatte vermutlich eines dieser Bücher über raffinierten Sex gelesen, die jetzt immer mehr grassierten. Vielleicht hatte sie auch deshalb die CD “ambient 1 – music for airports“ von Brian Eno aufgelegt - eine sanfte Musik zum Abheben und Auf-den-Wolken-Schweben. Aber was wollte sie konkret?
Einen langen Moment später hauchte sie in die Melodie hinein:

„Bitte Mike, streichle meinen G-Punkt.“
Ich wollte mir keine Blöße geben und überlegte: Was meint sie bloß? In meiner Sexualerziehung und -erfahrung gab es keinen G-Punkt. Dieser hatte das Bett jetzt ganz unerwartet um Prüfungsangst bereichert und meinen Turm zu Pisa zum Umfallen gebracht.
Ich versuchte meine Unwissenheit zu überspielen und küsste Sally leidenschaftlich auf den Mund. Beider Zungen umtanzten sich und tauschten süßlichen Schleim aus. Ich musste bekennen, dass ich nichts über G-Punkte wusste. Nach intensivem Kussduell fragte Sally, die inzwischen meine Unwissenheit bemerkte:
„Hast du schon mal von einem G-Punkt-Vibrator gehört?... Damit kannst du den Punkt ohne GPS-System finden.“
Ich musste lachen. Wie ein Vibrator aussieht, wusste ich nur aus dem Internet, hatte allerdings noch nie einen in der Hand. Nach einer Weile des Schweigens schaute sie mir tief in die Augen und sagte:
„Du kannst aber auch deinen Zeigefinger sanft in meine Vagina einführen. Nach etwa fünf Zentimetern vom Eingang entfernt findest du an der Vorderseite zum Bauch hin eine kleine abgeflachte Halbkugel mit gerippter etwas härterer Haut.“
Sally war schon immer sehr praktisch veranlagt und konnte sehr direkt sein.
Ich war inzwischen ziemlich abgeturnt, aktivierte dann aber mein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und führte meinen rechten Zeigefinger sanft in die Lustzone von Sally ein. Die Scham fühlte sich ähnlich wie der Mund mit den zwei Lippen und der allerdings viel kleineren Zunge an. Beim Hineingleiten und Erforschen der Tiefen streifte ich bewusst auch dieses Zünglein, da ich mich damit besser auskannte. Sally wurde nach ein paar Minuten klitschnass und ihr entfleuchten zarte Seufzer. Plötzlich stöhnte sie in sich steigernden Wellen laut auf. Ich kraulte jetzt einige Minuten in den Tiefen des Mondsees, bis ich vor eigener Erregung alle G-Punkte der Welt vergaß. Ich wusste, dass mein Zeigefinger wieder auftauchen, und mein wieder hart gewordener, lebendiger Vibrator einfahren konnte. Ein Sturm fegte über den Mondsee und Wellen erstürmten die Ufer.
Das Kapitel G-Punkt war einfach supergeil. Ich war dankbar für das Seminar der Begierden, und las später mal im Internet bei Wikipedia, dass es auch noch A-, C- und U-Punkte gibt. Ich fragte mich, ob denn das Lernen nie aufhört. Aber alle diese Punkte sind sehr umstritten, so auch der G-Punkt. Was soll´s? Hauptsache Glaube und Intuition funktionieren und erregen.
Sally faszinierte mich nicht nur sexuell. Sie wollte vor allem viel Geld in kurzer Zeit machen, wie sie das Zocken nannte. In beidem waren wir uns sehr ähnlich und es dominierte unsere Leben, abgesehen davon, dass sie sehr viel mehr Geld besaß. Aber auch ich hatte mein privates Vermögen durch die Insider-Tipps inzwischen vervielfältigen können.


Diskussion mit Sally über Finanzstrategien
 

Am nächsten Morgen, es war Samstag nach einem Frühstück im Bett, diskutierten wir über neue Strategien des Investmentbankings. Da sie umfangreiche Erfahrungen an der Wallstreet hatte sammeln können, beschloss sie sich endlich selbständig zu machen und einen Hedgefond zu gründen.
Ich erklärte ihr die neuesten Ideen mit der meine Bank Geld verdienen wollte, immer auf der Jagd nach einer höheren Eigenkapitalrendite.
Den Vorstand ärgert es, dass mit den börsengehandelten Indexfonds in Europa, den sogenannten ETFs (exchange-traded funds), kaum Geld verdient wird. Die jährlichen Gebühren liegen oft nur bei 0,2%, weshalb auch immer mehr Anleger sich darin engagieren, anstatt direkt einzelne Aktienwerte an der Börse zu erwerben.
Die Banken kaufen und verwalten quasi die Aktien entsprechend dem Gewicht der Einzelwerte in dem jeweiligen Aktienindex wie z.B. dem MSCI, dem DAX oder dem EUROSTOXX. Das bindet viel Kapital. Um die niedrige Rendite zu umgehen und Kapital zu hebeln sollen synthetische ETFs entwickelt werden. Die Bank tut dann nur noch so als investiere sie im Auftrag der Anleger in Aktien des zugrundeliegenden Indexes. Tatsächlich soll das Geld in mitunter hochkomplexe Derivate gepackt werden. Ich wurde beauftragt mithilfe mathematischer Modelle diese Derivate so zu konstruieren, dass sie im Normalfall die Wertentwicklung des zugrundeliegenden Marktes wiederspiegeln. Der größte von mir entwickelte Verkaufsschlager ist z.Zt. der ETF meiner Bank, der die Wertentwicklung des weltweiten MSCI repräsentiert. (Der MSCI World Index ist einer der wichtigsten Aktienindizes der Welt. Er beinhaltet Aktien großer Firmen aus 23 Ländern).
In Wahrheit wird nicht in die entsprechenden Aktien, sondern zu 70% in japanische Aktien investiert, da dort bessere Kurssteigerungen erwartet werden. Ebenso werden Aktienderivate eingesetzt, um größere Gewinne mit der Hebelung zu erzielen.“
Uns war klar, dass solche Anlagestrategien auch erhebliche Risiken bergen. Angenommen große Marktteilnehmer geraten auf dem ETF-Markt, der sich allein in Europa inzwischen auf ca. 228 Mrd Euro beläuft, in Zahlungsprobleme, so kann ein Liquiditätsproblem zu Bankkonkursen führen. Gerade weil die synthetischen ETFs oft auf komplizierten Tauschgeschäften unter Banken beruhen, könnte schon der Ausfall weniger oder auch eines großen Teilnehmers für weltweite Turbulenzen sorgen.

Sally rasiert und verführt mich

Nach so viel Finanzgerede war uns schon wieder nach Sex zumute. Sally flüsterte mir sanft ins Ohr:

„Ich hätte Lust dir eine Ganzkörperrasur mit anschließender Einreibung mit einem belebenden Citrusöl zu verpassen.“
„Meinst du das passt zu mir in meinem Alter?“
„Ja, ich fände das toll und viel erotischer als so behaart.“
Mir fiel schon gestern Abend auf, dass sie sich die Schamhaare kürzlich frisch abrasiert haben musste, und das, obwohl sie doch schon Mittvierzigerin ist. Auf ihrem Körper zeichnete sich ihre Scham jetzt wie ein weißes Warndreieck auf solariumgebräunter glatter Haut ab. So bloß hatte ich sie bisher noch nie gesehen, aber es gefiel mir. Ich staunte manchmal, wie viele jüngere Menschen in der Sauna meines Fitnesszentrums in London sich völlig blank rasiert beziehungsweise enthaart so ungeniert bewegten. Ich kam mir dann manchmal wie ein behaarter Affe vor.
Nach kurzem Zögern stimmte ich zu und ließ mich überall rasieren. Dazu legte ich mich auf ein großes Handtuch, das Sally auf dem Bett ausbreitete. Sie sprühte mir zunächst Rasierschaum auf Brust, Bauch und Scham, tunkte den Nassrasierer in heißes Wasser und zog lange Bahnen über die Vorderseite meines Oberkörpers. So beseitigte sie gekonnt den Schaum mitsamt den Haaren, wie beim Rasenmähen, und schüttelte ihn nach jedem Zug in eine Schüssel. Dann säuberte sie die Klinge, indem sie diese in einer zweiten Schüssel mit sauberem Wasser, das sie in Abständen ersetzte, herumschwenkte.
Im Bereich des Penis, der sich leise erregte, wenn sie ihn anhob und zur Seite schwenkte ging sie besonders behutsam vor, um Einschnitte zu vermeiden. Dann kamen die Achselhöhlen, wo sie die Haut in verschiedene Richtungen strammziehen musste, und die Beine dran.
„Bitte dreh dich jetzt um!“, meinte sie nach getaner Vorderarbeit.
„Jetzt den Rücken!“
Dort hatte ich viel weniger Haare. Bei der Poritze musste sie wieder etwas ziehen und aufpassen, dass sie den Dammbereich nicht verletzte. Diese ganze Prozedur empfand ich als nicht sehr erotisch und mir war kalt geworden. Ich lief ins Bad und betrachtete mich im großen Wandspiegel. Doch, mir gefiel es.
Ich durfte mich wieder aufs Bett legen und Sally, inzwischen völlig nackt, verwöhnte mich mit einer sanften Einölung in Form einer erotisierenden Massage, die mich schnell warm laufen ließ. Als sie mit dem Rücken und dann der Vorderseite fertig war, hockte sie sich in nahtlosem Übergang rittlings über mich, so dass sich ihre Schenkel direkt über meinem Kopf spreizten. Ich öffnete die Augen, bewunderte ihr jetzt so frei sichtbares feigenweiches Wonnefleisch, leckte und saugte an diesen freiliegenden Lippen - Lippe an Lippe sozusagen!
Ich stellte mir vor wie meine von der Vorhaut freie Penisspitze sich langsam und lustvoll da etwas hinein- und sanft wieder hinausarbeitet und Sally´s Lippen Festes, Erregtes, umgürten und verschlingen. Nach unendlichen Minuten wechselten wir die Seiten und sie zog meinen Schaft schamlos immer weiter in sich hinein, so dass meine Fantasien übertroffen wurden und wir in gegenseitiger innerer Verschmelzung endeten. Ein gelungener Vormittag.

New York September 2008 Der Crash
Am 15. September meldeten alle Fernsehsender: Die Lehmann-Brother-Bank ist pleite. Die seit 2007 laufende heftige Finanzkrise zeigte, dass die geplatzte Spekulationsblase am Immobilienmarkt der USA viele Banken in heftige Geldnot brachte. Rund um den Globus saßen Investoren auf faulen Krediten in Milliardenhöhe, die Lehmann in komplizierten Finanzprodukten gebündelt und weiterverkauft hatte. Abschreibungen auf die faulen Papiere brachten andere Banken an den Rand des Zusammenbruchs. Der verbriefte Markt für Immobilienkredite wurde so Auslöser der Weltfinanzkrise. Das griff über auf die Realwirtschaft und die Konjunktur in den Industrieländern kühlte sich rapide ab.
Ende des Monats wurde es kalt in New York. Vor den Schaufenstern der großen Banken blieben jetzt jeden Tag in warme Mäntel gepackte Passanten stehen und starrten auf die Bildschirme. Die Aktienkurse, die Rohstoffpreise und die Rentenmärkte notierten immer tiefer im Minus. Fast alle Werte befanden sich im freien Fall. Die privaten Kapitalanleger wagten kaum noch in ihre Depots zu schauen.
Ein Wallstreet-Banker sagte in einem Fernsehinterview:

„Ich mache das hier schon lange mit, aber so etwas habe ich noch nie erlebt."
Solche und ähnliche Sätze fielen jetzt fast täglich an den Börsen der Welt. Es gab keine guten Nachrichten mehr. Die große Krise dominierte das Weltgeschehen. Seit Beginn wurde von 23 Billionen Dollar Wertverlust weltweit an Börsenpapieren gesprochen. Ein normal Sterblicher kann eine solche Zahl nicht mehr fassen, handelt es sich doch um eine Zahl mit zwölf Nullen, etwas überschaubarer um 23.000 Milliarden - auch kaum vorstellbar. In den USA waren inzwischen einundzwanzig Banken und zweiundsechzig Hedgefonds bankrottgegangen. Um das Finanzsystem der stark verflochtenen Banken zu retten, hatte sich der Staat schon an elf Großbanken beteiligt.
Die großen Industriestaaten hatten bislang Rettungspakete für die Banken im Wert von vier Billionen Dollar aufgelegt, und einige kleine Staaten waren total ins Wanken geraten. Zocker, die ihre faulen Papiere gegen Ausfall versichert hatten, kamen glimpflich davon. Ein großer Hedgefonds, der ausschließlich auf das Platzen der Blase gewettet hatte, machte den ganz großen Reibach. Der kleine Mann zahlte wieder einmal die Zeche, wenn´s schief ging. Steuern wurden erhöht, Sozialleistungen verringert oder ganz gestrichen. Die Bevölkerungen begannen inzwischen die Stärke des Kapitalismus anzuzweifeln. Viele Menschen und Politiker waren nicht mehr bereit die Zumutungen der globalen Risikogesellschaft weiter so hinzunehmen und forderten Reformen, wie die stärkere Kontrolle der ausufernden Finanzmärkte.
Ein Ende der Krise war nicht abzusehen. Wie groß der Schaden allein in den USA war und sich noch auswachsen könne, wurde auf einem Finanzgipfel in Washington zu ermitteln versucht. Allein am US-amerikanischen Hypothekenmarkt standen noch immer elf Billionen Dollar Kredite aus. Diese Summe entsprach fast der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA – unvorstellbar! Der weltweite Finanzsektor hatte nach Schätzungen insgesamt Außenstände von etwa fünfundzwanzig Billionen Dollar, davon gut die Hälfte in normalen Krediten und der Rest in Wertpapieren, deren Wert allerdings je nach Börsenkursen schwankte.

London November 2008 die Kreditkrise
Ich musste schnellstens zurück nach London und stellte mir die Frage, wie es überhaupt schon wieder zu dieser globalen Krise kommen konnte. Wer hatte Schuld an diesen Entwicklungen? Begonnen hatte es in den Entwicklungsabteilungen für neue Finanzprodukte der großen US-Investmentbanken. Bei JP Morgan wurden die Modelle der Geldvermehrung erdacht und dann von anderen Großbanken übernommen und weiterentwickelt. Ich hatte ja selbst für meine Bank ähnliche Produkte entworfen. Der Phantasie und der Gier nach immer höheren Renditen waren keine Grenzen mehr gesetzt und ich fragte mich inzwischen, ob die Politiker der wichtigsten Wirtschaftsnationen die destruktiven Kräfte der Finanzmärkte wieder in den Griff bekommen können?
Eine Zauberformel bestand darin die Kredite in großem Umfang von den Kreditrisiken zu trennen, die Risiken theoretisch abzuschaffen, indem sie zu “Werten“ umdeklariert und als CDOs an Investoren in aller Welt verkauft wurden. Die eigentliche Aufgabe der Banken, Geld zu beschaffen und zu verleihen, brachte ihnen zu wenig Gewinn, da die Zinsmargen begrenzt waren. Es wurde angestrebt viel mehr Geld zu verdienen als in diesem Zinssystem. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, verkündete wiederholt, dass er eine Eigenkapitalrendite von 25% anstrebe.
In der Euphorie der Bankmanager geriet in Vergessenheit, dass sich Risiken nicht abschaffen lassen. Der sagenhafte Boom auf dem amerikanischen Immobilienmarkt ließ alle daran glauben, dass ein goldenes Zeitalter angebrochen sei, doch jeder Boom geht einmal vorbei – eigentlich eine Binsenweisheit. Es wurde verdrängt, dass viele Immobilienkredite an Kunden verhökert wurden, die die Belastungen auf Dauer gar nicht tragen konnten. Diese Menschen kamen in Schwierigkeiten als die Immobilienpreise rapide sanken. Die Blase platzte. Viele Hausbesitzer in den USA mussten ihre Häuser verlassen und in Zelten leben. Die Anleger saßen plötzlich auf unverkäuflichen Papieren. Rentner und naive Kommunen, ja sogar die evangelische Kirche in Deutschland wurden unwissentlich in die Geschäfte von Investmentbanken verstrickt und machten enorme Verluste.
Alles geschah ungeachtet der warnenden Stimmen, die es schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab. Aus den vielen geplatzten Blasen der Vergangenheit wurde nichts gelernt.

New York März - Mai 2009 - Die Verhaftung
Die Finanz- und Aktienmärkte erholten sich dank der Rettungsmaßnahmen der Industriestaaten, und die Wirtschaft fing an wieder zu boomen - vor allem in Deutschland. Doch die Verschuldung vieler Industrieländer, insbesondere der USA und in Europa Griechenland, Spanien und Italien, stieg immer mehr an.
Ich hatte für drei Monate in New York zu tun. Sally hatte sich inzwischen selbständig gemacht und einen eigenen Hedgefond namens SilverSax gegründet. Sie wollte noch mehr Geld scheffeln. Mich faszinierte das.
Anfang Mai brachte sie mich nach einer wunderbaren Nacht mit ihrem Porsche zum Flughafen. Ich musste zurück nach London. Beim Einchecken kamen plötzlich zwei Polizisten des FBI auf mich zu und sagten „Sie sind verhaftet, bitte kommen Sie ohne Aufsehen zu erregen mit uns.“
Ich fragte: „Warum denn das?“
„Das erklären wir ihnen draußen im Wagen.“
Ich bekam Handschellen angelegt und musste mich schnell von Sally verabschieden. Sie folgte uns in einem kleinen Abstand mit vor Schreck geweiteten Augen bis zum Polizeiwagen.
Mir blieb nichts anderes übrig als ihr mit Tränen in den Augen zuzuwinken. Bevor die Tür des Wagens sich schloss, rief sie mir noch zu: „Ich werde dir einen guten Anwalt besorgen.“
Der eine, kleinere Polizist, sagte zu mir im Auto: „Sie sind festgenommen wegen illegalen Aktien-Insiderhandels. Wir fahren sie jetzt zum Gefängnis auf Rikers Island.“
Ich war entsetzt. Wie hatte die Staatsanwaltschaft das herausbekommen?
Verzweifelt starrte ich auf die einfache Pritsche in meiner Zelle. Nach diesem Stress wurde ich plötzlich todmüde. Das Tempo meines Denkens kam allmählich zum Stillstand, wie eine Straßenbahn, die nachts nach Dienstschluss in ihr Depot fährt. Ich hatte keine Kraft mehr mich auszuziehen, warf mich taumelnd auf die Pritsche und schlief sofort ein.
Als ich in der Nacht aufwachte, überlegte ich wo ich bin. Ich schaltete eine kleine Nachttischlampe an, deren Schalter ich durch wirres Herumtasten endlich fand. Stück für Stück kehrte die Erinnerung zurück. Tiefenschärfe stellte sich langsam wieder ein, wie bei dem Okular einer Kamera. Ich lag in einer Zelle mit mir völlig unbekannter Umgebung.

New York August 2009 Im Gefängnis
Ich sitze den dritten Monat im Gefängnis und warte auf meinen Prozess. Er soll in der nächsten Woche am Dienstag im Bezirksgericht Manhattan-Süd stattfinden. Dort wird ein grundsätzliches Urteil gefällt. Wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich für schuldig befunden werde, muss ich dann noch einmal vor Gericht erscheinen. Dann wird gegebenenfalls das Strafmaß verkündet. In den USA wird das meistens vom Schuldspruch getrennt verhandelt.
Die Haftanstalt gilt als eine der sichersten Gefängnisanlagen in den Vereinigten Staaten. Zwischen den Stadtteilen Bronx und Queens liegt mitten im East River die Gefängnis-Insel, deren Name im allgemeinen Sprachgebrauch gern mit dem Zusatz


Der Unfall

Ich setze mich auf die Pritsche und beginne zu lesen. Die Mail ist eigenartigerweise von der Mutter meiner Freundin Mabel. Sie schreibt auf Deutsch. Ihr Mann war vor drei Jahren gestorben und sie lebt seitdem wieder in Hamburg. Seit einem Monat weilt sie allerdings bei ihrer Tochter in London um sie in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft zu unterstützen.

Lieber Michael,
ich muss dir leider mitteilen, dass Mabel vor zwei Wochen einen schweren Autounfall hatte. Sie wurde sofort mit einem Notarztwagen in die Klinik gefahren. Doch es war nichts mehr zu machen. Kurz nach der Einlieferung ist sie gestorben. Doch das Baby konnte gerettet werden. Dem kleinen Mädchen geht es soweit ganz gut. Es muss für einige Zeit noch im Brutkasten bleiben. Ich bin untröstlich und verzweifelt über den Tod meiner Tochter.
Ich habe mir aber überlegt, dass ich die Kleine, wenn sie aus der Klinik entlassen wird und ich mit Mabels Wohnung alles geregelt habe, solange zu mir nach Hamburg nehmen kann bis du aus dem Gefängnis frei bist. Meine Tochter hat mir gesagt, dass euer Mädchen Anne heißen soll. Ist das mit dir abgestimmt und bist du damit einverstanden?
Liebe Grüße Erika


Ich bin völlig fertig und heule vor mich hin, so als wenn ein Staubecken bricht, weil der Damm dem Druck nicht mehr standhält. Ich kann vom Frühstück, das der Wärter mir inzwischen gebracht hat, nichts hinunterwürgen. Nur die Kaffeplörre stürze ich in meine Kehle. Abends schlafe ich völlig erschöpft ein und träume wildes Zeug, kann mich am nächsten Morgen aber an nichts mehr erinnern. Den Tag über läuft mein ganzes Leben wie der Film einer Mischung aus Tennis, Zocken und Sex in mir ab. Ich liege auf der Pritsche und überlege, was ich tun soll. Mein Anwalt meinte, dass ich bei einer sehr wahrscheinlichen Verurteilung wegen Insiderhandels eine Freiheitsstrafe zwischen ein und drei Jahren und eine beträchtliche Geldstrafe zu erwarten habe. Sarkastisch denke ich.

Der Gefängnisalltag

Der Gefängnisalltag läuft sehr geregelt ab. Frühstück um 8.00 Uhr: Blechteller, ein Brötchen, Margarine, Marmelade, ein Becher ungenießbarer Kaffee. Mittags 13.00 Uhr: Meistens Eintopf. Sonntags: Etwas Fleisch, meistens Schweinegulasch. Abends um 18.00 Uhr: Brote mit billigem Aufschnitt und Wasser oder Milch.
Oft masturbiere ich vor dem Einschlafen und denke dabei an Sally.
Es ist Sonntagnachmittag und keiner besucht mich. Sally war erst letzte Woche da und ich kann nicht dauernd lesen. Ich langweile mich mal wieder besonders zu Tode in meiner Zelle. Jetzt pule ich gerade einen ziemlich flüssigen Popel aus der Nase und lasse ihn auf meinem linken Daumen trocknen, bevor ich ihn zur Kugel forme, um ihn dann in die Gegend zu schnipsen, überlege wie schwer der aktuelle Popel wohl ist und wie weit er sich dann schnipsen lässt. Diese Frage hat insofern seine Wichtigkeit, weil diese öden Tage sich oft unendlich in die Länge ziehen. Zwei Jahre Gefängnis ohne konkrete Aufgabe sind schwerer zu ertragen als zehn Jahre intensive Stress-Arbeit. So, nun ist der Popel halbfest und ich kann erstmalig versuchen ihn weg zu schnipsen. Er bleibt am Finger kleben. Also noch etwas trocknen lassen! Ist er schwer genug, um bis ins Waschbecken zu fliegen? Ja es hat geklappt! Er landet im Becken. Ich habe inzwischen große Routine im Popelschnipsen. Die Nase ist jetzt leider popelfrei, also muss ich mir etwas anderes überlegen.
Mir fällt George Soros ein. Er war und ist einer der ganz großen Spekulanten und mir ein Vorbild. Seine Spekulationsstrategien sind plausibel und transparent, da er sie in Büchern und Vorträgen dargestellt hat. Er warnte auch immer vor den Gefahren. Seine Spekulationen polarisieren Bewunderer und Gegner. Bekannt wurde er unter anderem am 16. September 1992, dem “Black Wednesday. Er war der Überzeugung, dass das Pfund Sterling überbewertet sei und wettete massiv gegen die englische Währung. Dazu tauschte er geliehene Pfund in andere europäische Währungen, hauptsächlich Deutsche Mark und Französische Franc. Und drückte damit den Pfundkurs, so dass er billiger zurückkaufen konnte, sozusagen der Leerverkauf einer Währung.
Im Juni 1993 spekulierte Soros gegen die Deutsche Mark. Er verkündete seine Absicht in großen Mengen Wertpapiere Deutschlands zugunsten französischer Papiere abzustoßen. In einem Interview forderte er: „Down with the D-Mark!“
Angesichts der sich anbahnenden Finanzkrise, die er frühzeitig als Vorbote einer Rezession in den Vereinigten Staaten ansah, kehrte er 2007 ins spekulative Geschäft zurück und erzielte mit seinem im selben Jahr eine Rendite von 32%, was ihm 2,9 Milliarden Dollar einbrachte.
2008 war Soros mit einem Einkommen von 1,1 Milliarden Dollar der bestbezahlte Hedgefonds-Manager. In den zwölf Monaten bis Juli 2009 stieg die Gesamtsumme des durch seine Investmentfirma Soros Fund Management verwalteten Vermögens um 40 Prozent auf 24 Milliarden Dollar.


New York Januar 2010 Der Prozess

Heute um 10.00 Uhr findet endlich mein Prozess statt. Ein Polizist betritt um 9.15 Uhr meine Zelle und legt mir Handschellen an. Er führt mich zusammen mit einem Kollegen, der an der Zellentür wartet, nach draußen zu einem Polizeiwagen. Wir steigen ein und fahren zum Gericht.
Die Verhandlung findet im Gerichtssaal 17B des 17. Stocks statt. Ich schaue aus den Fenstern und kann ich die Türme der Macht förmlich spüren. Ganz vorne das alte Zuckerbäcker-Hochhaus der Stadtverwaltung, dahinter der Luxustower des Star-Architekten Frank Gehry, und schließlich die Wolkenkratzer der Wall Street, in denen früher die Investmentbanken logierten und jetzt die Krisen-Millionäre wohnen. Für mich ist es ein fast nostalgischer Blick über Lower Manhattan. Ich werde dort nie mehr mitmischen können. Bezirksrichter Richard Howe wird den Prozess leiten.
Die Gerichtsdiener sorgen für absolute Stille in dem mahagonigetäfelten Saal. Der Staatsanwalt verbeugt sich und mein Verteidiger Alan Stivell erweist dem Richter seine Ehrerbietung. Sally sitzt mit ernstem Gesicht im Zuschauerraum und ist mit einem grünen Businesskostüm bekleidet. Es geht sehr gesittet und ruhig zur Sache. Mir wird vorgeworfen, dass ich durch vertrauliche Tipps und lancierte Konzern-Interna, die normalen Investoren nicht zugänglich waren, mir 2,7 Millionen Dollar erschwindelt hätte.
Der Staatsanwalt fordert drei Jahre Gefängnis, plus 2,5 Millionen Dollar Strafgeld. Mein Verteidiger plädiert auf ein Jahr Strafe, da der Angeklagte im Mai letzten Jahres Vater einer kleinen Tochter geworden ist. Die Mutter sei tragischer Weise bei einem Verkehrsunfall in London gestorben. Die Großmutter kümmert sich zwar jetzt vorübergehend um das Baby, doch das braucht den Vater.
Richter Howe, der vor einem Sternenbanner sitzt, spricht:
„Die Tat des Angeklagten spiegelt eine Krankheit in unserer Gesellschaft wider, die endlich ausgemerzt werden muss. Insider-Handel ist ein Angriff auf die freien Märkte und stellt ihre Funktionsweise in Frage. Aber wir müssen auch die persönlichen Umstände des Angeklagten berücksichtigen. Ein Baby braucht seine Eltern und in diesem Fall den Vater.“
Ein Raunen geht durch den Gerichtssaal. Howe fügt hinzu:
„Ich plädiere auf schuldig und möchte schon heute ein Strafmaß fällen, da mir in diesem Fall von Vaterschaft schnelle Klarheit wichtig erscheint. Mein Urteil lautet deshalb: Zwei Jahre Gefängnis und zwei Millionen Dollar Strafe.“
Mit erhobenem Haupt, als hätte ich nichts Unrechtes getan, lasse ich mich aus dem Gerichtssaal führen. Mein Verteidiger empfiehlt mir, das Urteil anzunehmen, was ich dann auch tue. Seit dem letzten Jahr erhebt die New Yorker Staatanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der Börsenaufsicht immer mehr Anklagen wegen Insider-Handels. Ein Mann namens Rajaratnam gilt als Mittelpunkt des größten Insider-Netzes. Es wurden hunderte Telefonate abgehört, um zu beweisen, wie ihm illegale Aktientipps aus großen Konzernen zugespielt wurden. Er muss elf Jahre ins Gefängnis. Allerdings werden ihm 64 Millionen Dollar erschwindeltes Geld vorgeworfen. Einige Angeklagte aus seinem Umkreis wurden schon in separaten Prozessen verurteilt – im Schnitt für drei Jahre, was spürbar mehr war als in früheren Jahren.

New York / London / Frankfurt April 2010 Die Verluste
Die Finanznachrichten in allen Medien werden immer bedrohlicher. Es sieht so aus, dass sich eine erneute Immobilienkrise abzeichnet. Morgan Stanley hat mit seinem Immobilienfonds Schiffbruch erlitten. Es drohe ein Verlust von 5,4 Mrd. Dollar, teilte die Bank seinen Anlegern laut übereinstimmenden Berichten von Wall Street Journal und Bloomberg mit. Der Fonds würde damit nicht nur knapp zwei Drittel seines Vermögens verlieren, es wäre zugleich der größte Wertverlust, den ein Immobilienfonds jemals erlitten hat. Morgan Stanley war in den vergangenen Jahren einer der führenden Investoren auf dem Immobilienmarkt. Zahlen des Wall Street Journals zufolge investierte der Fond seit 1991 rund 174 Mrd. Dollar. Das Geld stammte unter anderem von Pensionsfonds, College-Stiftungen und auch von ausländischen Investoren. 20 % sollen zudem Morgan Stanley und die Mitarbeiter der Bank in den Fonds eingeschossen haben.
Die Bank hatte Investoren einst eine Rendite von 22,1% pro Jahr in Aussicht gestellt. Zu Beginn liefen die Geschäfte auch blendend und brachten hohe Erträge ein. Doch mit dem Einbruch der Immobilienmärkte im Jahr 2008 wurden nicht nur diese Traumrenditen zu einer Illusion, sondern ein Engagement entwickelte sich vielmehr schnell zu einem Ärgernis, das jetzt in einen Alptraum zu münden droht.
Zum Verhängnis wurden dem Fonds laut Wall Street Journal unter anderem Investitionen in den Frankfurter EZB-Tower, ein großes Immobilienprojekt in Tokio sowie Hotels der Intercontinental-Kette in Europa. Ein Minus von 350 Millionen Dollar habe allein ein Geschäftsgebäude in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul eingespielt.
Nach diesen dramatischen Verlusten muss nun auch Goldman Sachs gestehen, dass es mit einem seiner Immobilienfonds nicht eben zum Besten steht. Nach Fehlinvestitionen in den USA, Deutschland und Japan hat ein weiterer internationaler Fonds nahezu sein gesamtes Vermögen versenkt und Verluste von 1,8 Milliarden Dollar eingefahren. Ende des Jahres habe der nur noch einen Wert von 30 Millionen Dollar gehabt, berichtete die Financial Times. Goldman als größter Anteilseigner hatte laut dem Bericht 436 Millionen Dollar investiert.
Besonders problematisch sieht es bei Fonds aus, deren Manager viele Immobilien auf Pump gekauft haben. Sobald die Immobilienmärkte wieder anziehen, ist zwar eine Erholung möglich. Doch ob und wann das geschieht, steht in den Sternen.

New York August 2010 - Langeweile im Gefängnis
Gut fünfzehn Monate meiner Strafe habe ich jetzt abgesessen. Nach dem Mittagessen lege ich mich auf meine Pritsche und schlage den Thriller “Illuminati“ von Dan Brown auf. Obwohl das ein sehr spannendes Buch ist, erreichen die Sätze mein Gehirn heute nicht. Meine Augen können zwar den sich aneinanderreihenden Buchstaben und Satzzeichen folgen, als würde eine Kolonne Autos an mir vorbeifahren, aber mein Geist gaukelt in anderen Regionen herum. Ich lege das Buch beiseite. Die Zeiger meines relativ großen Analogweckers, dem Design einer Bahnhofsuhr nachgebildet, stehen auf 10.10 Uhr am Morgen und wirken kalt und distanziert. Sie bewegen sich unparteiisch zwar, aber kriechend langsam. Sie sind nicht auf meiner Seite, denn ich bin noch neun Monate gefangen in dieser kargen Zelle.
Nach dem Mittagessen, das wieder mal schrecklich schmeckt, und einem Nickerchen lese ich in der Financial Times, die ich abonniert habe und mir ins Gefängnis geliefert wird, dass Derivate in immer größerem Ausmaß an den Börsen vorbei durch Hedgefonds und andere Finanzinstitutionen auf dem grauen Markt gehandelt werden, so dass sich das Finanzvolumen stark aufgebläht hat und zur Zeitbombe wird. Das weltweite Nominalvolumen außerbörslich gehandelter Derivate liegt inzwischen bei ca. 601 Billionen Dollar, und das Volumen der Devisengeschäfte bei ca. 955 Billionen Dollar. Der weltweite Wert aller produzierten Güter und erbrachten Dienstleistungen dagegen bei lediglich etwa 63 Billionen Dollar, der aktuelle Wert aller Aktien und verzinslichen Wertpapiere (Bonds) bei ca. 87 Billionen Dollar. Hieran wird das krasse Missverhältnis deutlich, dass weltweit Gehandeltes im Wesentlichen spekulativer Natur ist. Verwerflich finde ich den Trend, mit Lebensmitteln zu spekulieren, da das die Preise treibt und die Menschen in armen Ländern sich die Nahrungsmittel wie Mais oder Reis nicht mehr leisten können.


Besuch von Sally im Gefängnis und ihre Pläne

Heute gegen 16.00 Uhr wird Sally kommen. Von meiner Tochter in London und ihrer verstorbenen Mutter hatte ich ihr bis zum Prozess nichts erzählt. Sie war lange sehr sauer, dass ich nicht gleich von meiner Vaterschaft berichtet habe und boykottierte mich zunächst für längere Zeit. Doch seit einem Monat besucht sie mich wieder und verspricht das jeden ersten Sonntag im Monat weiterhin zu tun. Mehr Zeit will sie nicht in diesem schrecklichen Gefängnis verbringen, aber ich bin froh, dass ich überhaupt Besuch bekomme.
Der wachhabende Wärter führt mich pünktlich zum Treffen ins Besucherzimmer. Sie kommt auf mich zu. Als wir uns gesetzt haben und durch eine Scheibe getrennt anschauen, verschiebt sich ihr anfängliches Lächeln ein bisschen, um dann gleich wieder zurückzukehren. Ihre roten kugelförmigen Ohrringe schaukeln wie reife Kirschen und korrespondieren mit ihren durchdringenden grünen Augen, die mich immer so faszinieren. Wir begrüßen uns distanziert freundlich mit einem „Hallo“.
Sie berichtet mir, was sie an neuen Strategien plant. Ihrem Hedgefond haben Anleger, vor allem amerikanische Pensionsfonds, inzwischen die beträchtliche Summe von über 18 Milliarden Dollar anvertraut. In der Finanzkrise machte sie ein kleines Vermögen, da die Immobilienblase in den USA tatsächlich, wie von ihr vorhergesehen, platzte und ein gewaltiger Crash die Welt erschütterte. Ihr Glück war, dass ihre Anleger-Banken die fälligen CDS-Papiere auch auszahlen konnten, denn Lehmann Brothers ging in die Pleite und andere Investoren in der ganzen Welt verloren viel Geld mit deren Papieren.
Die Gier nach immer mehr Geld kennt bei Sally keine Grenzen. Sie erzählt von neuen Plänen:
„Ich werde im Rahmen der europäischen Finanzkrise um den Euro auf die Pleite Griechenlands und Italiens, den am höchsten verschuldeten Ländern der EU, zocken. Ich kaufe wie gehabt CDS-Papiere, die ich über möglichst viele Banken streue, um das Risiko von Pleiten zu verteilen.“
Ich frage:

„Was tust du, wenn Griechenland von den Euroländern gerettet wird und nicht in die Pleite geht?“
„Daran glaube ich nicht. Die exorbitanten Schuldenprobleme dieses Landes lassen sich nicht durch immer neue Schulden lösen und Italien hat eine völlig unfähige Regierung.“
„Ja“, sage ich, „da hast du wohl recht. Heutzutage kann man viel mehr Geld machen mit Zockerei gegen ganze Staaten.“
Sie meint zum Schluss noch:

„Ich habe schon einen Teil meines freien Kapitals in entsprechende CDS-Papiere investiert. Die Börsenkurse haben sich inzwischen schon verdoppelt. Und trotzdem glaube ich, dass sie weiter steigen werden.“
„Doch wie willst du bei deinen hohen Summen, die du investierst, erreichen, dass die Schuldverschreibungen der Banken, die die CDSs herausgeben, auch einlösen können? Denn ein Crash Griechenlands wird viele Banken vor allem in Europa, aber auch mit ihren Verflechtungen weltweit in den Abgrund reißen. Das kann eine Weltwirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes werden.“
Sally meint lapidar: „Ohne Risiko keine Chance! Aber ich werde natürlich nicht das ganze Hedgefond-Kapital riskieren“
Die Besuchszeit ist um und wir verabschieden uns. Ich schaue ihr nachdenklich hinterher und werde dann in meine Zelle abgeführt.
Aus der Distanz hier im Gefängnis erscheinen mir die Aktienhändler der Komplexität des Geldmarktes auch nicht mehr gewachsen zu sein. Sally kommt mir immer mehr wie ein weiblicher Odysseus vor, der in Gefahren cool immer den rechten Dreh findet. Die meisten Händler agieren wie hektische, verspielte Wiesel, die dorthin rennen, wo Beute lockt. Viele folgen auch allzu leichtgläubig wie Lemminge jedem neuen Trend. In derselben Ausgabe einer Wirtschaftszeitung oder am selben Tag im Internet kann man Ratschläge, Empfehlungen und Warnungen von Finanzexperten lesen, die sich diametral widersprechen. Es gibt nur wenige Ausnahmeinvestoren, die den richtigen Riecher zum richtigen Zeitpunkt haben. Zu dieser Kategorie gehört wohl auch Sally. Das kann aber auch eines Tages voll in die Hose gehen. Ich wünsche ihr das nicht.
Abends lege ich mich früh auf meine Pritsche. Vor dem Einschlafen habe ich auf einmal eine heftige Erektion. Mir fehlt der schöne Sex mit Sally sehr. Sie sah heute wieder hinreißend aus. Aber ich masturbiere nicht, denn ich habe beschlossen, mir die schönen Erinnerungen auf ihrem mit Seide bespannten Bett zu bewahren, indem ich mich immer eine Weile nicht berühre.
Ich balle meine Finger zu Fäusten und schlafe endlich unruhig ein. In der Nacht träume ich, oder ist es gar kein Traum, denn alles wirkt irgendwie real und nichts ist verschwommen.
Sally liegt nackt in Löffelstellung, mit dem Rücken zu mir, auf meiner Pritsche. Ich streiche mit meiner linken Hand sanft über ihr Haar, die Nase, die Lippen und ihren sinnlichen Hals. Meine Hand gleitet weiter, die Körperlandschaft hinunter und streichelt weich und sanft über ihre Haut, und hält ein bei der Innenseite ihres linken etwas abgespreizten Schenkels.
Der Duft ihres teuren Parfums, den ich sogar im Traum zu riechen glaube, pulsiert um und über diesem einzigartigen Körper, wie sich sanft hebender Frühnebel an einem sonnigen Spätsommermorgen. Meine Geilheit steigt rapide an und ich explodiere.
Sally dreht sich zu mir um und ich stelle mit Entsetzen fest, es ist Mabel, mit der ich gefickt habe. Ich will etwas sagen, aber in ihrer Gegenwart ist mir, als hätten alle Worte ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Ich erwache, habe von der verstorbenen Mabel geträumt und bin zutiefst erschrocken. Mehr als ein Jahr nach ihrem tragischen Unfall sehe ich vor mir, wie ihr ein Baby aus dem Leib geschnitten wird.
Ich ziehe meine feucht-klebrige Boxershorts aus und wasche sie im Spülbecken. Je länger ich über den eingebildeten Sex mit Sally nachdenke, desto deutlicher nimmt der Wunsch Gestalt an, mit ihr zu schlafen. Die Entbehrungen sind übermächtig geworden. Doch ich weiß, dass das nicht mehr möglich werden wird. Sally vertritt die Ansicht, dass Liebe die Freiheit zu lieben ist, weshalb sie nie verheiratet war und auch nicht heiraten wollte. Ich vermute, dass sie längst einen neuen Liebhaber hat, obwohl sie davon nie erzählt hat. Heftige Erschütterungen im tiefsten Innern machen mir deutlich, dass meine Welt sich grundlegend wandeln wird.
Im Verlauf des Tages wird mir immer klarer, dass keine Wahl bleibt. Ich werde mein Leben ändern müssen. Ich muss die Angst, als junger Vater für meine kleine Tochter Verantwortung zu übernehmen, überwinden. Und die Wut auf Mabel ebenso, denn ich habe sie ja sehr gemocht. Sie war gegen unsere Abmachung, kein Kind in die Welt zu setzen, schwanger geworden. Doch ich habe mich um Verhütung nie gekümmert. Ich werde mich nach meiner Haft sterilisieren lassen.
Am nächsten Morgen beschließe ich, wieder nach Hamburg zu ziehen und mein Restvermögen möglichst sicher anzulegen – soweit das in diesen Zeiten überhaupt noch möglich ist. Ich will versuchen meiner kleinen Tochter ein guter Vater zu sein. Wenn ich aus dem Gefängnis frei bin, möchte ich ihre Hand halten und Zuversicht vermitteln. Ich habe nach dieser Entscheidung ein wenig das Gefühl von Demut im Herzen und fühle ein kleines bisschen Eis darin schmelzen.
Ich denke an meine schönen Zeiten als Doktorand am Hamburger Institut für Informatik. In meiner Freizeit war ich oft Tennisspielen mit meinem Freund Hannes. Vielleicht kann ich daran anknüpfen und mir einen sinnvollen Halbtagsjob suchen, wenn Anne in den Kindergarten und danach in die Schule kommt.

New York September 2010 Die Trennung von Sally

Meine Bank, die mich wegen meiner Strafe inzwischen gekündigt hatte, machte mit den synthetischen ETFs einen grandiosen Verlust von fast einer Milliarde Euro, da die zugrunde gelegten Aktien und Derivate sich wesentlich schlechter entwickelt hatten als angenommen. Die Anleger mussten natürlich entsprechend dem echten, besser gelaufenen MSCI, ausgezahlt werden. Ich fühlte eine gewisse Genugtuung.
Sally erscheint pünktlich und wir setzen uns im Besucherraum einander gegenüber.
„Hallo“, sagt sie.
„Hallo“, sage ich.
Sie kommt gleich zur Sache und erzählt: „Ich habe jetzt entsprechend meinen neuesten Anlageplänen, die ich dir beim letzten Besuch erläutert habe, für 500 Millionen Dollar CDS-Papiere auf Griechenlandanleihen gekauft. Die sind seitdem schon wieder im Kurs gestiegen.“
„Glückwunsch!“, sage ich.
Sie erläutert:
„Ich glaube, dass Griechenland im Verlauf der nächsten Jahre in die Pleite gehen wird. Die immense Rekord-Verschuldung im Euroraum wird das Land niemals abbauen können. Diese wird weiter ansteigen, selbst wenn das Land durch Hilfskredite der Eurogruppe oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt wird. Die Volkswirtschaft ist strukturell völlig hinter dem Mond und der Staatsdienst total überteuert und noch dazu ineffizient, da die jeweiligen Regierungsparteien extensive Vetternwirtschaft betrieben haben und viel zu viele Menschen beschäftigen, denen sie auch noch zu hohe Gehälter zahlen. Es gibt kaum eine wettbewerbsfähige Industrie und viel Steuerhinterziehung, vor allem der Vermögenden, die ihr Geld im Ausland bunkern.“
Ich frage in Anbetracht ihres Wortschwalls etwas lustlos:

„Was willst du tun?“
„Ich werde jetzt entsprechende CDS-Papiere für weitere 2,5 Mrd Dollar kaufen und diese dann, bevor das ganze Weltwirtschaftssystem wegen einer Eurokrise zusammenbricht, wieder verkaufen. Allerdings ist ein totaler Crash unwahrscheinlich, denn in der letzten Krise hatten unzählige Regierungen auf der ganzen Welt durch staatliche Garantien oder sogar direkte Hilfen das Schlimmste verhindert. Das werden sie wieder tun. Griechenland kommt mittelfristig meines Erachtens um einen Kapitalschnitt seiner Schulden nicht herum. Wir als Einzelpersonen können das sowieso nicht verhindern, doch mit unserem Know-How das herausholen, was uns zusteht. Wenn du magst kannst du dich mit deinem Restvermögen daran beteiligen.“
Ich staune über die Selbstverständlichkeit und Coolness, mit der Sally vorgehen will und denke, dass ihr Plan wahrscheinlich aufgehen wird. Aber inzwischen habe ich Skrupel, da unsere Gewinne viel Verlust und auch Leid an anderer Stelle erzeugen.
„Sorry, Sally, ich will nicht mehr zocken. Ich habe eine Aufgabe in Europa nach meiner Entlassung, die mir sehr wichtig ist. Meine Tochter Anne, die jetzt im zweiten Lebensjahr ist und noch bei ihrer Oma in Hamburg wohnt, braucht mich und ich will mich um sie kümmern. Mein Restvermögen von zweieinhalb Millionen Dollar reicht mir, und ich will mit der Zockerei Schluss machen.“
Sally schaut mich mit ihren grünen geweiteten Augen fassungslos an. Ihr Gesicht wird zur Maske, und ihr Mund bleibt offen stehen. Nach einem unendlich langen Moment erhebt sie ihre Stimme und kreischt:

„Du wirst ein ewiger Looser bleiben!“
Sie steht wütend auf und ruft mir noch zu:

„Du wirst mich nie wiedersehen!“

Sie verlässt den Besucherraum mit eiligen Schritten. Mein Körper sackt in sich zusammen und fühlt sich schlaff wie Gummi an, der in der Hitze weich geworden ist. Ich lasse mich vom Wärter wieder in meine Zelle bringen. Für den Rest meiner Haft kann ich keinen Besucher mehr erwarten.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Regina (22.01.24, 08:25)
Das kannst du jetzt als Roman herausgeben. LG Gina

 uwesch meinte dazu am 22.01.24 um 10:07:
Der Stoff würde sich schon gut für einen Roman eignen. Doch das erfordert Kontakt zu einem Verlag, der so ein Projekt fördert. Ich habe da keine Beziehungen.
Dank Dir für Deinen Kommi und LG Uwe

 franky (22.01.24, 10:37)
Hi lieber Uwe 

Mitreißend geschrieben, Du hast bestimmt viel recherchieren müssen, gerne gelesen. 

Grüße von Franky

 uwesch antwortete darauf am 22.01.24 um 12:40:
Klar franky - das war schon sehr viel Arbeit. Habe aber auch Einiges dazugelernt, obwohl ich BWL studiert habe.
Dank Dir für Deine Empfehlungen und LG Uwe

 Dieter_Rotmund (22.01.24, 13:27)
„Was wollen wir was trinken?“

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 22.01.24 um 13:29:
Fehlende Kommas, Klammern in direkter Rede - der Text müsste unbedingt überarbeitet werden.

 uwesch äußerte darauf am 22.01.24 um 13:57:
Das eine <was> habe ich entfernt - war ein Flüchtigkeitsfehler. Danke für den Tipp.
Klar - der Text kann gerne überarbeitet werden, wenn sich jemand genauer im Sinne einer Publizierung dafür interessiert. Bei der Länge schleicht sich schon mal der ein oder andere Komma-Fehler ein.
Klammern in direkter Rede sind natürlich Unsinn. Ich finde die Stelle jetzt nicht so schnell und lass es erst mal stehen. Wenn der Text noch irgendeine Verwendung findet gehe ich da natürlich noch mal ran.
Dank für Deine Hinweise und Grüße von Uwe

Antwort geändert am 22.01.2024 um 14:31 Uhr

 harzgebirgler (22.01.24, 19:10)
was dir doch so an stories innewohnt -
die schöpfungspause hat sich voll gelohnt! :D lg vom harzer

 uwesch ergänzte dazu am 22.01.24 um 19:58:
Ja, manchmal muß ich etwas innehalten und warten bis eine zündende Idee sich in meinem Kopf etabliert - vor allem wenn´s um längere Elaborate geht. Hab aber schon wieder einige Ideen mit denen ich mir allerdings "etwas" Zeit lasse
Dank Dir für Deine Empfehlungen
LG Uwe

Antwort geändert am 22.01.2024 um 19:59 Uhr
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram