Zahlen, bitte!

Text

von  Mondscheinsonate

Natürlich bestand die Großmutter immer darauf, dass der Fritz und seine Mutter beim Familienessen dabei waren, schließlich dauerte die Freundschaft schon Jahrzehnte an. Wenn allerdings der Herr Doktor "Zahlen, bitte!" dröhnte, fast schon zeusartig donnerte, stand Fritz auf und ging geschlagene zehn Minuten auf die Toilette. Seine, sonst schon zarte und zierliche Frau Mama wurde in der Zeit noch zierlicher, unscheinbar versank sie im Stuhl, rutschte fast unter den Tisch, verfiel regelrecht und wurde blaß. 

Meine ganze Familie, wir waren fünf Mädchen, und meine Großeltern amüsierte das zutiefst, so sehr, dass meine Schwester und ich heute noch "Fritz" sagen, wenn es an das Zahlen geht. Oft sagt meine Schwester: "Ich muss noch auf die Toilette" und ich sage dann: "Spielst du Fritz?" 

Mein Großvater, der als Oberhaupt den Vorsitz hatte, stets ein Holsteinschnitzel aß (dies mit gebratener Pfirsichhälfte) hatte den Schelm als geborener Widder doch im Nacken. Irgendwann rief er "Zahlen, bitte!" stand aber auf (wenn er aufstand, blieben wir sitzen), legte die Stoffserviette, die auf seinem Schoß lag, auf den Tisch und ging in Richtung Toilette. Meine Großmutter grinste leicht, sagte: "Das ist eine gute Idee, ich muss auch", stand ebenfalls auf und ging dem Großvater in die Richtung nach. 

Wir waren zunächst etwas sprachlos, denn das war neu, so blieb Fritz sitzen, die Kellnerin, der der Großvater im Vorbeigehen etwas zuraunte, ich sah es von meiner Perspektive aus, brachte die Rechnung. Und, weil Fritz nun der einzige Mann beim Tisch war, fragte sie nicht, legte ihm die Rechnung hin. Dies, nach 40 Jahren Verköstigung das erste Mal. Man sah, dass er schwitzte, aber zur Brieftasche griff, bezahlte. Wir dankten artig.

Beim Abendessen, da war ich schon mit Großmutter und Großvater alleine, sah ich beiden ins Gesicht, sagte: "Ich wusste gar nicht, dass ihr so verschlagen sein könnt!" Ich lachte. Der Großvater lachte nicht, aber seine Augen verrieten den Schelm, er sagte in seinem sachlichen Ton: "Wenn man muss, dann muss man. Irgendwann dringend." Die Großmutter stand auf, holte ein Bier, öffnete es, setzte sich wieder hin, schenkte es dem Großvater und sich ein, erhob das Glas, sagte: "Prost, Richard!" 

In dem Moment wusste ich, warum die Ehe der beiden, trotz unterschiedlicher Charaktere, so gut funktionierte. Die beiden sprachen sich nicht ab, sie telephatierten. 

Ach ja, Fritz beobachtete den Großvater ab da an genauer und wenn er "Zahlen, bitte!" rief, sprang er sofort auf, wartete das "bitte" nicht ab, und ging eiligen Schrittes zur Toilette, blieb länger als sonst.


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Kommentare zu diesem Text


 uwesch (02.07.24, 18:00)
Cleverer Großvater :) LG Uwe

 Mondscheinsonate meinte dazu am 02.07.24 um 18:01:
Er wollte es wissen.
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