Schrei nach Liebe

Text

von  Mondscheinsonate

Nachdem der Onkel mit Sack und Pack nach Amerika verschwand, war seine Frau so überfordert, dass sie die beiden kleinen Mädchen, sie waren vier und zwei Jahre alt, meiner Großmutter übergab und meinte:"Da! Nimm die Kinder, die sind von deinem Bastardsohn!" und verschwand. Das ist die Version der Großmutter gewesen. Die zweite Version, die der Frau lautete:"Diese Frau (meine Großmutter) hat mir meine Kinder weggenommen!" 

Ich gestehe, ich glaube der Frau, denn die beiden haben dann nie wieder ein Wort miteinander geredet und hassten sich wie die Pest. Wo es allerdings definitiv nur eine Wahrheit gibt, die stimmt, dass der Staat die Alimente übernahm und der Onkel ohne diese zurückzubezahlen, nie wieder nach Österreich einreisen hätte dürfen, ohne Gerichtsverfahren. So bezahlte der Großvater seine Schulden und auch in weiterer Folge die Aufzucht der Jungen dieses Typen, der sechsmal heiratete und eine Frau in den Selbstmord trieb, ein Millionär wurde und dann bitterarm starb. War aber schon sein Vater eigen, kam vom Fliegerabsturz nicht mehr zu seiner hochschwangeren Frau (Großmutter) zurück und tauchte mit neuer Identität nach dem Krieg in Berlin unter. Meine Großmutter wurde später dadurch zur Bigamistin und liebte den Kerl ihr Leben lang. Das, nur nebenbei. 

Auf jeden Fall kümmerte sich die Großmutter liebevoll um die Kleinen und sie ließ meine Mutter links liegen. Sie war Zwölf. Mit Dreizehn bekam sie eine schwere Gehirnhautentzündung und war ein Jahr lang zwischen Tod und Leben, danach wurde sie zu meiner Mutter:"Bipolar" und eine notorische Lügnerin.

Sie bemerkte wie es funktionierte, der Großvater kümmerte sich um sie, wenn sie krank wurde und so bekam sie nach ihrer Gesundung immer irgendwelche Krankheiten. Das "Richard, dreh um, was werden die Leute sagen!?" auf dem Weg zur Psychiatrie zerstörte vieles, vorallem meine friedliche Kindheit, aber das war erst zehn Jahre später und länger her. Sie war eine außerordentlich gute Schülerin und hatte stets Sehr gut, außer in Mathematik ein Nicht genügend. Jedes Jahr stampfte der Großvater wütend in die Schule und drohte mit dem Anwalt, sie kam dann durch. Mit 17 schmiss sie drei Monate vor dem Abitur die Schule und weigerte sich hinzugehen. Die Großmutter packte stillschweigend ihre Koffer und fuhr sie in die Schwesternschule, wo sie Krankenschwester werden sollte, außerdem war das ein Rauswurf. Die Mutter war dort dauernd krank und der Großvater wurde gerufen, aber einmal überspannte sie den Bogen, schmiss eine Blutkonserve zu Boden und spielte eine Lähmung vor. Man warf sie hochgradig hinaus. Diese Schande ertrug die Frau Doktor (meine Großmutter) nun nicht mehr und sie verabredete sich mit einem Weinbauern in der Umgebung, schweinereich wohlgemerkt, arrangierte eine Verlobung mit Handschlag. Es gibt ein Foto als Debütantin, meine Mutter tanzt in Weiß mit ihrem zukünftigen Ehemann. Zugegeben, ein wahrer Traummann, aber meine Mutter, die aus allen Wolken fiel, packte ihre Siebensachen und reiste nach Wien, zog in eine Kommune ein und lebte die freie Liebe. Natürlich finanzierte diese Freiheit heimlich der Großvater. Auf einem Straßenfest lernte sie meinen Vater kennen und nach drei Monaten heirateten sie. Es war zum Trotz, mein Vater war 22 und sie 19, er hatte nichts. Meine Großmutter erschien nicht zur Hochzeit. 

Die Kinder meines Onkels bekamen die ganze Liebe, die meine Mutter gut gebrauchen hätte können. Bekamen alles bezahlt, gute Ausbildungen. 

Später, viel später, sah meine Schwester, 10 und 12 Jahre nach dem Tod beider Großeltern, ein Schild beim Grab, es stand "Heimgefallen" darauf. Dieser mittelalterliche Begriff bedeutet, dass das Grab aufgelassen wurde. Geschockt rief ich bei der Stadtgemeinde an und man sagte mir, dass die Frau Prof. Mag. XY (meine Kusine) nicht mehr bezahlen wolle. Ich übernahm das Grab sofort, bezahlte EUR 1400 und jetzt gehört es mir. 

So ist die Moral von der Geschichte: Die, die Liebe brauchte, bekam sie nicht, wurde krank dadurch, sabotierte sich ständig selbst dadurch.Die, die Liebe bekamen, wollten sie nicht, wurden zu reichen Dreckschweinen. 


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Kommentare zu diesem Text


 Fridolin (01.07.24, 23:51)
Einer Deiner gelungensten Texte, wenn ich das so sagen darf. Er könnte auch überschrieben sein mit "Wie man eine Rabenmutter wird". Ein (mir) lange schon fehlendes Puzzlestück Deiner Frühgeschichte.
Ein blinder Fleck ist mir nur geblieben, nämlich was "Richard, dreh um, was werden die Leute sagen!?" im Einzelnen bedeutet. Da kann man sich zwar etwas zusammenreimen, aber ob das stimmt, was ich mir da denke?
Und das schreibst Du, während Du ziemlich krank darnieder liegst! Chapeau!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 02.07.24 um 07:33:
Dank dir. Zur Erklärung - die Eltern wollten die junge Dame in die Psychiatrie fahren, jedoch Oma schämte sich. Was nicht steht, mein Großvater hatte eine Praxis in einem kleinen Ort, jeder kannte jeden, war Werksarzt, Schularzt und Oberarzt im KH. Ich denke, jetzt ist der Satz verständlicher. 
Ad Fieber: Es geht, ich huste sowieso, während ich schreibe. Bin aber endlich mal entspannt, vorallem im Kopf.

 EkkehartMittelberg (02.07.24, 17:52)
Markante Moral einer realistischen Geschichte.
LG
Ekki

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 02.07.24 um 17:58:
Wahrlich.
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