... "reinsteigern und sich auch wieder raussteigern", die nüchterne Betrachtung ist wichtig. Gerade sie sagte das, unser Wassermann im Sternzeichen, die immer "Die Welt untergehen sah", wenn die Frau Prohaska ihr braun-orange geblümtes Kleid angezogen hatte und "wie ein altes Weib" herumlief. Man kann sich also die Dimensionen ihrer Weltuntergänge vorstellen.
Aber, interessant war das allemal, denn sie war Krankenschwester während des Krieges und sah schlimmere Dinge als geschmacklose Kleider.
Grundsätzlich meinte sie den Satz aber in der Liebe, es folgten dann die Standardsätze wie: "Andere Mütter haben auch schöne Söhne" oder "Willst was gelten, mach dich selten."
Schrecklich.
Einmal sagte ich ihr pampig, dass sie da gar nicht mitreden könne, schließlich hat sie Jahr und Tag denselben Mann!
Das war gemein, denn sie wurde permanent betrogen und dann bekam sie das Telegramm. Es geht bei Erfahrung nicht um Masse, sondern um Intensität. Sie sah 08/15 - Liebeskummer den Teenager haben nicht als echten an, sondern als unangenehmen Teil der Pubertät, der nichts mit echten Schmerz des Verlustes zu tun hat.
Aber, sie hatte schon recht, das Raussteigern ist wichtig. Bei allen Themen eigentlich. Sie hat es selbst nie umgesetzt. Ich hege den Verdacht, dass sie als junge Frau jeden Tag in Aufregung sein musste, jeder empfindet bei Permanentleid eine innere Unruhe, sodass sie die echte, innere Ruhe nie gefunden hatte, sich über Kleinigkeiten richtig aufregen musste, damit sie sich spüren konnte. Es ist wirklich nur eine Vermutung, denn die Aufreger waren gar keine. Sah sie echtes Leid im Fernsehen, schwieg sie, das dann ziemlich lange, vorallem bei Krieg, da nahm sie die Fernsehzeitung von ihrem Schoß, legte diese auf den Tisch, stand auf und ging wortlos aus dem Zimmer. Konnte sie bei Leid etwas tun, ich erinnere mich an ein schreckliches Erdbeben, die Leute waren verschüttet und verletzt, ging sie zur Kommode, nahm einen Erlagschein heraus, füllte ihn aus, schrieb 500 - 5000 Schilling darauf, ziemlich hohe Summen damals, und schickte den Großvater auf die Bank. Dieser drehte das Geld immer zehnmal um, bevor er es ausgab, aber da schwieg er, er kannte seine Frau, Diskussionen waren da zwecklos. Sie sprach aber nicht darüber, nie. Sie steigerte sich nicht hinein, musste sich nicht hinaussteigern, sie sah, was jetzt helfen konnte, was sie tun konnte, mehr konnte sie nicht tun.
Vielleicht hat sie mir das beigebracht, sehe ich Leid, wo ich weiß, ich kann nichts anderes tun, mache ich dasselbe, es wühlt aber in mir, das wird es auch bei ihr gewesen sein. Vielleicht sah sie es gar nicht als Aufreger, sondern als "Das ist jetzt so, da müssen wir anpacken."
Tatsächlich, denn sie regte sich nur über ihre kleine Welt um sie auf, das machte sie fast schon symphatisch, nur fast, denn sie wollte das nie sein, sie biederte sich nirgendwo an, ihre wahren Gefühle zeigte sie lieber durch stille Gesten. Mehr konnte sie nicht tun.