Ein Stalker berichtet

Text zum Thema Angst

von  Saira

Irgendwann war er da, dieser eine Gedanke, der sich in meinem Kopf einnistete: „Warum hat sie mir nicht zurückgeschrieben?“, „Was trägt sie wohl gerade?“ oder „Wie viele Schritte sind es von ihrer Wohnung bis zur Tiefgarage?“

 

Ich dokumentiere jeden ihrer Schritte und notiere alles in einem kleinen Kalender: „Heute hat sie einen roten Schal getragen“ oder „Sie hat beim Joggen die linke Schuhbinde zuerst gebunden.“ So bleibe ich immer auf dem Laufenden und kann meine Strategie anpassen.

 

Ein paar unerwartete Anrufe, gefolgt von ständigen Nachrichten. Ich sage: „Du hast im Café zurückgelächelt und Zeichen gegeben. Wehre dich nicht! Ich liebe dich, und du liebst mich auch!“ Sie legt auf. Ich rufe wieder an und atme nur, ohne Worte. Ich fühle ihre Angst; sie wehrt mich ab. In mir spüre ich Erregung. Ich muss diese Frau besitzen!

 

Aufgabe ist keine Option; schließlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie erkennt, dass wir zusammengehören.

 

Noch weiß sie nicht, wer ich bin. Sie verlässt seltener ihre Wohnung und dreht sich ständig um, wenn sie unterwegs ist. Ich bin ihr so verdammt nahe

 

Vielleicht sollte ich ihr ein paar „freundliche“ Erinnerungen hinterlassen – ein paar Fotos von ihr, die ich heimlich gemacht habe, oder eine kleine Notiz, die sie wissen lässt, dass ich immer in der Nähe bin. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mein ist.

 

Und wenn nicht? Nun, dann wird sie die Bedeutung von „Für immer“ begreifen lernen müssen.

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2024




Anmerkung von Saira:

Ich persönlich habe vor 43 Jahren Erfahrungen mit einem Psychopathen machen müssen. Es war ein Alptraum.
 
Statistiken:
 
Es gibt verschiedene Statistiken und Studien zu Stalking und den damit verbundenen Gewalttaten. In vielen Ländern werden Stalking-Fälle in den Kriminalstatistiken erfasst, und es gibt spezifische Berichte über die Häufigkeit von körperlicher Gewalt in diesen Fällen.
In den USA beispielsweise zeigt eine Studie des National Center for Victims of Crime, dass etwa 30% der Frauen und 20% der Männer, die Stalking erfahren, auch körperliche Gewalt durch ihren Stalker erleben. In Deutschland wird Stalking häufig im Kontext von häuslicher Gewalt betrachtet, und Statistiken des Bundeskriminalamts (BKA) zeigen, dass ein erheblicher Teil der Stalking-Fälle mit Gewaltanwendung einhergeht.
 
Das Ziel ist immer ähnlich: Einer stalkenden Person geht es um Macht und Kontrolle. Stalking kann auch mit körperlicher oder sexualisierter Gewalt einhergehen; die Belästigungen können Monate oder gar Jahre andauern. Über 80 Prozent der Stalking-Opfer sind Frauen, und 80 Prozent der stalkenden Personen sind Männer.

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Kommentare zu diesem Text


 ran (22.11.24, 11:18)
Noch weiß sie nicht, wer ich bin.

Ein unbekannter Stalker.

Es gibt auch Stalker, die als Ex-Freund, - Mann, usw. die Person, von der sie zuvor verlassen wurden verfolgen. Diese finde ich noch einmal bedrohlicher, sie kennen ihre Opfer besser als ein Unbekannter und können "Schwachstellen" ausnutzen.

Wie wird man einen Stalker los ohne selber allzu viele Federn zu lassen, das ist die große Frage.

 Moja meinte dazu am 22.11.24 um 11:34:
Zu Deiner Frage, ich kannte meinen Stalker, informierte seine Eltern, einerseits eskalierte die Situation danach, 
andererseits setzte ich auf Zeit und passte sehr genau auf unterwegs, zeigte ihn sofort an bei gefälschten Bestellungen. Zum Glück zog ich bald darauf um.

 ran antwortete darauf am 22.11.24 um 11:44:
... dadurch dass du sowieso umgezogen bist, hattest du wirklich Glück.
Wer extra wg. d. Stalker umziehen muss, verliert viel, abgesehen von den Umzugskosten auch noch die vertraute Umgebung :(

 Moja (22.11.24, 11:26)
Diese Erfahrung habe ich auch gemacht mit einem psychisch kranken Mann, liebe Saira, daran musste ich sofort denken. Selbst als ich längst weggezogen war, drehte ich mich lange Zeit noch um.
Dir gelingt es im Text, Dich in seine Denkweise hineinzuversetzen.

Sonnigen Gruß, Moja

 EkkehartMittelberg (22.11.24, 12:15)
Liebe Sigi,

mich wundert nicht, dass die von dir beschriebenen Einzelheiten so authentisch wirken.

Herzliche Grüße
Ekki

 Isensee (22.11.24, 12:23)
Was für ein Trip! Dein Text ist wie eine dunkle, zerrissene Schallplatte, die unaufhörlich auf einer verstörenden Tonspur hängen bleibt. Und genau das ist deine Stärke: Du schaffst es, den Leser zu packen und ihm das mulmige Gefühl zu geben, einen Schritt zu nah an den Abgrund getreten zu sein. Bravo. Aber, wie jeder Stalker wissen sollte, Perfektion liegt in den Details – und hier gibt es einiges zu feilen.
Zunächst einmal: Der Ton ist gut getroffen. Bedrohlich, zynisch, unangenehm nahe. Es hat etwas von einem übergriffigen Flüstern, das einem in einem Albtraum im Ohr bleibt. Der Protagonist – oder soll ich sagen, dein literarisches Monster – ist kein Klischee. Er ist glaubhaft obsessiv, kalt kalkulierend und gleichzeitig in seiner inneren Zerrissenheit spürbar verwundbar. Aber hier liegt auch die Schwäche deines Textes: Wir bekommen wenig Tiefe. Der Stalker bleibt ein Plot-Gerät, kein Mensch. Warum ist er so? Woher kommt diese Obsession? Ein paar Zeilen, die ihn mehr als eine eindimensionale Bedrohung zeigen, könnten den Text auf eine noch düsterere, komplexere Ebene heben.
Die Sprache ist überwiegend treffend, aber manchmal stolpert sie über ihre eigenen Ambitionen. „Ich dokumentiere jeden ihrer Schritte“ – okay, das verstehen wir. Aber „Ich fühle ihre Angst“ und „Ich spüre Erregung“? Das ist sprachliches Fast Food – es macht satt, aber hinterlässt keinen bleibenden Geschmack. Du hast es drauf, also geh tiefer. Beschreib die Angst durch die Bewegungen der Frau, die Erregung durch unkontrollierte Gedanken. Zeig uns, statt es uns hinzuklatschen.
Was wirklich funktioniert, ist die Idee des Kalenders, dieses pedantische Protokoll ihrer Existenz. Es gibt deinem Stalker eine Struktur, fast etwas Perfides, das uns als Leser gleichzeitig fasziniert und abstößt. Aber hier hätte mehr kommen können: Welche Strategien entwickelt er wirklich? Wie sehen diese Anpassungen aus? Lass uns mehr in diesen kranken Kopf schauen, mehr in seine Methoden eintauchen. Du traust dich schon nah an die Dunkelheit – geh einen Schritt weiter.
Der Abschluss ist gelungen, aber auch vorhersehbar. „Für immer“ – klar, das ist ein netter Stich ins Herz des Lesers, aber wir haben es kommen sehen. Vielleicht hätte ein subtilerer, perfiderer Schluss mehr Wirkung gehabt. Lass ihn etwas Unerwartetes tun, etwas, das uns wirklich erschüttert. Der letzte Satz sollte uns noch lange nach dem Lesen verfolgen.
Fazit: Du hast hier ein kleines literarisches Monster geschaffen, das kriecht, zischelt und sticht. Es ist nicht perfekt, aber es hat die Fähigkeit, zu verstören – und das ist eine seltene Qualität. Arbeite an der Tiefe deiner Figur, feile an den sprachlichen Nuancen und gib dem Ende einen weniger berechenbaren Dreh. Du bist nah dran, Saira, verdammt nah. Mach es noch düsterer, noch intensiver. Ich will nach deinem Text das Gefühl haben, duschen gehen zu müssen.

 plotzn (22.11.24, 12:57)
Servus Sigi,

der Schluss lässt mich mit einem Kloß im Hals zurück...

Psychische Gewalt kann genauso viel Leid verursachen wie körperliche. Leider geht oft beides einher, wie Deine Statistik zeigt.

Liebe Grüße
Stefan

 Teo (22.11.24, 14:03)
Tja Sigi,
Wir kennen auch zwei Fälle, in denen gute Bekannte übel verfolgt und gestalkt wurden. Das ging sogar zum Anwalt.
Sich mutig dagegen wehren...nicht für jeden leicht.
Mutiger Beitrag.
Lieben Gruß 
Teo

 AndreasGüntherThieme (22.11.24, 14:37)
Falls ich richtig verstehe, schreibst du aus Sicht des Stalkers, warst aber keiner.

Woher weißt du, was in ihm vorgeht?

 Pearl (22.11.24, 16:07)
Liebe Saira,

kennst du diesen Song?

https://youtu.be/Bs2zloxyj48?si=vqBOMvZ2vufNMVgi

Sarah McLachlan machte Erfahrungen mit einem Stalker. Aus seinen Briefen sind die Lyrics dieses Songs inspiriert. Es gab dann einen Gerichtsstreit wegen des Urheberrechts und er begang Suizid. Düsterer Song, düstere Hintergrundsgeschichte, düster wie dein Text.

Ich habe/ hatte auch Probleme mit einem Kollegen in der Arbeit, der nicht einsehen wollte, dass ich NIEmals etwas von ihm wollen werde.
Er machte mir Angst, weil er so obsessiv war. Eines Nachts wachte ich schweißgebadet auf und glaubte ihn vor meinem Fenster weggehen zu sehen. Als ich andeutete, dass ich mich beschweren würde, wurde es besser. Nur sein Einschmeicheln hört nicht auf. Obwohl ich noch nie so unfreundlich zu jemanden war. Und er schaut immer noch nach, wann ich Pause habe usw. und bringt mir Schals usw. die ich vergessen habe. Alles fällt ihm auf.

Isensee hat viell. Recht. Was bringt einen Menschen dazu, soetwas zu tun. Wer ist er als Mensch?

Gern gelesen!

Liebe Grüße,

Pearl
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