Ich will eigentlich keine Weihnachtspost schreiben

Gedanke

von  tulpenrot

Ich werde dieses Jahr keine Weihnachtsgrüße verschicken. Mir fällt nichts ein, wie ich einen Weihnachtswunsch formulieren könnte.
„Frohe Weihnachten“ ist mir zu billig und einfallslos.
Ich bin nicht nur ratlos, sondern ein wenig widerspenstig gestimmt, ein Blick aus meinem abendlichen Arbeitszimmer-Fenster bringt vielleicht etwas Inspirierendes hervor. Möglicherweise wünsche ich euch stattdessen: „chaotisch aufgehängte Lichterketten“? oder „geradlinige, dreikantige Weihnachtspyramiden“? oder „ich wünsche euch einen temperierten Beutel voll mit Wollsocken“? Das wäre ein neuer, unverbrauchter Einfall, aber ihr fändet das sicher blöd, wenn ihr so etwas von mir als Weihnachtswunsch bekämt. Stimmt, das ist selten blöd! Ich überlege, obwohl ich ja gar nichts schreiben will, trotzdem. Was könnte man anderen zu Weihnachten wünschen?
Bessere Wünsche als das abgedroschene, gedankenlose „frohe Weihnachten“ wären vielleicht:
• natürlich: „Frieden in der Welt“
• Einsicht, Vor(aus)sicht bei den Weltbewegern
• liebe Kinder, liebevolle Eltern, Partner, Verwandte, gerade an Weihnachten
• wertvolle Freunde (wirkliche, echte Freunde)
• eine warme, bezahlbare, gemütliche, weihnachtlich dekorierte Wohnung
• genügend ausgesucht Weihnachtliches zu essen und zu trinken
• warme, festliche Kleidung
• gute Schulnoten – vor Weihnachten ist es ja in der Schule besonders stressig, (naja, nicht nur da)
• ein Lob vom Chef zum Jahresende
• und immer den rechten Schraubenzieher, falls mal was klemmt. –
Aber das alles -  und noch viel mehr - schreibt man doch nicht auf eine Weihnachtskarte!
Jetzt fällt mir ein, was ich schreiben könnte, typisch für die Weihnachtszeit: Ich wünsche euch „Schnee“ oder wahlweise „bloß keinen Schnee!“, erst recht kein Glatteis, kaum Regen, vor allem keine Unwetter. Das sind nette, auch sehr wichtige Wünsche, aber zu Weihnachten…? Ist das alles? Gibt das Weihnachtsfest nicht mehr her? Oder stattdessen lieber „einen Engel als Begleitung auf eurer Reise durch die kommenden Tage, durchs Leben“? Das ist ein wenig romantischer jedenfalls. Aber immer noch ein bisschen seltsam auf einer Weihnachtskarte. Und ich hab es nicht so mit Engeln. Es sollte doch etwas Existentielleres sein, ein Wunsch, der viel weiter greift, sogar an den Stellen, wo nichts anderes, niemand anderes mehr da ist oder hilft. Eben am Ende des Jahres, der Tage, der Zeit, zum Schluss, ganz zum Schluss –
Vielleicht das?
„Ich wünsche euch einen Retter.“
Ihr wisst schon, wen ich damit meine?
Er wird da sein, ist in diese zerrissene Welt gekommen und kommt dorthin, wo man ihn einlädt. Das kann ich euch schriftlich geben. Man kann es nachlesen. Und ich wünsche euch, dass ihr dann wie ein offenes Tor seid, wenn er bei euch anklopft. Er kommt als freundlicher Gast, als Freuden- und Friedensbringer.
Liest sich gut, denke ich. Trägt durchs Leben, weiß ich. Das zu bedenken in der Weihnachtszeit, lohnt sich!
Aber schreibt man das in einen Weihnachtsgruß? Ich zögere. Das eignet sich eher als Predigtansatz, ist zu umständlich. Man müsste es anders formulieren, nicht so aufdringlich, so direkt. Immerhin, es wäre ein frohmachender Gedanke, mehr noch: eine Gewissheit!
Dann also doch „frohe Weihnachten“? Wenn man das alles so im Hinterkopf hat? Weil es dann nicht nur ein oberflächlich gesagter Wunsch, sondern zugleich ein Freudenruf ist? Die vor uns liegenden Tage werden zu frohen Weihnachtstagen. Also ist „frohe Weihnachten“ doch nichts Billiges, Einfallsloses? Jetzt also weiß ich es: Deshalb schreibe ich also dennoch auf jeden Fall:
„Frohe Weihnachten“ für euch!
… durch der Engel Halleluja
tönt es laut von fern und nah:
Jesus, der Retter ist da!
Jesus, der Retter ist da!
P.S. Ein langer Anlauf für eine so kurze Aussage. Ich weiß. Aber so arbeite ich mich oft durch ein Gewirr von Gedanken. Danke fürs Mitdenken.
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Kommentare zu diesem Text


 Citronella (11.12.24, 18:56)
Ja, tulpenrot, das Schreiben von Weihnachtspost wird mit den Jahren immer schwieriger, zumal wenn man weiß, dass es dem Empfänger sehr viel schlechter geht als einem selbst.
Was schreibt man dem störrischen verwitweten Schwager, der Weihnachten wahrscheinlich allein zu Hause sitzen möchte, weil er seinen Kindern nicht zur Last fallen will?
Was schreibt man der langjährigen Freundin, die krankheitsbedingt die Wohnung nicht mehr verlassen kann und kaum noch Bekannte hat?
Was schreibt man der alten Bekannten, die gerade eine schwere Krebserkrankung überstanden hat, aber nie sicher sein kann, dass der Tumor nicht wiederkommt?
Alles wird gut?? Nein, sicher nicht. Aber es ist verdammt schwierig, bei allen die richtigen Worte zu finden. Und Telefonate machten sie Sache nicht besser, sondern böten vielleicht noch eher die Gefahr, in ein Fettnäpfchen zu treten. Wären sie in der Nähe, könnte man sie zumindest besuchen oder einladen – aber leider sind sie alle zu weit weg. Und religiös sind sie auch alle nicht.

Eine schwierige Frage, auf die ich auch noch keine Antwort weiß.

LG Citronella

 tulpenrot meinte dazu am 11.12.24 um 19:52:
Deine Gedanken passen gut zu meiner derzeitigen Verfassung und bringen mich zu der Überlegung: Welche Weihnachtspost würde ich mir eigentlich wünschen? Was sollen andere mir schreiben? Am besten auch nichts? Denn ich finde mich selbst in allen von dir beschriebenen möglichen Adressaten wider! Störrisch, verwitwet, halbseitig gelähmt, dauerhaft gehbehindert, daher abgeschnitten von vielen sozialen Kontakten, kaum Bekannte, keine Verwandtschaft, krebskrank. Was erwarte ich, was kann ich erwarten?
 
Ich bin inzwischen nachsichtiger mit den Menschen geworden, weil ich um die Hilflosigkeit meiner Umgebung weiß. Du beschreibst es ja auch.
Es ist einfach schwierig für sie richtig zu reagieren - und dennoch ist jeder Gruß - und sei er auch noch so bescheiden - ein Zeichen für den Empfänger: Hier hat jemand an mich gedacht. Hier will jemand den Kontakt nicht abbrechen lassen. Das tut gut. Und hilft. Trotz allem. Entgegen allem Augenschein.

LG Grüße und Danke für deine Rückmeldung.

 Citronella antwortete darauf am 11.12.24 um 22:31:
Du hast Recht: Das Gefühl „Hier hat jemand an mich gedacht“ tut in jeder Lebenslage gut, speziell natürlich in einer schwierigen. Und dieses Gefühl sollte man den Betroffenen auch das ganze Jahr über geben, nicht nur zu Weihnachten. Ein Anruf oder ein Schreiben öfter mal zwischendurch scheint mir da viel wichtiger als zu Weihnachten, wenn mancher Gruß auch nur aus Pflichtgefühl erfolgt. So empfinde ich jedenfalls.

Ich wünsche dir das, was ich meinen Lieben immer am meisten wünsche: Viel Kraft für alles, was noch kommen wird – vielleicht gibt es hier und da ja doch noch ein klitzekleines Lichtlein, das die Welt wenigstens für einen Augenblick wieder ein bisschen strahlen lässt.

Alles Gute!
Liebe Grüße, Citronella

 TassoTuwas (12.12.24, 13:31)
Liebe Angelika,
ich kann dich gut verstehen, mir geht es genauso.
Und doch wissen wir, eine einzige handgeschriebene Zeile transportiert mehr Wärme als der ganze digitaler Schnick-Schnack.
Herzliche Grüße
TT

 tulpenrot schrieb daraufhin am 12.12.24 um 17:36:
Lieber TT,
danke für deine anteilnehmenden Worte und dein Sternchen. Ich habe heute angefangen, einige Leute anzurufen, aber war nur teilweise erfolgreich.
Jetzt hat mich das Telefon unterbrochen. Sonst ruft NIE jemand  an - und ausgerechnet jetzt konnte ich es nicht brauchen. Jedenfalls gehen heute meine Weihnachtsgrüße mündlich zu den Leuten.
Zu dir gehen sie aber schriftlich!
FROHE Weihnachten!
Angelika

Antwort geändert am 12.12.2024 um 17:49 Uhr

Antwort geändert am 12.12.2024 um 17:51 Uhr
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