Aus der offenen Kirche...

Text

von  Saudade

... strömt ein schwerer sakraler Geruch, gegen den der Holunderstrauch dabeben keine Chance hat. Niederdruckwetter, vorhin hat es geregnet und auf den Sträuchern hängen noch dicke Tropfen - Anomalie des Wassers - wie von Swarovski gefertigt glänzen sie wie kleine Kristalle in der hervorkommenden Sonne. Vom Kanal drückt es immer wieder Fauliges hoch, aber das wird vom Geruch der verblühenden Pfingstrosen übertroffen. Sterben in Würde. Ein Wagen der Bestattung "Himmelhochjauchzend" fährt vor das Portal der Kirche. Zwei Männer steigen aus, sie sind nicht feierlich gekleidet, öffnen von dem eleganten Mercedes in schwarz die Heckklappe und betätigen eine Schiebevorrichtung, der Sarg fährt wie auf Schienen heraus und wirkt, als ob er schweben würde. Ein Mann nimmt die unteren Enden, hebt ihn hoch, der andere Mann wartet, dass der, der bereits hält, ein paar Schritte rückwärts geht, dann, als der Sarg fast am Ende der Schiebevorrichtung angekommen ist, er hat ihn gezogen, packt der andere Mann erst zu. Sie lassen das Auto so, wie es nun steht, tragen den Sarg mit ihren Händen, schultern ihn nicht. Man hört "Kurti, pass auf, da beginnen die Stiegen!" 

Der Sarg verschwindet samt beider Männer im Innenraum der Kirche. 

Das Begräbnis ist erst am Nachmittag. Der Kanalgeruch wird heftiger, der Kirchdiener schließt die Pforten zum Gotteshaus. Nach 20 Minuten kommen die beiden wieder heraus. Das Auto steht noch so, wie sie es verlassen haben. 

Sie fahren woanders hin. Eine Abholung. Aber vorher zur Bestattung, ein Blechsarg wird eingeladen. Wieder tragen sie zu Zweit. "Na, das nächste Blechpyjama für einen Verblichenen, der Rubel rollt!" lacht die Nachbarin, die mit ihrem Foxerl vorbeigeht. Die Herren schütteln den Kopf, einer sagt: "Frau Weidinger, a bisserl Respekt vor den Verblichenen, wenn i bitten darf!"

Frau Weidinger bleibt mit ihrem Foxerl stehen, sagt: "Geh'! Hören's mir auf, bald holen's mi, Humor, meine Herren, Humor! Sonst ertragt man's nicht!"

Kurti steigt ins Auto ein, murmelt: "Da hat's Recht, die Oide, die is auch schon zwischen Gut und Böse." Der andere Mann nickt. 

Sie fahren in die Ozwirkgasse und bleiben vor einem Einfamilienhaus stehen, laden den Blechsarg aus, gehen damit zur Gartentür. Kurti läutet an. Es macht ein alter Herr auf. Auf einmal schlägt er die Hände zusammen, schreit: "Na! Nachbarhaus! Lasst mich noch leben!" Er lacht aber sogleich. Kurti sagt: "T' schuldigung! Bis bald!" Der Mann lacht wieder und geht ins Haus zurück, schließt die Türe. 

Im Nachbarhaus sind sie richtig. Man hat sie schon erwartet. Beide Männer ziehen ernste Gesichter auf. So wie der Himmel, der macht jetzt auch ernst und wird dunkel. Die Frau, tränenüberströmt, sagt: "Da habt's a bissl a Geld, kauft euch a Bier, das habt's verdient." Ein letzter Blick auf ihren Willi, dann atmet sie aus. "Was mach i denn jetzt ohne dich?"

Kurti legt den Arm um ihre Schulter, sagt: "Leben."

Sie nickt.

Draußen schüttet es in Strömen.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.06.25, 22:41)
Die Reihe gefällt mir weiterhin gut, diesmal mit ihrem morbiden Humor und der passenden, gar nicht so unklugen Lebensweisheit am Schluß. Die Pointe ist gut eingesetzt.

 Saudade meinte dazu am 01.06.25 um 22:58:
Danke. Die Konditorei am Zentralfriedhof ist auch das Thema: Du lebst noch - genieße es.

 S4SCH4 (01.06.25, 23:37)
Langweilig. Von Anfang an! ALso nach dem ersten Satz (der klang vielversprechend). Begrab derartige Textavancen lieber, oder versetze sie mit Höhepunkten, die nicht im Unterbewussten gesucht werden wollen. Ich habe gut reden, aber sheiß auf mich... es geht ja um dich

 Saudade antwortete darauf am 02.06.25 um 00:23:
Was ist denn nicht langweilig, ohne permanente Kraftausdrücke, die momentan ganz "in" hier sind?

Antwort geändert am 02.06.2025 um 00:29 Uhr

 Graeculus schrieb daraufhin am 02.06.25 um 01:48:
Hier beobachtet jemand eine Szene und kleidet sie in Worte. Dabei erwarte ich keine Spannung, sondern Präzision, auch in den Details, ... und Humor. Das hat dieser Text.

 Saudade äußerte darauf am 02.06.25 um 02:16:
Wiener Humor ist nicht jedermanns Sache. Du hast in Wien gelebt, kennst die Leute.

 S4SCH4 ergänzte dazu am 02.06.25 um 05:01:
Ein anti-Kraftausdruckstext, der es irgendwie schafft jenen betreffenden Texten zu zeigen, wo der Frosch die Locken hätte, ist schonmal super!  

Ansonsten fällt in jedem Fall, die gestrige Bewertung des hier vorliegenden Textes auf den hier Kommentierenden zurück; und jede Entschuldigung wäre ihm etwas, dass er sich ganz eitel selbst zuschriebe, alles andere hingegen, sehr wahrscheinlich totaler Schwachsinn. Also, hoffentlich komme ich aus dieser Zwickmühle raus, mit dem Versprechen, zukünftig mehr bewusstes Gewicht darauf zu legen, was mir an Texten gut gefällt …

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 09:22:
Das war nicht meine Frage. Ich fragte: Was ist nicht langweilig? (Allgemein) Interessiert mich.

 S4SCH4 meinte dazu am 02.06.25 um 09:49:
Spannend ist dein Text zum Wahn, sehr stimmungsvoll gelungen ist dein Text zum Freibadpanorama.
Allgemein trifft sich der Geschmack von Texten wohl immer dem individuellen Zeitgeist gemäß, aber da man nie so genau weiß, was dem Einzelnen oder auch vielen gerade so genehm sei und sie anregt, bleibt sowas ein Beobachten (und ein auftischen) par excellence.
Falls du eine Wunschliste hast und noch Themen dazu annähmst, hier mein Input: W.Ambros Biopic, Die Zubereitung von türkischem bzw. griechischem Kaffee, Realität und Traum, Gesicherter Erkenntnisse der inneren Stimme,…

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 10:01:
Ist also nicht langweilig, was man nachvollziehen kann? Liege ich in der Annahme richtig, dass das, was der Mensch gar nicht kennt, zumeist ablehnt? Und Texte, die sich um das eigene Ich kreisen entsprechen vermutlich dem Zeitgeist bei 15- 50 jährigen. Könnte das so hinkommen?

 S4SCH4 meinte dazu am 02.06.25 um 10:21:
Oft wird abgelehnt, weil man es nicht kennt, kann sein, ist bekannt. Doch oft wird auch angenommen, weil man es nicht kennt, das ist die sogenannte unterbewusste „Dunkelziffer“, die nicht unbedingt niedriger sein muss wie die der Ablehnung.
Um das eigene ich kreist doch alles, irgendwie; selbst die Beobachtung, diese ist sehr „(eye) i-related“ (deutsch: ichbezogen), auch wenn man bisweilen im Versuch begriffen ist, sich von einem (bösen) ich zu lösen, doch wo käme man dann hin? Ins Über-ich? Etwas das ist und nicht ist? Ein Geist basierend auf dem Wiederspruch? Etwas, dass nur die Hände frisst die füttern? 

Um klarer zu werden: Diese Beobachtungen in Textform verdienen Peaks beider ich-bezüge, damit sie auf mich als Leser wirken. Kraftausdrücke sind ein Mittel, eine Akzent. Deswegen sagte ich ja: ein Text, eine Beobachtung, frisch und mit stilistischen Mitteln gegen die üblichen Kraftausdrücke, fände ich super. Aber bitte nicht ein Herzchen (vom ich) vergessen. Nun, aber der vorliegende Text behandelt ja auch den Tod. Passend. Irgendwie.

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 10:23:
Er behandelt das Leben und die kurze Zeit. Mach was draus.

 S4SCH4 meinte dazu am 02.06.25 um 10:40:
Achso, stimmt.
In dem Sinne:
 
Wie wäre es mit "aus-versehen-die-Autohupe betätigen"? 
Wie wäre es mit einer elektrifizierten, aufgeladenen Schulterberührung, weil statisch aufgeladen?
Wie wäre es mit einer Delle im Blechsarg? 
Es wären mir kleine und unperfekte Akzente in der Beobachtung, die das ganze aufheitern würden. Der Text biegt mit den Svarowksi Thema am Anfang ungünstig ab.

Humor wird zwar angedeutet, bleib aber nur wie der Geruch des Verwesens irgendwo.

Die Stimmung mag aber sicher ihre Anhänger finden...siehste ja oben und unten im Kommentarbereich.

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 10:58:
Richtig und wenn nicht, ist es auch egal. Wir definieren uns nicht über unsere Texte. ;)

 Regina meinte dazu am 02.06.25 um 11:20:
In Erzählungen ist so eine Szenebeschreibung manchmal ein Haltepunkt, bevor die Handlung weitergeht und macht die Story gerade spannend. Lies mal Hemingways "Farewell to arms", deutsch "Abschied von den Waffen" oder so, wo er zwischendurch pausiert und dich in eine italienische Bar entführt, so dass du meinst, geradewegs dort zu sein und gleichzeitig bist du gespannt, wie es mit dem Abenteuer weitergeht. Wie macht er das? Durch detailgetreue Beschreibung.

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 11:23:
Ja, ich mag das auch gerne. Zu viel wurde es mir bei Jules Verne.

 Regina (02.06.25, 05:24)
Wieder ein gelungenes Bild, das von der Beobachtung der Details lebt. Sozusagen Malerei als Text.

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 09:23:
Danke! Ich übe noch. :)

 Graeculus meinte dazu am 04.06.25 um 00:27:
Malerei als Text, das ist gut. So kann es weitergehen.
Selbstverständlich gibt es auch andere Arten von Text, auch in Deinem eigenen Werk, aber diese, diese neue Art ist faszinierend, ohne jemanden zu überwältigen oder zu provozieren.

 Saudade meinte dazu am 04.06.25 um 00:29:
Dankeschön. Freue mich sehr über die Resonanz. Wenn ich etwas gerne mache, dann ist es beobachten. Manchmal sitze ich irgendwo und sauge regelrecht das Treiben auf. Das ist total entspannend.

 Graeculus meinte dazu am 04.06.25 um 00:36:
So kommt es auch rüber: als das Schreiben eines Menschen, der gut beobachtet und seine Freude darean hat.
Das freut. Mir ist bzw. wird klar, daß die Stimmung eines Autors, der Freude an seinem Werk hat, sich den Lesern mitteilt.
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