Uneinsichtig und dann die Wende

Erzählung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  LEBENSSPLITTER

Als sich ewig Streitender mit seinem Vater machte sich der pubertierende Knabe Helmut zu einem Menschen, der sich immer im Recht fand. Das fand sein Vater ungehörig und knallte ihm oft eine Ohrfeige rechts und eine links – wegen der Symmetrie im Gesicht. Helmuts Wangen wurden dann knallrot. Schon als schreiendes Baby konnte er nicht klarmachen, was er wollte. Die Mutter war eher überfordert vom ewigen Jammern ihrer Tochter Melanie. Auch das häufige Stillen brachte nur kurzzeitige Beruhigung in das unruhige Kind. Der Vater war schnell genervt und verließ die Familie schon im ersten Jahr des Daseins seines Nachwuchses.
Später in der naheliegenden Kita machten die Kinder so viel Trouble, dass ihre Mutter verzweifelt Ausschau nach einer Tagesmutter hielt. Nach vier Wochen fand sie endlich eine sehr in sich ruhende Frau aus der Nachbarschaft, die bereit war zu ihr in die Wohnung zu kommen und es mit den Kindern aufzunehmen. Diese las viel vor und das kleine Mädchen hörte gebannt zu, obwohl es die Geschichten sicher noch nicht alle verstand. Die wohlklingende und klare, durch nichts aus der Fassung zu bringende Stimme der Frau wirkte beruhigend auf die Kinder. Der Junge zappelte zwar immer rum auf dem Stuhl, aber störte nicht dabei.
Als die Tochter fünf Jahre alt war, redete sie fast wie eine Erwachsene und die Mutter beschloss im Einverständnis mit dem Schuldirektor, sie vorzeitig einzuschulen. Lesen und schreiben konnte sie zu dem Zeitpunkt schon. In der vierten Klasse schrieb sie Texte, die ihre Grundschullehrerin immer wieder in Erstaunen versetzte. Die Mitschülerinnen und Jungen der Klasse fühlten sich zurückgesetzt, weil ausgerechnet die Jüngste immer gelobt wurde und die anderen sich vernachlässigt fühlten.
So wurde sie zur Außenseiterin und viel gehänselt. Das zog sich durch ihre gesamte Schulzeit, so dass sie nie eine Freundschaft mit anderen Mädchen, geschweige denn Jungen schließen konnte.
Nach dem glänzenden Abitur studierte sie Germanistik in einer fremden Stadt am anderen Ende von Deutschland. Sie wollte weit weg von Mutter und dem Ort, wo sie gehänselt wurde. Diese atmete auf, als sie von der ewigen Besserwisserei ihrer Tochter befreit war.
Als junge studierende Frau beschloss diese  neben ihrem Studium Geschichten zu schreiben, denn sie wollte Schriftstellerin werden. In zwei Gastsemestern in den Vereinigten Staaten belegte sie Creativ-Writing-Kurse und schrieb Short-Stories. Zurück in Deutschland stellte sie einige davon in das Internet. Die Resonanz war bescheiden. Doch sie wusste, meinte sie jedenfalls, dass sie die Beste war. Ihre Deutschlehrerin hatte das immer wieder bestätigt und sie klammerte sich mit Nachdruck an diese Sicht der Dinge. Es hatte sich in ihr Gehirn eingebrannt. Das fand sie nicht ungewöhnlich, denn fast jeder will wissen, auf was er sich einlässt ehe er alte Denkweisen beendet und dann erst Neues möglich wird.
Sie zögerte einen mutigeren Schritt zu tun, da sie dann Abschied hätte nehmen müssen, die Beste im Schreiben zu sein. Wenn sie in ruhigen Momenten in sich hineinhorchte, hörte sie im tiefsten Innern die wohlklingende und klare Stimme ihrer Kinderfrau und wusste, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern würde, dass sie dann keine Freunde finden würde. Noch hatte die Angst sie fest im Griff, doch ihr war klar, dass sie etwas ändern musste um ihr Verlangen nach menschlicher Bindung stillen zu können. 

Ihr Bruder blieb in der ersten Klasse des Gymnasiums sitzen. In erster Linie weil er sehr faul war. Nach der Mittleren Reife, die er mit Ach und Krach schaffte, machte er eine Lehre als Elektromechaniker und schloss die vorzeitig mit GUT ab. Das motivierte ihn eine Aufnahmeprüfung für ein Fachhochschulstudium in Elektrotechnik zu machen. Dann hängte er noch eine Hochschulprüfung mit einem Diplomabschluss dran und studierte Betriebswirtschaft mit Wahlfach Wirtschaftspädagogik. So wurde er Berufsschullehrer – ein langer, aber auch sehr interessanter Weg.

 

 

 



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