1984

Anekdote zum Thema Allzu Menschliches

von  diestelzie

Gerade hatte Constanze ihre Ausbildung begonnen, als sie sich auch schon unsterblich verliebte. Er war groß und der weiße Arztkittel machte ihn unbeschreiblich attraktiv. Sein Haar war schon sehr ergraut und unterstrich die Seriosität eines Chefarztes. Das Alter schätzte sie auf etwa 50 Jahre.

Constanzes Arbeitstag auf der gynäkologischen Abteilung des städtischen Klinikums begann um 5:30 Uhr mit dem Wischeimer in der Hand. Danach war - mit einem kleineren Eimer - staubwischen angesagt. Das alles störte Constanze wenig. Im ersten Lehrjahr wurde einem Sauberkeit gelehrt. Sie freute sich auf den einen Lichtblick des Tages. Sobald Chefarzt Dr. P. auf Station erschien, ging für sie die Sonne auf.

Constanze überlegte ernsthaft, in seiner Nähe eine Ohnmacht  vorzutäuschen, damit er sie wahrnahm. Wenigstens einmal! Sie träumte davon, in seinen Armen zu liegen und in seine sorgenvollen Augen zu blicken.

Dr. P. unterrichtete neben seiner Tätigkeit als Chefarzt das Fach Gynäkologie an der medizinischen Fachschule.  Constanze fieberte der ersten Unterrichtsstunde entgegen. Gerade noch hatte sie sich vorgestellt, wie er sie für ihren Fleiß und ihre überdurchschnittlich guten Noten lobte, als sich die Tür des Klassenzimmers öffnete und Dr.P. durch genau diese Tür trat. Das war genau der Moment, in dem die Liebe erlosch. Constanze sah einen Mann in Hosen, die etwa fünf Zentimeter oberhalb der Knöchel endeten, in einer knallblauen Jacke mit Gürtel und einer Mütze auf dem Kopf, die eher an Egon Olsen als an ihren Traummann erinnerten. 

Eine unbeliebte Angewohnheit des Dr. P. war, zu Beginn jeder Unterrichtsstunde eine Schülerin an die Tafel zu holen, sie dort zu befragen und zu benoten. Eines Tages war auch Constanze an der Reihe. Es gelang ihr noch nicht so ganz, in Gegenwart des Dr. P. die notwendige Fassung zu bewahren und ihre Nerven flatterten heftig, als er sie aufforderte:

"Nennen Sie mir bitte die sicheren Anzeichen für den Beginn einer Geburt."

"Der Abgang von Fruchtmilch!"

"Welche Sorte?"


Das ersehnte Loch im Boden, um darin zu verschwinden tat sich nicht auf!



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Kommentare zu diesem Text


 franky (04.08.25, 08:49)
Hi liebe Kerstin, 

Das hast Du wunderbar, spannend geschrieben. 
War gerne bei Dir auf besuch;-) 

Liebe Grüße von Franky

 diestelzie meinte dazu am 05.08.25 um 08:42:
Hallo lieber franky,

ich habe mich sehr über deinen Besuch gefreut. Danke dafür und auch fürs Empfehlen.

Liebe Grüße
Kerstin

 Teo (04.08.25, 09:26)
Moin Kerstin,
Einfach herrlich!
Ich kenne Ärzte mit einem ähnlichen Humor.
Gruß in die ostdeutsche Taiga.
Teo

 diestelzie antwortete darauf am 05.08.25 um 08:47:
Hallo Teo,

ich kenne auch einige Ärzte, doch heute sind ja viele sehr viel jünger als ich und lassen bei mir höchstens Muttergefühle aufkommen.  

Liebe Grüße aus dem Osten nach Herne.
Kerstin

 IngeWrobel (04.08.25, 09:27)
Das ist so authentisch und nachvollziehbar beschrieben, dass ich zum Ende gar nicht überrascht war. 
Ähnliches, wenn auch in völlig anderem Arbeitsbereich, ist mir auch schon geschehen. 
Wie schön, dass frau mit zeitlichem Abstand darüber lächeln kann, denn es gibt wahrlich peinlichere Situationen. 

Danke für das Schmunzeln am Morgen! 
Liebe Grüße von Inge

 diestelzie schrieb daraufhin am 05.08.25 um 08:52:
Ich denke wir sind in unserer Jugend alle schon einmal Opfer unserer eigenen Naivität geworden  :) . Mit den Jahren wird man reifer und denkt sich irgendwann: Schade eigentlich...

Herzlichen Dank, liebe Inge, auch für deine Empfehlung und liebe Grüße
Kerstin

 Moppel (04.08.25, 09:37)
ach wie niedlich, stelzi. Ja, das Kittel-Klischee lässt sich auf viele Bereiche übertragen. Schmunzeln von M.

 diestelzie äußerte darauf am 05.08.25 um 08:59:
Ja, es gibt diese "Götter" sicher nicht nur in weiß, sondern auch im Maßanzug...oder als muskelbepackten, braungebrannten Vorarbeiter auf dem Bau, oder... als besonders herzerweichend schreibenden Autor (bei kV?)   :)

Ich dank dir, auch fürs Empfehlen.
Liebe Grüße
Kerstin

 Moppel ergänzte dazu am 05.08.25 um 10:07:
:D

 Saira (04.08.25, 09:43)
Liebe Kerstin,
 
und was lehrt uns deine Anekdote? … Schau immer erst einmal unter den Kittel eines Arztes, bevor du dich in ihn verliebst.
 
Schöner Morgenschmunzler!
 
Liebe Grüße
Saira

 diestelzie meinte dazu am 05.08.25 um 09:02:
Ja liebe Saira, unter dem Kittel ist so ein Arzt eben auch nur ein Mann. Heute weiß ich das   .

Dankeschön... auch für deine Empfehlung.
Liebe Grüße
Kerstin

 Graeculus (04.08.25, 10:57)
Da paßte wohl etwas nicht. Aber es bestätigt die alte Regel, daß alle Dinge drei Seiten haben: eine gute, eine schlechte und eine komische.

 diestelzie meinte dazu am 05.08.25 um 09:07:
Ich kannte bisher nur zwei Seiten, lieber Graeculus. Danke für die dritte, die ich ab heute immer mit dabei habe. :) 
Ich denke, die wird mir das Leben leichter machen. 

Liebe Grüße aus dem kalten Osten.
Kerstin

 AchterZwerg (04.08.25, 16:17)
Arme Kerstin,

das sind Geschichten, die das Leben schreibt!
Aber genieren musst du dich nicht. Immerhin zeigt dieser kurzbehoste Chefarzt Humor und hat seinen Scherz vermutlich noch mit der Erwähnung eines ungeduldigen Fruchtzwergs gekrönt.

Ich bin da ganz anders 

 diestelzie meinte dazu am 05.08.25 um 09:11:
Danke für dein Mitgefühl. :)

An Fruchtzwerge dachte damals im Osten wirklich noch keiner. Wir hatten höchstens Gartenzwerge.

Danke auch fürs Empfehlen und liebe Grüße  <3  .
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