Der Tag an dem NN begann ein armer alter Mann zu werden

Verserzählung zum Thema Lebensweg

von  TassoTuwas

Einhalt - inmitten aller Hast und aller Eile

dreht er die Zeit zurück um manches Jahr

ist still und sieht für eine wunderbare Weile

den alten Hinterhof - sieht wie es einmal war


Auf Trümmerstein ließ er die Zeit verstreichen

saß da und zählte Sperlingsbrut und Rattenkot

und Glieder hat er dünn wie Fahrradspeichen

es gab nur Magermilch und Margarinebrot


Im Kohlenschuppen war ein Schatz versteckt

zwei Stücke bunte Kreide und ein Puppenbein

von einem Haufen alter Lumpen abgedeckt

mehr braucht er nicht um reich zu sein


Im Überfluss zum Beispiel gab es Splitter

in jedem Finger Abenteuer fanden täglich statt

ein krummer Nagel riss die Hose das war bitter

zu Zeiten wo man nicht viel Hosen hat


Beim Studium von Funkenflug und Feuerstein

vergingen Stunden und rätselhaft verzuckte

ein ausgerissnes linkes Spinnenhinterbein

wenn er die Formel sprach und darauf spuckte


Die Mauern ringsum waren voll Gekritzel

mit Sprüchen oder Bildern die er nicht verstand

und Helga wollte mal dass er sie kitzel

wo ganz besonders und sie führte seine Hand


Mal war er Inkafürst mal Ritter mal Pirat

er scharte um sich Elfen Zwerge und Dämonen

in seinem winzig kleinen Hinterhofquadrat

war Platz und Zeit für grenzenlose Illusionen


Dann wurd er eines Tages unzufrieden

sein Hinterhof erschien ihm lächerlich und klein

da hat er sich für etwas Besseres entschieden

wollte Karriere machen und erfolgreich sein


Ab jenem Tag sind seine Träume abgemagert

und manche alte Sehnsucht ausgezehrt

Verringerung hat seitdem das Leben überlagert

die toten Dinge haben sich vermehrt



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Kommentare zu diesem Text


 Fridolin (13.08.25, 01:44)
Erinnert mich sehr an meine Lieblingssong von F.J. Degenhardt.

 TassoTuwas meinte dazu am 13.08.25 um 09:08:
Der war auch ein Guter.
Dass er reich war glaube ich nicht, aber jung ist er immer geblieben!
LG TT

 AchterZwerg (13.08.25, 07:19)
Ach, wie mich solche Wohnverhältnisse an meine eigene Kindheit erinnern!
Wir spielten glücklich in Ruinen und bauten uns aus Trümmern eigene kleine Häuser. Die Wohnung im vierten Stock des Hinterhauses machte uns nix aus ; wir waren gut zu Fuß.

Trotzdem bin ich schon froh, dass ich es heute ein wenig kommoder habe.  ;)

Liebe Grüße, der8e

 TassoTuwas antwortete darauf am 13.08.25 um 09:15:
Ist eben ein "Alte Leute Gedicht.  :)  !
Erzähl ich das meiner Nachkommenschaft, heißt es:
"Erzähl uns nichts von früher, wir leben heute"
Sie haben ja recht, wenn man sich auf dieser Welt umschaut!

Liebe Grüße
TT

 Saira (13.08.25, 08:36)
Lieber Tasso,

deine wunderbare Erzählung zeigt, wie die Kindheit eine Zeit voller Fantasie und unendlicher Möglichkeiten ist. Deine Beschreibungen von NN, der in seiner kindlichen Unschuld in verschiedene Rollen schlüpft, kenne ich noch von mir, wenn auch aus dem Wunsch heraus, der Realität zu entfliehen.


Es tut weh zu sehen, dass mit dem Erwachsenwerden oft auch eine gewisse Unbeschwertheit verloren geht und man sich immer mehr um Anerkennung von anderen kümmert. 



Im Kohlenschuppen war ein Schatz versteckt

zwei Stücke bunte Kreide und ein Puppenbein
von einem Haufen alter Lumpen abgedeckt
mehr braucht er nicht um reich zu sein
Der wahre Reichtum liegt oft in den kleinen Dingen. Wie wahr!

Deine kritische Betrachtung des Strebens nach äußerem Erfolg und die damit verbundenen Verluste des eigenen Ichs beschreibst du sehr einfühlsam und mit einem melancholischen Rückblick.

Ab jenem Tag sind seine Träume abgemagert
und manche alte Sehnsucht ausgezehrt
Verringerung hat seitdem das Leben überlagert
die toten Dinge haben sich vermehrt

 
Herzliche Grüße
Sigi

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 14.08.25 um 08:14:
Liebe Sigi,

"Ganz ohne Melancholie wäre das Leben auch nur ein trauriges Dasein!"

Herzlichen Dank dafür, dass du diesen Erinnerungen Worte mit so großem Verständnis und Mitgefühl gewidmet hast.

LG TT

 plotzn (13.08.25, 10:01)
Servus Tasso,

wenn man nichts anderes kennt, kann man auch in größter Armut glücklich sein. Erst mit dem Erwachsenwerden und dem Vergleichen wachsen bekommt diese Welt Risse.

Toll geschrieben!

Liebe Grüße
Stefan

 TassoTuwas äußerte darauf am 14.08.25 um 00:51:
Moin Stefan,

da ist es gar nicht so einfach zufrieden und bescheiden zu bleiben, wenn man jeden Tag schlauer gemacht wird.

Danke für deine Meinung

Herzliche Grüße
TT

 TassoTuwas ergänzte dazu am 14.08.25 um 00:51:
:)  !

Antwort geändert am 14.08.2025 um 00:57 Uhr

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 00:51:
Fingerfehler  :O !

Antwort geändert am 14.08.2025 um 00:58 Uhr

 harzgebirgler (13.08.25, 10:32)
:) :) 

solch auswüchsen gilt's wohlweislich zu wehren:
dass sich die toten dinge noch vermehren.

lg vom harzer

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 01:06:
Das weißt du das weiß ich das wissen viele
doch wir sind nur Figuren in dem Spiele.

Liebe Grüße
TT

 Didi.Costaire (13.08.25, 16:27)
Hallo Tasso,

das sind alles so Dinge, die man nicht kaufen kann, und wenn man sie kaufen kann, dann gibt es sie nicht mehr.

Sehr schön beschrieben!

Liebe Grüße,
Dirk

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 01:15:
Moin Dirk,

ich kann es mir nicht anders erklären.
Es muss wohl an der Krümmung des Lichts liegen!

Dank für deine Meinung,

Liebe Grüße
TT

 Moppel (13.08.25, 18:21)
in der Bescheidenheit glücklich zu sein. Ja Tasso, das kenne ich auch.
Wir spielten mit Blättern und Steinen,bauten Hütten, in der etwas späteren Nachkriegszeit. Je mehr man hat, desto mehr stirbt die Fantasie... lG von M.

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 08:22:
Die Tragik des Lebens ist, dass man sehr oft die schönen Momente, wenn sie passieren, nicht erkennt.  
Das Tröstliche ist, dass es die Erinnerung gibt.
Herzliche Grüße
TT

 Teo (13.08.25, 20:19)
Tja Tasso,
deine Verse erfüllen höchste Ansprüche.
Technisch so wie inhaltlich.
Und unser Zwerg findet Erwähnung. Das ist mir wichtig.
Die letzte Strophe lässt mich traurig werden.
Ein Gruß aus Herne
Teo

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 08:41:
Moin Teo,
ich hab ja lange an der Behauptung vieler meiner Bekannten gezweifelt, die da keck behaupten (90% attraktive Damen), Herne sei die Hauptstadt literarischer Kompetenz.
Heute ist der Tag, an dem ich meinen Irrtum bekenne!
Kein Grund zur Trauer  :) !
Grüße aus dem Bergischen
TT

Antwort geändert am 14.08.2025 um 08:49 Uhr

 Teo meinte dazu am 14.08.25 um 09:40:
Moin Tasso,
Herne ist sowieso der Knaller.
Der Name stammt übrigens aus dem Südkeltischen und bedeutet "die gnadenlosen Dreibeinigen".
Und auch die Inuit in Mittelafrika gedenken einmal im Jahr dieser herrlichen Stadt.
Um 7.54 Uhr ruft der Stammesälteste "Schaluppa! Schaluppa!" und alle 89jährigen Jungfrauen kochen Milchreis fürs Dorf.
Und...die Altölkönigin Bibiana Strunz wird jedes Jahr aus Polen eingeladen.
Ja, Hochkulturen halten zusammen!
Dir einen frostfreien Tag
Teo

 tueichler (13.08.25, 20:37)
Moin Tasso, ich kann mich den Vorrednern nur anschließen. Ein wunderbarer, wenn auch melancholischer Text!

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 08:43:
Moin mein Lieber,
da machst du nichts verkehrt!
LG TT

 hehnerdreck (14.08.25, 01:24)
Ui! Boah! Meine Güte aber auch!

Glückwunsch und Gratulation!

LG

 TassoTuwas meinte dazu am 14.08.25 um 07:56:
Manno Hehner,

ich wollte dich nicht erschrecken!

Danke und gute Besserung  :) !
TT
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