Operatschoon Kukident

Persiflage zum Thema Alter

von  Saira

„Erna?“


„Jo, Gustav?“


„Hest du mien Gebiss sehn?
In’t Glas liggt dat neet.“

Erna kiekt över de Rand vun ehr Lesebrill. Dor steiht he, de Mann, mit den se tweeunfifftig Johren lang Tisch, Bett un ok mol de Tüüb Zahnpasta deelt hett. Feinripp-Hemd, Pantoffels, un ’n lütt Lispeln bi’t Reden. Een ganz eegen Kunstwark vun Ehe.

„Mensch, Gustav, woher schall ik dat weten?“

„Ik heff dat doch gistern Oabend in dat Kukident-Gefäß leggt, as jümmer.“

„Jo, denn is dat wohl wedder op Wanderschaft. Kiek mol in’t Kühlschrank oder twüschen de Böker. Laatstens lag dat doch bi’n Goethe … dor hett dat sik wahrscheinlich wat Bildung holt.“

Gustav süüft. Een Mann verlöört in’t Läben veel: dat Hoor, de Geduld, de Richting un irgendwann ok de Översicht över sien egen Gebiss.

„Gode Idee, Erna. Aver eerst – kiek mol bitte op mien Ruggen. Dat doot mi so weh.“

Erna leggt de Zeitung to’n Sied. Siet ehr Rente hett se lehrt, to unterscheiden, wat wirklichen Smärt is un wat bloots Opmärksoomkeit bruukt. Meistens weer’t dat Laatere.
Se schiebt de Brill hoch, bückt sik vör – un stahlt still.

„Gustav! Du hest dor ’n Bisspoor!“


He dreit sik halvig, so wiet as de Rugg dat tolett.


„Een wat?“


„Een Bisspoor! As vun’n mittelgroten Räubtier!“


„Vielleicht weer dat de Katt vun de Nabohrn?“


„Ach wat – de frisst höchstens Tuna, aver keen Mannspuckel!“

Erna bückt sik dichterbi. De Afdrück sünd klor to sehn – boven un nerrn, fast symmetriesch. Se runzelt de Stirn.


„Oder … hest di sülvst bi’t?“

Gustav kiekt ehr an, as hätt se all’n Grips verlern.

„Erna, ik kumm ja nich mol bi de Footnagels – wie schall ik mi denn an’n Puckel bi’t?“

Erna nickt nüsselig. „Dor hest du wohl recht.“

Dat Slaapkamer liggt still in’t Lücht vun’n späten Vörmiddag. Stöövtrööken in’t Gegelücht, de Tapet wat vergilbt, de Luft röökt no Lavendel un Johren.
Un op Gustavs Sied – dor liggt dat.

Dat Gebiss.


Ganz still, glimmert un blank, un doch so’n bietje op Luur. Een lütt Schimmer op’n Nachttisch, ’n winzigen Tropen Kukident an de Eck – as Schaum vör’n Angriff.

Erna stemmt de Hänn in de Hüften.

„Na, dor heff wi dat ja, dat Best. Wahrschienelk hett dat in de Nacht Janker kregen.“

Gustav stellt sik dorhen, bückt sik wat runt.

„Meinst du, dat leeft?“

„Wenn dat bißen kann, is dat tominnst nich dood.“

Se stahn dor, twee olde Lüü, de sik in all de Johren an allens wöhnt hebbt – an’t Schnarchen, de Pillen, dat Stillwesen – aver ’n bißig Gebiss, dat weer wat Nees.

„Segg mol, Gustav?“

„Jo, Erna?“

„Wenn dien Gebiss di nu al in’n Slapp anfallt … villicht schull wi dat man toslapen laten?“

Se gabbeln beed, sachte, tandelos un vertraut.


Dat Gebiss aber grinst weer. Dat schien to hören.

Un janz deep in’t Huus klackert wat –
’n lütt, fast nich to hören Gedrüüs, as dat Tohsnappen vun’n ganz lütten, ganz tevräden Mund.


 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




Anmerkung von Saira:

Übersetzung Plattdüütsch-Hochdeutsch
 
Operation Kukident
 
„Erna?“

„Ja, Gustav?“


„Hast du mein Gebiss gesehn? Im Glas ist es nicht.“


Erna blickte über den Rand ihrer Lesebrille. Der Mann, mit dem sie seit zweiundfünfzig Jahren Tisch, Bett und gelegentlich Zahnpasta teilte, stand im Flur. Feinripp, Pantoffeln, leicht lispelnd. Ein Gesamtkunstwerk der Ehe.

„Mensch, Gustav, woher soll ich das wissen?“

„Ich hab’s doch gestern Abend in das Kukident-Gefäß gelegt, wie immer.“


„Na, dann wird’s wohl wieder spazieren gegangen sein. Such doch mal im Kühlschrank oder zwischen den Büchern. Letztes Mal lag’s ja neben dem Goethe … da hat’s sich vermutlich gebildet.“


Gustav seufzte. Ein Mann verliert im Leben vieles: Haare, Geduld, Orientierung – und irgendwann eben auch den Überblick über sein Gebiss.

„Gute Idee, Erna. Aber vorher – schau mal bitte meinen Rücken an. Der tut so weh.“

Erna legte die Zeitung beiseite. Seit ihrer Verrentung hatte sie gelernt, zwischen echtem Schmerz und Aufmerksamkeitsbedarf zu unterscheiden. Meistens war es Letzteres.
Sie schob die Brille hoch, beugte sich vor – und erstarrte.

„Gustav! Du hast da eine Bissspur!“


Er drehte sich halb, soweit es die Wirbelsäule zuließ.

„Eine was?“


„Eine Bissspur! Wie von einem mittelgroßen Raubtier!“


„Vielleicht war’s der Nachbarskater?“


„Der frisst höchstens Thunfisch, aber keine Rückenpolster!“


Erna beugte sich näher. Die Abdrücke waren deutlich – obere und untere Zahnreihe, fast symmetrisch. Sie zog die Stirn kraus. „Oder … du hast dich selbst gebissen?“

Gustav blickte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Erna, ich komm ja kaum an die Fußnägel – wie soll ich mich da am Rücken beißen?“

Erna nickte langsam. Da war was dran.
Das Schlafzimmer lag still im späten Vormittag. Staubfäden im Gegenlicht, die Tapete leicht vergilbt, der Geruch von Lavendel und Jahrzehnten.
Und auf Gustavs Bettseite – da lag es.

Das Gebiss.

Friedlich, glänzend, und doch lauernd. Ein leises Glitzern auf dem Nachttisch, ein winziger Tropfen Kukident an der Ecke wie Schaum vor einem Angriff.


Erna stemmte die Hände in die Hüften. „Na, da haben wir’s ja, das Biest. Wahrscheinlich hat’s in der Nacht Hunger gekriegt.“

Gustav trat neben sie, beugte sich herunter.
„Meinst du, es lebt?“


„Wenn’s dich beißen kann, ist es zumindest nicht tot.“


Sie standen da, zwei alte Menschen, die sich im Laufe der Jahre an alles gewöhnt hatten – an das Schnarchen, die Medikamente, das Schweigen, aber ein zubeißendes Gebiss war neu.

„Sag mal, Gustav?“

„Ja, Erna?“


„Wenn dein Gebiss dich jetzt schon im Schlaf angreift … vielleicht sollten wir’s einschläfern lassen?“

Sie lachten beide, leise, zahnlos und vertraut.


Das Gebiss aber grinste weiter. Es schien zuzuhören.


Und irgendwo tief im Innern des Hauses klackte etwas – ein kaum hörbares Geräusch, wie das Schließen eines sehr kleinen, sehr zufriedenen Mauls.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (14.10.25, 10:49)
Hallo Sigi,

in deiner einfallsreichen Persiflage verbindet sich Witz mit Herz. Wunderbar!

Liebe Grüße
Ekki

 Quoth (14.10.25, 12:08)
Gern auf Platt gelesen - im Hochdeutschen geht ein Teil des Humors verloren.

 DanceWith1Life (14.10.25, 15:20)
Operation gelungen, Patient freigebissen,  :ninja:

 Graeculus (14.10.25, 15:31)
Eine witzige, unterhaltsame Persiflage zum Thema "Meine Zähne und ich, wir schlafen getrennt".

Daß Dinge lebendig werden, wird in der Literatur selten behandelt. Ich erinnere mich an eine SF-Geschichte von Philip K. Dick, die damit beginnt, daß ein Mann sich nach dem Duschen abtrocknet und plötzlich sich das Handtuch zu einem Würgegriff um seinen Hals schließt.
Seit dieser Lektüre stehe ich Handtüchern mit großem Mißtrauen gegenüber. So beunruhigend ist Deine Geschichte nicht - was damit zusammenhängen mag, daß ich zwar Handtücher benutze, aber (noch) kein Gebiß trage.

Hoffen wir, daß Gustav wenigstens noch einige Zähne sein eigen nennt, denn drei davon braucht man schon, um ins Gras zu beißen.
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