Wechselseitiges Vergessen

Persiflage zum Thema Vergessen

von  loslosch

Ἐγγὺς μὲν ἡ σὴ περὶ πάντων λήθη, ἐγγὺς δὲ ἡ πάντων περὶ σοῦ λήθη (Marc Aurel, 121 n. Chr. bis 180 n. Chr.; Τὰ εἰς ἑαυτόν - Selbstbetrachtungen). Bald, und du hast alles vergessen. Bald, und alles hat dich vergessen.

Der Philosoph auf dem (römischen) Thron schrieb seine Eindrücke und Erlebnisse in Tagebuchform nieder, bemerkenswerterweise in Griechisch. Marc Aurel war eben bekennender Stoiker. In dieser wehmütigen bis launigen Sentenz spiegelt sich die Vergänglichkeit. Das Bewusstsein hierfür soll geschärft werden. In modernen Zeiten grassierender Demenz in einer schleichend alternden Gesellschaft wandelt sich die Aussage in subtile Sozialkritik: Warte, auch du wirst eines Tages die Segnungen der Altersdemenz erfahren - wenn du nur lang genug lebst und alles vergisst. Es kommt dann der Augenblick, wo dich deine Verwandtschaft ebenfalls vergessen haben wird. Zu deinen Lebzeiten schon. Dann wirst du lebendigen Leibes begraben sein.

Einschränkung: Eine unter sich verfeindete Verwandtschaft belauert wechselseitig die Schritte von ihresgleichen. Eine moderne Variante gelebter sozialer Kontrolle.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (26.01.12)
Sehr schön geschrieben!
Ich finde mich wieder in meinem Abschied vom Schuldienst vor anderthalb Jahren, ich spüre, wie sich die Schule von mir entfernt und wie ich mich von ihr entferne. Es ist ein Trauerprozess (auf meiner Seite), die andere Seite lebt über mich hinweg. Life is life.
d. d. U.

 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
... lebt über dich hinweg. stimmt. aber nur schülerseitig. die werden jahr für jahr (relativ) ein jahr jünger.

nicht aber das kollegium. etliche träumen vom ruhestand oder dem vorruhestand - nach sog. burn-out-syndrom ... t.t. lothar

 Bergmann antwortete darauf am 26.01.12:
v. v. (wohl wahr)

 loslosch schrieb daraufhin am 26.01.12:
könnte das heißen "valde vere"?

 Bergmann äußerte darauf am 26.01.12:
Grandios, Lothar! Ita est.
managarm (57)
(26.01.12)
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Nimbus (37) ergänzte dazu am 26.01.12:
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 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
ich lege meine quellen offen, frank! darum haperts mit der zelebrität. wobei: die schlusszeilen deuten real erlebtes an. lothar
managarm (57) meinte dazu am 26.01.12:
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 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
überhaupt nicht missverständlich, frank. ich suchte nur nach einem grund für meine eigene bedeutungslosigkeit.
managarm (57) meinte dazu am 26.01.12:
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Nimbus (37) meinte dazu am 26.01.12:
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 EkkehartMittelberg (26.01.12)
Für die alten Römer war das ruhmreiche Weiterleben nach dem Tode in der Geschichtsschreibung (gloria) viel wichtiger als für uns heute. Ich vermute deshalb, dass Marc Aurel mit seinem Spruch auch dem Vergessenwerden vorbeugen wollte. Das ist ihm ja auch als Philosophenkaiser hervorragend gelungen.

 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
deine vermutung verschafft mir gewissheit, ekki.

Besitz stirbt,
Sippen sterben,
Du selbst stirbst wie sie.
Eins weiß ich:
dass ewig lebt der Toten Tatenruhm. (aus der edda, 13. jh.)

1300 jahre früher schon sagte Cicero: "Was aber werden die Chroniken in etwa 600 Jahren über uns verkünden? Das beunruhigt mich weit mehr als das Geschwätz der Menschen, die heute leben." [s. 207f der aphos.] in den briefen ad Atticum. dieses nachruhm-denken ist wohl mehr als 3.000 jahre alt und spielt unterschwellig noch heute eine beträchtliche rolle. many thanks. lothar
ichbinelvis1951 (64)
(26.01.12)
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 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
zum ersten zitat empfehle ich gern:  Erkenntnisgewinn. keine leichte kost, klaus. danke dir vielmals lothar

 ViktorVanHynthersin (26.01.12)
Aurels Aussage "Bald, und du hast alles vergessen. Bald, und alles hat dich vergessen.", bekommt in Verbindung mit einer verfeindeten Erbengemeinschaft (siehe Dein letzter Absatz)eine besondere Note. )
Herzlichst
Viktor

 loslosch meinte dazu am 26.01.12:
beim erben liegst du richtig, viktor. coram publico: ich war der alleinerbe. potentielle nacherbin verschwor sich mit einer verwandten familienrichterin, die im zuständigen provinzgericht ihr "segensreiches" wirken entfaltete. eine demente alte dame erhielt phasenweise lebhaften besuch. zuletzt war meine mutter nicht mehr in der lage, mich über die besuche korrekt zu unterrichten. heute muss ich darüber lachen. es war damals zum WEINEN. danke für das zielführende nachdenken. lothar
(Antwort korrigiert am 26.01.2012)
Graeculus (69) meinte dazu am 10.02.15:
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 loslosch meinte dazu am 21.10.15:
fraglich. - was ekki dazu schreibt, stimmt immer noch:

"Für die alten Römer war das ruhmreiche Weiterleben nach dem Tode in der Geschichtsschreibung (gloria) viel wichtiger als für uns heute."

obwohl natürlich das "römische denken" bei den heutigen politikern an boden gewinnt. (ich denke an mutti.)
Graeculus (69)
(11.07.16)
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 loslosch meinte dazu am 11.07.16:
oh, schon vergessen, dass du in 2015 kommentiert hattest?
(Antwort korrigiert am 11.07.2016)
Graeculus (69) meinte dazu am 11.07.16:
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 loslosch meinte dazu am 11.07.16:
unter uns: der kommentarstrang war überschaubar.

was ich als text geschrieben habe, damit komme ich klar, nicht aber damit, was ich bereits veröffentlich habe und was noch im speicher ist.
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