Das Wehr
Erzählung
von Quoth
"Bitte nimm es nicht ernster, als es verdient," sagte sie mit einer für ihre 16 Jahre erstaunlichen Abgeklärtheit zu dem jungen Soldaten, der noch völlig durcheinander war. Überraschend war ein Liebeserlebnis über ihn hereingebrochen, und dabei hatte er dem Mädchen doch nur beim Aufpumpen des Fahrrades geholfen. Als der Reifen wieder richtig hart war, hatte sie auf den Platz neben sich auf ihrem Handtuch gedeutet, er hatte sich hingefläzt, sie hatte ihn gefragt, ob er eigentlich wisse, wie nett er sei, hatte ihn mit ihren grünen Augen spöttisch angeschaut und ihm die weiße, sommersprossige Hand auf den Arm gelegt. Ihm waren Schrammen und Blutergüsse aufgefallen, die ihren Körper verunzierten, ja, ihre äußere Erscheinung hatte ihn beinahe ein wenig abgestoßen, gar zu schmächtig und hingehuscht erschien sie ihm, als sei sie in eine Maschine geraten, die sie in sich verdreht und abgeflacht hatte.
Der Lech trug seine glasgrüne Fläche mit stummer Eile an ihnen vorüber, es war ein gigantisches Fließen, ohne dass von Fließen eigentlich die Rede sein konnte, fast hatte man das Gefühl wie in einem anfahrenden Zug: Als werde der Bahnhof vorbeigeschoben. Es war eher die Schwäche, ja, Hinfälligkeit des Mädchens, die ihn angezogen und vermocht hatte, sie zu umarmen und sich auf kindlich-eilige Art unter der Wolldecke mit ihr zu vereinen, was sie beide mit Scham erfüllte, doch er fragte nach ihrer Adresse, und darauf kam dieses "Bitte nimm es nicht ernster, als es verdient." Er schob ihr Rad den Berg hinauf, dort oben irgendwo gab sie vor, zu wohnen, aber bevor sie in Blickweite ihres Hauses kamen, übernahm sie das Rad und bat ihn zurückzubleiben, weil ihre Eltern sie nicht in seiner Begleitung sehen dürften, ihr Vater besonders sei streng und würde sie schlagen.
Eduard kehrte in die Kaserne zurück, wo der Ausbildungsdienst ihn ablenkte, aber am Sonntag darauf stellte er sich auf demselben Uferwiesenzipfel wieder ein, und wieder saß die Sommersprossige dort mit ihrem Fahrrad, das diesmal keinen Platten hatte, sie schien ihn erwartet zu haben, war nicht überrascht, aber diesmal sprachen sie lange miteinander, bevor sie unter der Wolldecke zusammenkrochen wie zwei Erfrierende. Sie klagte wieder über ihr Elternhaus, das ihr nur den sonntagnachmittäglichen Badegang an den Lech erlaube, sonst nichts, nicht einmal in die Pfarrgemeindejugend lasse man sie, gar nicht zu reden von Tanzveranstaltungen, und wenn ihr Vater erführe, dass sie einen Soldaten zum Liebsten hätte, er würde sie totschlagen, und sie ertrage es alles nur, weil sie einen Freund habe, dem sie alles anvertraue, Eduard horchte auf, aber sie lächelte ihn wissend an, hatte ihn absichtlich aufs Glatteis geführt und erläuterte nun, sie spreche von ihrem in Leder gebundenen Tagebuch, das mit einer Schließe verschlossen sei, für die sie den Schlüssel, sie wies auf das Kettchen an ihrem Hals, immer bei sich trage. Der unschöne Körper der Kleinen war so geschmeidig und in all seiner Dürftigkeit so lasziv, dass Eduard alles tat, was er von ihm erheischte, und willenlos förmlich in ihn auslief. Anschließend war er so erschöpft, dass er sich nicht ins Wasser traute aus Angst, dem ungeheuren Druck nicht standhalten zu können und an das Wehr gedrückt zu werden, über das der Lech hier hinwegglitt, ihm war das einmal passiert, und er hatte Todesängste durchgestanden, das Mädchen aber brach auf und bat ihn, diesmal ganz zurückzubleiben, so dass er liegen blieb und dem ungeheuren glasgrünen Vorbeigleiten zusah, bis er fast den Zapfenstreich überschritten hätte.
So ging es den ganzen Sommer während des Lehrgangs, bis kurz vor Schluss ein Heraustreten zu ungewöhnlicher Zeit befohlen wurde, der Leutnant war nicht allein, sondern ein Mann begleitete ihn mit einem zylindrischen Kopf, den eine brutale Glatze nach oben abschloss, ein glattrasiertes Kinn nach unten, und dazwischen nur Hass. Der Leutnant ließ sie im Stillgestanden stehen, was ungewöhnlich war, und der Fremde schritt die Front ab, schaute sich die Soldatenköpfe im Einzelnen an, und als Eduard ein quadratisches, in braunes Leder gebundenes Buch unter seinem Arm sah, wurde ihm mulmig. Hier wurde ein Kindsvater gesucht, und wenn die Kleine ihrem Tagebuch sein Aussehen anvertraut hatte, dann war er geliefert. Sollte er nicht am besten mannhaft den Arm heben und sich bekennen? Verdiente sie es nicht, dass er zu ihr stand? Die Vorstellung, was sie zu leiden gehabt hatte seit der Entdeckung, drehte ihm fast den Magen um. Er redete sich damit heraus, dass ein Melden, also ein Hochheben des Arms, im Stillgestanden nicht erlaubt war, und der hasserfüllte Blick des Vaters tastete sein Gesicht ab und ging zum Nächsten über. Sie hatte ihn nicht beschrieben, kluges Ding! dachte er dankbar, aber nun lag die Verantwortung bei ihm: Sollte er sich davonstehlen? Mit dem Für und Wider dieser Frage beschäftigt, sah er den Mann stehen bleiben, das Tagebuch öffnen und auf eine Stelle zeigen. Der Leutnant schaute einen Soldaten namens Schlösser an, der in Kolumbien geboren war, ein hübscher Kerl mit einem Muttermal auf der Stirn, sah in das Tagebuch und nickte, Schlösser musste dem Mann ins Kompaniezimmer folgen, und Eduard schwankte zwischen Eifersucht und Erleichterung.
"Wir machen uns hier nicht gerade beliebt am Standort," sagte der Leutnant, "wenn wir die minderjährigen Töchter der Bürger schwängern, die dann in den Lech gehen und man sammelt sie tot und plattgequetscht vom Wehr wie dieses Mädchen, dessen Leiche ich mir als Verantwortlicher habe anschauen müssen: Verdreht und mit Blutergüssen und Schrammen übersät, was für ein Ende für ein hoffnungsvolles junges Leben!"