Kaje Klabauter

Märchen zum Thema Angst

von  GillSans

Der Klabautermann Kaje stand wie jede Nacht – natürlich unsichtbar – auf seinem Schiff und starrte auf die raue See. Nein, er hatte heute keine Lust Schabernack mit den Matrosen zu treiben. Er wollte auch nicht herum poltern. Denn das tat er bereits seit einhundertundachtundsiebzig Jahren. Er lehnte an der Reling und zog nachdenklich an seiner Pfeife. Ach, wie gerne würde er nur einmal das Festland betreten um sich dort umzuschauen. Das durfte er jedoch nicht. Ein Klabautermann muss immer auf seinem Schiff bleiben. Es sei denn, es geht unter. Würde er es vorzeitig verlassen, wäre dies ein großes Unglück für seine Schiffscrew.

Er seufzte und murmelte in seinen roten Bart: „Ach, mein Leben ist ja so was von
langweilig! Ich wünschte ich wäre ein ganz normaler Matrose. Dann könnte ich von Bord gehen, hätte vielleicht sogar eine niedliche, kleine Frau, die irgendwo auf dem Festland auf mich wartet und mir leckeren Kuchen bäckt! Kinder hätte er mindestens
acht. Vier Mädchen und vier Buben!“ Der Kaje hatte noch nie ein Kind zu Gesicht bekommen, nur davon gehört. Die Matrosen erzählten oft von ihren Familien auf dem Festland. Wenn er ihnen zuhörte wurde er sehnsüchtig und sehr traurig. Er war allein und sehen konnte man ihn fast nie. Er durfte sich nur blicken lassen, wenn ein Unwetter kam, um den Kapitän zu warnen. Unwetter gab es jedoch nicht allzu oft. So wie es aussah auch heute nicht.

Was blieb ihm also anderes als weiterhin geduldig herum zu poltern, die Matrosen zu necken und solange als guter Geist auszuharren bis das Schiff irgendwann einmal untergeht.

„Tolles Leben!“ resigniert starrte er auf die Wellen, die wie kleine wilde Tänzerinnen
auf der Wasseroberfläche herum sprangen. 

Wie er so in sich gekehrt und traurig an Deck stand bemerkte er den kleinen Wassergeist Ekke Nekkepenn nicht. Er war gerade aus dem Meer entstiegen und stand neben Kaje, der für ihn sichtbar war. Ekke Nekkepenn war nur etwa einen halben Meter groß, man konnte ihn leicht übersehen. Also zupfte dieser Kaje am Hemdsärmel. „Hey, du! Hast du etwa keine Lust mehr herumzuklabastern?“ 

Dem Kaje wäre fast die Pfeife aus dem Mund gerutscht, denn er bekam eigentlich nie Besuch. Neugierig betrachtete er den kleinen Burschen, ohne ihm eine Antwort zu geben. Aus Ekkes grünen zotteligen Haaren tropfte das Wasser auf den Schiffsboden. Seine kleinen roten Augen blitzen durch die Nacht, wie zwei Feuerbojen. Er trug einen silbernen Schuppenmantel und seine nasse Haut schimmerte in allen Regenbogenfarben.

„Ich vernahm dein Seufzen. Bist du etwa traurig?“ hörte Kaje den Wassergeist fragen.

„Ach, ich habe dieses Leben satt!“ antwortete Kaje und erzählte Ekke Nekkepenn von seiner Sehnsucht nach dem Festland und dass er so gerne eine Frau hätte.

Der kleine Kerl hörte ihm verschmitzt zu und seine Augen blitzen verstohlen hin und her.
Als der Klabautermann seine Rede beendet hatte, sah man Ekke wie einen nassen Gummiball auf und ab hüpfen, dabei schrie er: „Ich habe eine Idee, eine Idee, eine Idee!“
„Und kann man auch erfahren um was  für eine Idee es sich handelt?“ Kaje erhob erstaunt seine buschigen roten Augenbrauen.
„Selbstverständlich!“ Der kleine brach seine „Hüpferung“ ab und wurde tot ernst.
„Ich habe dir einen Vorschlag zu unterbreiten. Wenn deine Crew an Land geht werde ich hier für dich die Stellung übernehmen. Du kannst dich sichtbar machen, mit den anderen aufs Festland gehen, um dir eine Frau zu suchen. Die einzige Bedingung ist: du hast nur vier Stunden Zeit. Solltest du bis dahin nicht wieder hier sein, mit samt einer Frau versteht sich, dann übernehme ich die Klabautermacht auf diesem Schiff. Solltest du eine Frau finden, aber nicht rechtzeitig hier sein, dann ist sie mein, deine Frau. Und? Was meinst du?“ Ekke Nekkepenn neigte seinen Kopf nach vorne und schaute Kaje tief in die Augen.
Dieser zögerte noch mit seiner Antwort. Doch, was hatte er schon zu verlieren, außer das Schiff. Warum sollte er es nicht schaffen? Schließlich nahm Kaje das Angebot an.

So kam es, dass schon am nächsten Abend die Crew den Anker auswarf um mit Ruderbooten an Land zu schippern. Kaje saß – noch unsichtbar – zwischen den Matrosen, neugierig auf sein bevorstehendes Abenteuer. Endlich hatten sie das Ufer erreicht. Fröhlich singend verschwanden die Männer in einer fahl beleuchteten Taverne. Als Kaje mit seinen Füßen den Boden des Festlandes berührte wurde er sichtbar. Neugierig schaute er sich um.

Der listige Ekke Nekkepenn unterdessen freute sich wie ein Schneekönig, denn lange schon suchte er nach einem klabauterlosen Schiff. Seines war vor hunderten von Jahren gekentert und Ekke verbrachte seither seine Zeit heimatlos in der rauen See. Er kicherte vor sich hin, denn er wusste wie schwer es war innerhalb kürzester Zeit ein weibliches Wesen zu finden, das bereit wäre mit einem Klabautermann zusammen zu leben. Zumal Frauen sowieso nichts auf Schiffen zu suchen haben. Sie bringen angeblich Unglück. Ekke war sich seiner Sache also sicher.

Und Kaje? Er befand sich bereits mitten auf der Suche nach einer geeigneten Frau.
In einer kleinen Schenke am Waldesrand hatte er sich einen Krug Rum bestellt. Dort hörte er, wie die Leute sich die Geschichte von einem schönen aber unglücklichen Mädchen erzählten. Diese wäre verwünscht und könne nicht mehr lachen. Nur wer sie zum Lachen brächte, könne diesen Zauber brechen und würde sie zur Frau bekommen. Doch keiner hätte das bisher geschafft. Denn das schöne Mädchen wäre so traurig, dass es einem unmöglich macht in ihr Haus zu gelangen, da ganze Sturzbäche aus Tränen aus ihrem Haus fließen.

Nach dem dritten Krug Rum wurde unser Kaje mutig: „Sagt mir, wo kann ich das unglückliche Mädchen finden?“

Da wurde es ruhig in der Schenke und die Leute drehten sich neugierig nach dem Klabautermann um.
„Im Wald.“ entgegnete ihm ein alter zahnloser Mann. „Geh immer dem Gejammer nach, dann wirst du sie schon finden! Aber gib acht auf dich, kein Freier ist bisher zurück gekommen.“

Hastig trank Kaje seinen Rum aus. Ein kurzer Blick auf die alte Uhr in der Ecke. Es blieben ihm nur noch drei Stunden. Er machte sich auf die Socken.

Als er den dunklen Wald betrat hörte er von Weitem ein trauriges Klagelied erklingen.
Das musste die Stimme des Mädchens sein. Er folgte dem Wimmern. Dabei kämpfte er sich durch die Büsche und Bäume, die eng gedrängt kaum einen Durchlass boten.

Nach etwa einer Stunde hatte er das Haus erreicht. Der Zahnlose hatte Recht behalten. Aus Fenster und Türen stürzten tatsächlich ganze Tränenfälle heraus.

„Ach du meine Nase!“ dachte der Klabautermann. Nur gut, dass er schwimmen konnte. Er war sogar ein besonders hervorragender Schwimmer!
Er zögerte nicht lange und versuchte erst einmal durch die Haustür gegen den Strom anzukommen. Jedoch erfolglos. Der Tränenfluss war einfach zu heftig. Er beschloss an der Hauswand hinauf zu klettern um es durch ein Fenster zu versuchen. Aber auch da hatte er zu wenig Kraft und er rutschte mitsamt dem Wasserfall zu Boden.

So verging wieder eine Stunde. Langsam wurde die Zeit recht knapp. Vielleicht sollte er erst versuchen das Mädchen zum Lachen zu bringen? Doch das Klagelied des Mädchens war so laut, dass sie die lustigen Worte des Klabautermannes nicht hörte.

So verging wiederum eine Stunde. Kaje grübelte hin und her, dann kam ihm die Erleuchtung. Er wollte durch den Kamin ins Haus gelangen. Den dort sah es relativ trocken aus. Wasser fließt bekanntlich nicht nach oben.

Gedacht, getan. Er kletterte abermals die Hauswand hinauf und zwängte sich durch den engen Kamin, der natürlich voller Ruß und Dreck war.
Nach einigen Minuten hatte er es tatsächlich geschafft und befand sich im Haus des traurigen Mädchens. Dieses hatte gerade ihr klagendes Liedchen beendet. Sie saß am Fenster und vergrub ihr Gesicht in den zarten Händchen. Ihr Haar glich goldfarbener Seide, das ihre reizvollen Schultern umspielte. Kaje war berauscht von ihrem Anblick, obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte.

Er überlegte kurz, wie er es anstellen sollte, dies hübsche Ding zum Lachen zu bringen. Was eigentlich kein Problem für einen Klabautermann sein dürfte. Schließlich treibt ein solcher meistens Schabernack.

Er räusperte sich kurz. Das Mädchen schaute auf. Ach, war sie hübsch. Ihre Augen hatten allerdings einen tieftraurigen Blick. Kaje räusperte sich abermals, um dann mit seinem polternden Klabautertanz zu beginnen. Dabei zog er die verrücktesten Grimassen die man sich nur vorstellen kann. Es dauerte keine zwei Sekunden, da prustete es aus dem Mädchen heraus. Sie lachte herzhaft und laut und wollte gar nicht mehr aufhören. Denn es sah wirklich zum Schreien aus, wie Kaje, voller Ruß in Bart und Haaren, als Zappelphillip durch ihre Stube hüpfte.

„Das war ja einfach!“ dachte Kaje. Doch als er das Mädchen nach der Uhrzeit fragte, fuhr ihm der Schreck in die Knochen. Sie hatten nur noch eine dreiviertel Stunde Zeit um das Schiff zu erreichen.

Schnell packte er das immer noch lachende Mädchen an der Hand und zog es hinter sich her. Diesmal konnten sie durch die Türe nach außen gelangen, denn die Tränen waren durch das herzhafte Lachen fast verschwunden.

Es dauerte zwanzig Minuten bis die beiden das Ufer erreichten. Kaje wollte auf keinen Fall zu spät zum Schiff kommen. Denn diese Frau an seiner Seite wollte er niemals mehr verlieren.

Doch wo war das Boot mit dem sie zum Ufer gerudert waren? Seine Crew musste wohl schon auf dem Schiff sein? Sie hatten nur noch zehn Minuten. Es war unmöglich in zehn Minuten zum Schiff zu schwimmen. Kaje überkam ein flaumiges Gefühl in der Magengegend. Enttäuscht sackte er in sich zusammen und hämmerte enttäuscht und ärgerlich auf die Kaimauer ein.

„Was ist mit dir?“ fragte das Mädchen besorgt.
Kaje erzählte ihr so schnell wie möglich die ganze Geschichte. Da fing das Mädchen wieder an zu lachen.
„Ich finde das nicht lustig!“ erzürnt schaute der Klabautermann seine schöne neue Frau an.

„Aber ich, denn du hast sowieso noch einen Wunsch frei. Gehört zu dem Fluch, mit dem ich belegt war. Der, der mich zum Lachen bringt bekommt mich nicht nur zur Frau. Nein, du hast wie gesagt auch noch einen Wunsch frei!“

Ihr könnt Euch sicher vorstellen, was sich Kaje gewünscht hat.

Der Ekke Nekkepenn allerdings hat sich vor Wut in den Popo gebissen und dann ist er wieder zurück ins Meer gesprungen. Man munkelt er treibe jetzt Schabernack mit den Fischen im Ozean.

Kaje Klabauter lebt seither glücklich –wenn auch oft unsichtbar-  mit seiner Frau  auf dem alten Schiff. Seine Frau hat seither kaum mehr geweint. Der Kapitän und die Crew sind auch glücklich, weil die Frau Klabauter ziemlich lecker kochen kann. Von wegen Frauen bringen Unglück auf Schiffen!

Und wenn sie nicht gestorben sind klabautern sie zu zweit, oder vielleicht schon zu zehnt?

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Tierra (28)
(13.10.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans meinte dazu am 13.10.07:
Ich freue mich liebe Sandra, dass du diesen langen Text durchgelesen hast und er dir auch noch gefallen hat. Vielen Dank dafür.
Herzlichst Gill

 Isaban (13.10.07)
Och, was ist das ein niedliches Märchen!
Zum Hachen und Seufzen und Lachen.
Schön erzählt, Gill!

Liebe Grüße,
Sabine

 GillSans antwortete darauf am 13.10.07:
Liebe Sabine, ich danke Dir, dass auch du dir die Zeit genommen hast so nen langen Text zu lesen und freu mich übers Hachen, Seufzen und Lachen und Klicken.
Schönes Wochenende, herzlichst Gill
chichi† (80)
(13.10.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans schrieb daraufhin am 13.10.07:
Naja, so schnell will ich eigentlich noch nicht Oma werden, aber ich kann ja schon mal üben. Vielen Dank fürs Lesen, kommentieren und Klicken. Freut mich sehr, dass Dir mein Märchen gefallen hat.
Liebe Grüße und ein schönes WE, Gill
orsoy (56)
(13.10.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans äußerte darauf am 14.10.07:
Liebe Konni, ich danke Dir....obwohl ich nicht weiß, ob es schwieriger ist für Kinder zu schreiben, es ist eher anders. Ich freue mich jedenfalls, dass es Dir gefallen hat....Liebe herzliche Grüße, Gill
orsoy (56) ergänzte dazu am 14.10.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans meinte dazu am 14.10.07:
Liebe Konni, natürlich muss ich jetzt dazu auch noch was sagen:
Kinder sind auf jedenfall sehr ehrich in ihrer meinung. Da ich oft Lesungen an Schulen habe, bin ich da schon sehr überrascht worden. ja sie sind offener....und sie sagen was ihnen nicht gefällt. Und es kann durchaus vorkommen dass Schüler zu mir kommen die sagen, dass sie irgendwelche Enden anders vermutet hätten von meinen Geschichten und manche sagen dass sie manches blöde finden, wiederum andere sind total begeistert. Gerade deswegen gefällt mir die Arbeit mit Kindern so sehr und ich lerne viel aus ihren Gedanken, auch wenn ich machmal glaube, ich selbst bin nie richtig erwachsen geworden und hexe mich manchmal in eine Fantasiewelt. Vielleicht liegt es gerade darum, das ich diese Art des Geschichtenschreibens so sehr liebe. Und die Kritik der Kinder ist MEINE Kritik die ich dabei brauche.

Kinder lesen Geschichten total anders. Wie du sagtest, sie lassen sich entweder verzaubern, oder nicht.........und dann sagen sie dir sofort: "Das ist aber eine langweilige Geschichte!" Das ist sehr ehrlich. Aber mir ist das lieber so.

So meine Gedanken....liebe Grüße Gill
rock-n-roller (58)
(13.10.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans meinte dazu am 14.10.07:
Lieber rnr, ich freue mich, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich selbst habe immer schwierigkeiten vorm PC so lange Texte zu lesen und ertappe mich oft dabei zu sagen "nö jetzt nicht, später vielleicht" was sehr schlecht. Man müsste sich eigentlich viel mehr Zeit nehmen, aber das geht halt auch nicht immer. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass dir das Märchen gefallen hat und bedanke mich sehr.
herzlichst die Gill
Mac (57)
(14.10.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GillSans meinte dazu am 14.10.07:
Lieber Mac, ich danke Dir sehr und freue mich, dass es dir gefallen hat.
Naja, stimmt schon, da stecken lauter Klischees drin, raue Seebären, heulende Mädels, böse Neider usw.
Herzlichst die Gill

 anna-minnari (13.11.07)
Schön, dass es noch Märchen der Neuzeit gibt, die aus den immer wieder in jedem Jahrzehnt (ja, gar Jahrhundert) gefühlten Ängsten der Menschen und der Sehnsucht nach Zweisamkeit und Geborgenheit und vor allem nach Happy-End entspringen. Schön ist weiterhin, dass es KeinVerlag gibt, denn somit kann man im Norden erkennen, dass die Ängste und Gefühle der Menschen im Süden ebenso vorhanden sind. Danke !
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram