Ungereimtes

Text zum Thema Aufwachen

von  Isaban

Mir fehlte was. Fehlte, fehlte, fehlte was. Ich konnte nicht einmal genau definieren, was es war. Da war eine Lücke, irgendwo im Bauch. Ein Gefühl von Verlust, von Vermissen, von Dawardochmal. Den ganzen Tag war ich unruhig, tigerte unstet von einem Zimmer zum andern, vom Tisch zum Kühlschrank, vom Schreibtisch zum Fenster, als würde ich etwas suchen, etwas erwarten, als wäre ein ganz bestimmter Termin sehr nahe und eine seltsame unausgegorene Sorge vorhanden, ich könnte ihn verpassen. Es gab bloß keinen Termin. Als schließlich selbst die Bulldoggen genervt ihre Falten umschichteten und gnurzend den Raum verließen, den ich gerade zum achten oder neunten Male auf meiner rastlosen Runde durchquerte, beschloss ich nach draußen zu gehen, wo man viel weiter laufen kann, ohne Hunde oder Wäschekörbe aus dem Weg räumen zu müssen.

Das Wetter war mittelzwielichtig, ambivalent, konnte sich nicht entscheiden, ob es ein grauer oder ein blauer Tag werden sollte. Der Park wäre ein gutes Ziel; die großen Blätter der Kastanie singen, wenn es regnet. Wenn es denn regnet. Sonst rascheln sie bloß. Der Traum fiel mir ein, den ich am Morgen noch verwundert gespürt und dann erfolgreich in die Dunkelkammer verschoben hatte. Ein ungewöhnlich realer Traum, oder irreal, nicht mal da bin ich sicher. Ich hatte noch beim Aufwachen beschlossen, die Bedeutungen der einzelnen Bilder nachzuschlagen – und diesen Beschluss temporär ebenso gründlich vergessen, wie das verwunderliche Traumgeschehen.

Eigentlich war es nur eine Sequenz, die sich in meinem Gedächtnis verhakt hatte, nur ein Fitzelchen von dem Film, der in meinem schlafwarmen Kopf abgespult wurde, vielleicht eine Filmminute, höchstens zwei. In einem Auto habe ich gesessen, fast im Dunkeln, einem kleinen Auto, keine Ahnung, was für eine Marke oder Farbe, aber eines, das sich nicht so anfühlte, als würde es gleich vor einem Baum landen oder explodieren. Die explodieren sowieso nur im Kino. A. fuhr dieses Auto. Ich wusste ganz genau, daß es A. war, der dieses Auto fuhr, weil er nämlich zeitweilig gleichzeitig hinten mit mir auf der Rückbank saß, und ich vorne, auf dem  Beifahrersitz, neben ihm.

Ich konnte mich über unser beider Orientierungslosigkeit auf der düsteren Fahrbahn amüsieren und, Knie an Knie, hinten still bei ihm sitzen und unserer Unterhaltung auf den vorderen Plätzen zuhören. Und ich weiß noch, daß es huckelte und dass wir uns auf der Rückbank aus Versehen oder überrascht angeschaut haben und es diese zeitlupenewige Sekunde gab, die, in der man nur das Ohrenrauschen hört. Und ganz, ganz langsam schoben sich unsere Gesichter näher, nach einem Seitenblick nach vorn, wo wir grade lachten, schoben sich zum Atemanhalten näher und ich war sogar im Traum ungläubig, aber die Lippen berührten sich. Nur ganz kurz und ganz vorsichtig und ganz weich. Wimpernschlaglang und fertig. Unschuldig, nicht wildlüstern oder so, mehr wie ein Punkt nach einem leisen Satz.

Hinten haben wir gar nicht gesprochen, nur die Hände, meine Rechte und seine Linke, schoben sich ineinander, mit einer behaglichen, ruhigen Selbstverständlichkeit, die Reden überflüssig macht wie Rosinen im Vanillepudding. Ich glaube, wir fahren immer noch, aber an dem Punkt quietschten, grunzten und niesten sich die frühstückshungrigen Bulldoggen in mein Bewusstsein, ich wachte auf und meine Lippen schmeckten wie immer. Allerdings weiß ich auch nicht, wie A. schmecken würde, hab ich vorher nie drüber nachgedacht.

Alles ist feucht im Park, nach dem Regenguss vorhin. Die Bäume schütteln ihr nasses Fell, wenn man drunter her streift, dafür schmeckt die Luft frischgewaschen, nach mehr und kurz vor Jasmintee. Die Kastanie singt grad nicht, sieht aber so aus, als könnte sie jederzeit wieder damit anfangen. Meine Lederschuhe weichen an den Seiten durch, doch das macht nichts. So spürt man das Leben bis in die Zehen. Ein Kamikaze-Igel ist mir auf die Schulter gefallen. Auf die rechte, tat gar nicht weh. Ich habe ihn aufgehoben. Die dicke Igelschicht hat vom Aufprall einen winzigen, weißen Spalt, fast so, als würde sie blinzeln. Ich werde das stachelige, grüne Ding mit nach Hause nehmen, in der Jackentasche. Gut fühlt es sich an, sogar das Pieksen. Irgendwie vorfreudig.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (20.08.08)
Ungereimt: Es

 Isaban meinte dazu am 20.08.08:
Was meinst du, Uli?
Caterina (46) antwortete darauf am 20.08.08:
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 Isaban schrieb daraufhin am 20.08.08:
Regnet grade. Keine schlechte Gelegenheit.

 Bergmann äußerte darauf am 20.08.08:
Nur ein Wortspiel. Mehr nicht. Im Ernst. Ganz harmlos. Die Worte gingen mit mir durch. Die Sprache, ein Spiel. Words, words, words.
Caterina (46) ergänzte dazu am 20.08.08:
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janna (60)
(20.08.08)
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 Isaban meinte dazu am 20.08.08:
Die meisten meiner Träume würde ich gar nicht deuten wollen. Ich glaube, mit den Deutungen ist es wie beim Pendeln. Das Unterbewußtsein, das, was wir gerne darin erkennen würden gibt die Richtung an, in der das Pendel schwingt, selbst, wenn man meint, daß man seine Hand nicht bewegt. Aber es ist sehr spannend, wer oder was einem im Traum begegnet und wie sehr sich dort real Erlebtes und Ungedachtes zu gänzlich neuen Geschichten ordnen.
Aufmerksamkeitsniesen hat eine erstaunliche Weckfuntion, nicht wahr?
Liebe Grüße an dich und Gutebesserungswünsche für Wiedu,
Sabine
(Antwort korrigiert am 20.08.2008)
Data-LAB (37)
(20.08.08)
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 Isaban meinte dazu am 20.08.08:
Das würde Sinn und Zusammenhänge recht gründlich auseinanderrupfen. Abschnitt 1,2 und 6 beinhalten den Rahmen, in dem dieser Traum eingebettet ist, A6 bringt den Übergang in die Realität. A3, den du auch weglassen möchtest, ist das andere Verbindungsstück zum Traum, die einleitende Sequenz, ohne die jene im Traumgeschehen geschilderten Bilder meines Erachtens nach nicht nachzuvollziehen sind. Schade, da scheint irgendwas absolut nicht rübergekommen zu sein. Ich werde beide Textstellen noch einmal überdenken.

LG, Sabine
artemidor (58)
(20.08.08)
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 Isaban meinte dazu am 22.08.08:
Mir fiele da noch so einiges ein, aber ein angenehmes Gehirngefühl ist auch schon was Tolles. Danke schön, Arti.
Herzliche Grüße,
Sabine

 styraxx (20.08.08)
Könnte man das nicht auch unter Kurzprosa stellen? Wie auch immer, ein feiner Text, klasse geschrieben, sehr autentisch und nachfühlbar. Das kommt gut rüber, man fühlt sich hineinversetzt. "Kamikaze-Igel" den Ausdruck habe ich so noch nie gelesen. Gefällt mir sehr dein Text.

Liebe Grüsse c.

 Isaban meinte dazu am 22.08.08:
Könnte man, Cornel. Oder unter Erzählung.
Hab vielen herzlichen Dank, für deine freundliche Rückmeldung.
Ich freue mich, dass dir der Text gefällt.
Liebe Grüße,
Sabine

 ManMan (20.08.08)
Also, Sabine, der Text, ne, der iss ja sowas von okay, aber was machst du mit dem armen Igel zuhause. Hast du vielleicht eine Igelaufzucht? Und wie kommen die Bulldoggen damit klar? Viele Fragen, also, die sich auftun. Wie wäre es da mit einer Fortsetzung? LG Manfred

 Isaban meinte dazu am 22.08.08:
Ich warte, daß er schlüpft.

Hm, ich nehme an, daß sie erstmal ein paar Tage abwarten, ob der neue Mitbewohner Leckerchen verteilt oder Quietscheentchen wirft - und wenn er das nicht tut und nicht mal als zusätzlicher Streicheleinheitenfaktor zu gebrauchen ist, dann werden sie ihre Stirn in Falten werfen und darüber nachgrübeln, ob er vielleicht ein Leckerchen sein könnte oder versuchen, ihn prophylaktisch zu verspeisen, falls er vorhat, an ihre Näpfe zu gehen, um Leckerchen zu klauen. Kamikaze-Igelleben können so abenteuerlich sein!

Ich freu mich über deine Rückmeldung, Manfred.
Liebe Grüße,
Sabine
Spocki (57)
(21.08.08)
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 Isaban meinte dazu am 22.08.08:
Huah, wo treibst du denn sowas auf?
Danke, du!
Liebe Grüße,
Sabine

 Ingmar (02.09.08)
exzellent geschrieben, werthe sabine!

 Isaban meinte dazu am 07.05.10:
Werther Ingmar, ich bedanke mich herzlichst (besser spät als nie. ).

Liebe Grüße,

Sabine

 makaba (07.05.10)
toller text, hat mir sehr gut gefallen!
lg makaba

 Isaban meinte dazu am 07.05.10:
Freut mich sehr makaba. Vielen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße,

Sabine

 tastifix meinte dazu am 15.05.10:
Hallo Sabine!

Ich hab den Text sehr aufmerksam gelesen. Er vermittelt die Andeutung von etwas ...

Wenn ich darf, möchte ich dir ein paar Tipps geben:
Du nimmst Satzteilwiederholungen, um eine aussage noch zusätzlich zu verstärken. Das ist aber gar nicht nötig und bremst stattdessen manchmal den Lesefluss.
1. Mir fehlte etwas.
2. Dort im Bauch war irgendwo eine Lücke.
3. Den ganzen Tag lang tigerte ich unstet ...
4. Er war ungewöhnlich realistisch gewesen ...
5. In der Dämmerung habe ich in einem kleinen Auto gesessen, ...

Sieh den Texct nochmals auf Zeitensprünge durch.

Ich hoffe, dass du mir diesen Kommentar nicht übelnimmst und schicke dir liebe Grüße aus Düsseldorf Gaby(tastifix)

 Isaban meinte dazu am 15.05.10:
Hallo Gaby,

schön, mal wieder was von dir zu lesen!
Und nö, warum sollte ich dir einen Kommentar übelnehmen, der sich voll und ganz auf den Text bezieht?
Zu den Wiederholungen: Stimmt, wie du schon schriebst, hier handelt es sich um ein absichtlich eingesetztes Stilmittel. Ohne die Wiederholungen würde der Text zwar lesbar und verständlich sein, die Textstellen aber eine vollkommen andere Wirkung zeigen, eine Wirkung, die nicht mehr das von mir diesbezüglich Intendierte beinhaltet.

Welche Zeitensprünge meinst du?

Liebe Grüße,

Sabine
KoKa (43)
(10.12.11)
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 Isaban meinte dazu am 10.12.11:
Ein leiser Text. Hab grad auch noch mal reingelesen. Muss doch glatt mal gucken, ob ich noch Puddingpulver hab. Heißer Vanille-Pudding, das wärs jetzt.
KoKa (43) meinte dazu am 10.12.11:
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