Früher war ich alleine. Heute bin ich einsam. Das ist schlimmer als allein zu sein. Es existiert dann keine Hoffnung mehr. Wenn man allein ist, hat man keinen Menschen. Bist du einsam, dann hast du Menschen und bist doch alleine. Du bist Teil eines Puzzels, das nirgends passt. Du würdest alles dafür tun. Würdest dich verstümmeln, verdrehen, verkaufen, doch was du auch tun wirst, es wird niemals reichen. Einsamkeit vergeht nicht. Sie ist Ewigkeit und Zeit und Raum. Du kannst sie nicht ändern. Sie ist Eigenschaft, wie die Farbe deiner Augen. Einsamkeit lässt sich nicht töten. Einsamkeit ist die Waffe, die man gegen sich selbst richtet.
Wer einsam ist, steht in der Welt und hat sie doch nie gesehen, nie geschmeckt und nie berührt.
Die Bestimmung des Einsamen ist, die Einsamkeit zu überwinden. Er ist dazu verflucht, sich aus der Türschwelle der Einsamkeit hinaus auf den Boden des Gemeinsamen zu begeben. Tut er es nicht, stirbt er. Es ist ihm Gebot, die Einsamkeit als Erinnerung zurückzulassen und gleichzeitig ist es ihm nicht möglich. Er wird Reisen und davon gehen und die Einsamkeit wird warten und lächeln und warten. Und bald wird er zurückkehren, sich in ihre Arme legen und weinen und sie Mutter oder Vater und süße Heimat nennen.
Die Herausforderung des Einsamen besteht darin, die Ästethik der Einsamkeit in ihrer Vollkommenheit zu lieben.
Ich bin Erinnerung und Vergangenheit. Jahreszeiten lassen mich zurück. Herbste, Winter und auch Frühlinge und Sommer sind vorübergezogen, haben meine Haut älter und mein Haar schütter zurück gelassen. Ich stand und die Welt bewegte und veränderte sich. Attribute wurden gesetzt und gelöscht und verstärkt und geschwächt. Gräser wuchsen und starben, Vögel flogen gen Süden und kehrten zurück. Menschen liebten und hassten sich.
Nun sitze ich in diesem kleinen Café an der Ecke. Ich sitze jeden Morgen dort, jeden Morgen um die gleiche Zeit und atme den Duft gerösteter Kaffeeebohnen aus einer kleine Tasse. Ich trinke keinen billigen Kafffee. Das Leben ist kurz. Louis der Gaukler setzt sich zu mir. Wie gewöhnlich nicken wir uns kurz zu. Wir schauen hinaus.
Ein paar Kinder schupsen sich den Weg entlang. Sie grüßen. Ich hebe meine Hand. Sie lachen und gehen vorüber.
Und so beginnt jeder meiner Tage. Und kommt ein Fremder, so erzähle ich ihm davon, das er weiß, dass ich gewöhnlich bin.
Ich habe einen Spazierstock an der Hand und trage eine Baskenmütze auf dem Kopf. Ich ziehe vorbei an den kleinen Geschäften, die den Wegerand säumen. Sie wirken unwirklich in den Schatten der großen Konsumpaläste. Die Gassen sind eng und manch Fremdem ein Irrgarten. Ich jedoch kenne sie. Ich trete hinaus aus ihnen auf den großen Platz. Er ist weit und greift tief in die Geschichte der Stadt. Ich pfeife eine Melodie.
Menschen gehen vorüber. Sie eilen. Es gibt viel zu tun in diesen Zeiten. Der große Brunnen steht einsam. Dies war nicht immer so. Ich denke zurück und sehe Leben und ich lache. Nun sind die Gesichter ernst. Sie lachen nur noch selten. Menschen gehen aufrecht und doch gebrochen wie nie zuvor. Ich ziehe meine Füße über das breite Steinmuster am Boden und bleibe schließlich stehen.
Ich erkenne die Einsamen. Nichts macht mich besonders, denn dies; dies ist meine Gabe.
Ein junger Mann begegnet mir. Ich schaue ihn an. Sein Blick ist müde. Er ist einer von ihnen. Mein Blick weicht nicht. Wieder stehe ich und die Zeit mit mir. Ich werde ihn nicht gehen lassen, kann es nicht. Und unsere Blicke sind wie Hände, die langsam ineinander gleiten um sich dann nicht mehr loszulassen. Und ich lese aus ihm und sein Erlebtes wird zu meinem und es spricht: "Ich will nicht mehr denken. Habe ich denn nicht alles was ich brauche? Habe Essen und Trinken, Familie und Freunde. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht und eine gute Ausbildung und doch bin ich unglücklich.
Abends sitze ich auf der Fensterbank und schaue den Himmel an und denke nach. Ich lebe eines manchen Traum, doch das was andere haben, davon träume ich.
Man kann der Liebe nah sein und doch entfernter denn je. Man kann neben ihr stehen, ihr zuschauen und ihren süßen Duft atmen und sie doch niemals berührt haben. Ich laufe und laufe und laufe und hole sie doch nie ein. Ich rufe und flehe sie möge sich nur einmal drehen und zurückschauen, doch sie hört nicht und ich bin müde."
Und ich verstehe ihn und ich liebe ihn. Er jedoch zieht seinen Blick davon und geht. Er wird leiden und kranken und Jahreszeiten werden kommen und gehen und seine Knochen werden alt sein und sein Auge trübe werden. Er wird wissen um die Bestimmung und zurückkehreren in den Arm der Einsamkeit und sie wird Hoffnung flüstern, das er nicht geht, sie zu überwinden sondern bleibt, ihr zu dienen.
Wir sind verschieden und doch sind wir gleich. Ich bin alt gewachsen und er noch jung. Ich habe erfahren, doch bin nicht weise daran geworden. Ich sehe die Welt und beobachte und setze festen Schritt auf ihren Boden, doch mag ich keine Spur darauf ziehen. Und ich schätze sie und bin Windspiel und erklinge und bin stumm und flüstere meinen Dank. Ich greife nicht nach ihr. Ich bin nicht Sturm und nicht Flut. Ich lege meine Brille auf sie, sie zu sehen und zu erkennen und ich wandere auf ihr und bin Gast und Fremder und doch niemals Sohn, nie Geliebter.
Dies ist das Skript der Einsamen.
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Kommentare zu diesem Text
PerpetuumMobile (22)
(08.01.09)
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