30. Psychologennöte [30]

Schundroman zum Thema Psychologie

von  DIE7

Dr. Bjarne Skuletta hatte ein Problem. Genau genommen hatte er mehrere Probleme, aber das momentan größte saß zusammengekauert in der Ecke hinter seiner Rundcouch, schluchzend und vor sich hin jammernd, ab und zu mit der Faust gegen die Wand schlagend und gelegentlich zerschnäuzte Taschentücher in die Mitte des Raumes werfend.

Dr. Skuletta wäre ein schlechter Psychologe gewesen, wenn er nicht schon öfter im Laufe seines Beruflebens mit derartigen Trotzreaktionen fertig geworden wäre. Allerdings wäre Fjord Lasche Hirnstrøm eine schlechte Hundemama gewesen, wenn ihn das Verschwinden seiner Malteserhündin Fufu kalt gelassen hätte. Er schluchzte leidenschaftlich und hingebungsvoll hinter dem Sofa hervor, während Skuletta vorgebeugt auf einem Endstück desselben saß, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und geduldig darauf wartete, dass Lasche sich wenigstens ein bisschen abreagierte. Auf dem Marmortisch vor der Couch stand ein ausgepolstertes Bastkörbchen mit einem Ei.

„Lasche, jetzt kommen Sie schon hinter der Couch hervor“, bat Skuletta.
„Nein“, grummelte es dumpf.
„Lasche, Sie können doch gar nichts dafür. Sie haben die Tür schließlich nicht offen gelassen. Den Einbrecher trifft die Schuld.“
„Ich hätte auch zu Hause bleiben können. Ja, ich hätte sogar zu Hause bleiben müssen, bei all den schrecklichen Dingen, die im Moment in der Stadt passieren“, sagte die Couch.
„Lasche, ich kann so nicht mit Ihnen arbeiten. Seien Sie doch vernünftig!“
Nichts tat sich.
„Lasche. Bitte“, bat Skuletta noch einmal.
Hinter der Sofaecke kamen ein blonder Haarschopf und darunter ein Paar blauer Augen zum Vorschein. Sie starrten Skuletta trotzig an.
„Lasche, Sie sind kein kleines Kind mehr. Kommen Sie jetzt bitte hinter der Couch hervor und lassen Sie uns wie die zwei Erwachsenen reden, die wir sind, ja? Sie kriegen auch einen Keks von mir.“
„Mit Schokolade?“ fragte Lasche.
„Ja, auch mit Schokolade, wenn sie möchten.“
Lasche stand auf und kletterte flink über die Sofalehne. Er trug ein kleines Schwarzes, eine Strumpfhose und schwarze High Heels. Skuletta wunderte sich einmal mehr über die Gewandtheit, die sein Patient in dieser Teenietracht an den Tag legte.
Lasches Blick fiel auf das Bastkörbchen.
„Jetzt habe ich nur noch Berta“, stellte er fest und seine Augen füllten sich wieder mit Tränen.
„Ich bin sicher, Fufu kommt zu Ihnen zurück“, sagte Skuletta schnell. Es gab wenige Dinge, die er noch weniger mochte als Fjord Lasche Hirnstrøm weinend hinter seiner Couch. Eins davon war Fjord Lasche Hirnstrøm AUF seiner Couch. Der Grund dafür waren nicht etwa mangelndes Mitgefühl oder heimlich gehegte Antipathie des Psychologen, sondern einzig die Tatsache, dass Lasche ein sehr energischer Schnäuzer war und nur sehr schlecht ins Taschentuch zielte und dass Dr. Skuletta seine Samtcouch noch heute ratenweise abbezahlte.
„Bestimmt hat sie schon jemand gefunden und versucht jetzt, herauszufinden, wohin sie gehört. Machen Sie sich da mal keine Sorgen“, fuhr er im Brustton der Überzeugung fort und tätschelte Lasche freundschaftlich das nylonbestrumpfte Knie.
„Ich fühle mich total gestresst“, sagte Lasche traurig und sah Dr. Skuletta zum ersten Mal, seit er hinter der Couch hervorgekommen war, direkt an.
„Nun, wie wir ja schon oft besprochen haben, ist Stress nur ein Ersatzgefühl, Lasche“, sagte Skuletta.
„Was glauben sie, möchten sie eigentlich fühlen, das Sie sich aber nicht gestatten?“
Lasches Blick wanderte ziellos durch den Raum.
„Ich weiß nicht“, sagte er schließlich nach einiger Zeit.
„Bin ich vielleicht wütend?“
„Genau, Lasche, Sie sind wütend“, bestätigte Skuletta
„Oh“, erwiderte Lasche erstaunt. „Und ich dachte, ich sei einfach nur traurig. Aber das denke ich ja immer, nicht wahr? Das ist mein Muster, richtig? Ich bilde mir irgendwelche Gefühle ein, aber eigentlich bin ich immer wütend.“
„So ist es“, stimmte Skuletta zu.

Hirnstrøm war sich natürlich im Klaren darüber, dass er längst den Psychologen hätte wechseln sollen. Skuletta war ein Fanatiker, einer, der alles mit Wut erklären wollte (und durch irgendwelche hanebüchenen Begründungen auch konnte).
Lasches Wut sei über Jahre so unterdrückt worden, dass er sie nicht mehr erkenne. Lasche musste also immer wütend sein, wenn er starke Emotionen hatte, da alle anderen Emotionen nie unterdrückt worden waren und deswegen gar nicht so stark werden konnten, so Skuletta. Lasches Wut war besonders immer dann da, wenn die Stunde bei Skuletta zu Ende war und er und Skuletta über nichts weiter als seine Wut geredet hatten.

„Also, Lasche, was genau macht Sie wütend?“
Lasche zögerte einen Moment.
„Der Einbrecher macht mich wütend. Die Tatsache, dass Fufu weggelaufen ist. Die 13 Leichen, die wir gestern auf dem Weihnachtsmarkt eingesammelt haben. Lusa. Mein nicht mehr vorhandener Urlaub. Ja, sogar Berta macht mich wütend“, brach es aus Lasche heraus und er zeigte auf den Tisch.
„Das Ei?“
„Ja.“
„Warum?“
„Ich glaube, es möchte zerbrechen. Ich habe den Eindruck, dass es sich absichtlich in gefährliche Situationen bringt.“
Skuletta sah Lasche aufmerksam an. Lasche verzog keine Miene und starrte weiterhin feindselig auf das Ei.
„Lasche, Ihnen ist klar, dass wir hier über ein Ei reden, oder?“
Lasche nickte.
„Eier machen Dinge nicht absichtlich. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, Eier zu sein.“
„Ich bin mir da nicht so sicher“, murmelte Lasche.
„Wie bitte?“
„Ich sagte, Sie haben vermutlich Recht, Dr. Skuletta“, sagte Lasche lauter.
„Gut, gut.“ Skuletta war beschwichtigt.
„Und jetzt erzählen Sie mir, warum Sie auf die Leichen wütend sind.“
„Ach, es sind ja nicht die Leichen als solche. Es sind die Umstände. Ich meine, was soll das – warum kommt jemand auf die Idee, Glühwein mit Schlangengift zu versetzen? Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Wenn mir die Wahrsagerin keinen Tipp gegeben hätte, hätte ich ewig gebraucht, um irgendwas rauszukriegen. Jetzt hab ich zwölf Giftleichen, bei denen ich noch herausfinden muss, wo im Mundrachenbereich das Gift in den Blutkreislauf geraten konnte und ob jede davon einem durch Hämotoxin ausgelösten Herzstillstand erlegen ist oder ob eventuell noch andere Dinge mitgespielt haben. Dann liegt in meinem Kühlschrank noch eine Leiche, deren Gesicht aussieht, als hätte jemand damit Squash gespielt.
Und meine blöde Chefin hat meinen Urlaub erst einmal unbegrenzt ausgesetzt, weil sie der Meinung ist, der Dicke und der Analphabet seien allein überfordert. DAS macht mich wütend.“
„Gut so, Lasche“, feuerte Skuletta ihn an. „Lassen sie es raus.“
„Es nervt mich, dass ich immer der Arsch bin.“
Hirnstrøm gestikulierte lebhaft und Skuletta sah lieber zur Seite.
„ICH muss meinen Urlaub unterbrechen, ICH muss ganz, ganz dringend die Obduktionen leiten, ICH muss mich mit der Polizei als Mittelsmann rumschlagen, ICH muss auf dem Weihnachtsmarkt über Tote stolpern. Und danach Überstunden machen. Verdammt!“
Das letzte Wort hatte er regelrecht ausgespieen. Skuletta untersuchte mit den Augen unauffällig das Sofa.
„Und dann bricht auch noch irgend so ein Idiot bei mir ein, klaut meine Unterwäsche und meinen Prosecco und stöbert in meinen Akten herum. UND lässt die Tür auf, damit mein Hund davonlaufen kann. Ich hasse dieses Wochenende. Und diese Woche. Und die letzte. Und überhaupt alle Wochen.“




„Ich halte es für sinnvoll, Ihnen ein Beruhigungsmittel zu verschreiben, Lasche. Damit werden sie zumindest ruhig schlafen können“, sagte Skuletta am Ende der Stunde.
Er kritzelte Hieroglyphen auf seinen Rezeptblock, riss ein Blatt ab und streckte es Lasche entgegen.
Lasche nahm das Rezept an sich, hob das Körbchen samt Ei vom Tisch, und stöckelte zur Tür. Dann hielt er plötzlich inne. Er drehte sich um.
„Dr. Skuletta?“
„Ja, Lasche?“
„Wo ist mein Keks?“

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Kommentare zu diesem Text


 m.o.bryé (21.12.08)
"wo ist mein keks?"

...

omg xD
kontext (32)
(21.12.08)
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LudwigJanssen (54)
(21.12.08)
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