Wolkentag

Kurzprosa zum Thema Begegnung

von  Vessel

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20 Uhr, Innenstadt. Sie sagte, ich solle zwischen den beiden Straßen mit den polnischen Namen auf sie warten und nun gehe ich den kleinen Bürgersteig zwischen den Hausecken auf und ab.
20:30. Ich sehe auf die Zeitanzeige meines Handys. Es ist dunkel geworden, aber nicht kalt. Die Straßenlaternen gehen an. Dann höre ich Schritte hinter mir und weiß, dass es ihre sind.
21 Uhr. Wir sitzen in einer Gaststätte mit italienischer Speisekarte. Sie sagt, sie geht oft hierher, es ist alles schön eingerichtet und die Toiletten sind sauber. Außer unserem sind nur wenige Tische besetzt. Ein Kellner mit weinroter Fliege und schwarzem Anzug nimmt unsere Bestellungen auf.
22 Uhr. Wir haben gegessen. Wir reden von dem, was wir so machen, unserem Alltag, unseren Freunden.
22:30. Ein Paar hat sich an den Tisch neben unserem gesetzt. Sie reden laut. Der Kellner kommt und schenkt Wein nach. Der Gaststätteninhaber bleibt an unserem Tisch stehen. Er fragt lächelnd, wie es uns gefallen hat. So gut wie immer, sagt sie. Er setzt sich zu uns und wir beginnen ein belangloses Gespräch. Über Verkehrsunfälle, Hochzeiten, Sex-Skandale.
23 Uhr und ich spüre den Wein. Ich habe gezahlt und sie schlägt vor, dass ich mit zu ihr komme. Es fahre ohnehin kein Bus mehr um die Uhrzeit.
23:30. Wir sind bei ihr zuhause. Sie hat mir ihre Wohnung gezeigt, ihre Küche, ihr Schlafzimmer.
0 Uhr. Wir reden von unserer Jugend, sie erzählt von den Jungen, mit denen sie damals zusammen war und wir lachen. Es ist seltsam, wie ich noch von Details erzählen kann, an die sie sich nicht mehr erinnert und dass sie Dinge erzählt, die ich längst nicht mehr weiß.
1 Uhr und sie malt den Himmel grau. Ich erzähle von mir, was in den Jahren so passiert ist.
1:30. Die Wolken bekommen goldene Ränder. Das matte Licht der Straßenlaternen fällt durch die dünnen Vorhänge, Lachen dringt von der Straße hoch in die Wohnung. Sie sagt, sie habe die letzten Jahre oft an mich gedacht.
2 Uhr und die Sonne bricht durch. Ich bin kurz eingeschlafen und sie hat Tee gemacht, von dem ich noch nicht getrunken habe.
2:30. Sie wischt die Wolken weg. Ich sehe mich im Zimmer um. An den Wänden Bilder von verhangenen Himmeln. Sie sagt, sie liebe es den Himmel zu zeichnen. Ich frage sie, warum es auf jedem Bild bewölkt ist und sie lacht. Dann dreht sie die Staffelei zu mir und der Himmel ist blau.
„Auf diesem nicht mehr,“ sagt sie. „Schön, dass du da bist.“

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Kommentare zu diesem Text

ues (34)
(18.05.11)
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 Vessel meinte dazu am 19.05.11:
Das macht mich froh.
Parkplatzbizon (32)
(13.06.11)
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 Vessel antwortete darauf am 13.06.11:
danke für die tips ;) mal sehen, ich finde bestimmt zeit, das ganze nocheinmal langsamer einzulesen. ist ja eh ein experiment. aber schwer sowas abzuschätzen, wenn man den text ja schon kennt, dass ist dann wohl die kunst daran :)
Parkplatzbizon (32) schrieb daraufhin am 13.06.11:
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 Vessel äußerte darauf am 13.06.11:
wenn es dir um eine (gute?) vermittlung geht, würde ich deinen kommentar gerne richtig lesen (verstehen) können. schon klar, du bist individuum und schreibst auch so, ist ok ;)

mal sehen: ich stimme mit deiner meinung zum kunstbegriff absolut überrein, habe das in diesem fall als redewendung benutzt, also nicht weiter von belang.
schade, dass du meine(n) text(e) als rausgekotzt empfindest, er ist(sie sind) es nicht (nicht alle zumindest ;).
schreibst du nicht über das, was du gerne vermitteln würdest?

ich nehme die audiodatei wieder raus, weil du durchaus recht hast.

so long -
vessel
Parkplatzbizon (32) ergänzte dazu am 13.06.11:
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Parkplatzbizon (32) meinte dazu am 13.06.11:
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 Vessel meinte dazu am 13.06.11:
du bist mir eine ... kotzen hat für mich immer etwas sehr vulgäres, auch etwas abwertendes. erbrechen hat da noch dieses andere (und befreiende), das verstehe ich. entschuldigung, dass ich es falsch verstanden habe :> du hast mir das mit dem falschverstehen aber auch zu leicht gemacht, man!
bei mir entstehen texte ganz anders, ich versuche mich selbst daraus soweit wie möglich zurückziehen, von außen zuschauen, mein LI etwas machen lassen und zusehen. aber vielleicht ist das auch genau das gleiche, was weiß ich.

natürlich war das nur deine meinung. aber ich finde, du liegst mit deiner meinung schlicht richtig, deswegen das ;) ich weichei, ich weiß (ich möchte es einfach nocheinmal aufnehmen) ... mal sehen, wie das wird.

ich muss mich entschuldigen. grrr, missverständnisse o_O
Parkplatzbizon (32) meinte dazu am 13.06.11:
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Parkplatzbizon (32) meinte dazu am 15.06.11:
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 Vessel meinte dazu am 15.06.11:
nein, nochmal nehme ich es nicht auf. schön, dass du mit dem empfang zufrieden bist ;)

 Vessel meinte dazu am 15.06.11:
und danke, für deine ehrlichen kommentare!
Parkplatzbizon (32) meinte dazu am 18.06.11:
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 Vessel meinte dazu am 18.06.11:
na, du kommentierst halt so, wie du denkst (du schreibst es nicht in reinform, mehr einfach so, irgendwie, nehme ich an) ... da kam ich nicht ganz hinterher und hab es auch promt falsch aufgefasst ;)
Parkplatzbizon (32) meinte dazu am 18.06.11:
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wiesel (44)
(15.06.11)
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wupperzeit (58)
(19.06.11)
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 Vessel meinte dazu am 20.06.11:
Vielen Dank für deinen Kommentar! Und für das Empfehlen, und das Favorisieren! Es freut mich wirklich sehr, dass dir der Text so gut gefällt :)
Kaschnitz kenne ich leider nicht, aber ich werde mir die Zeit nehmen, sie kennen zu lernen, du hast mich neugierig gemacht ...

mit lieben Grüßen,
Markus
Savignon (26)
(09.07.11)
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 Vessel meinte dazu am 11.07.11:
Ich danke dir, dass du dich mit dem Text KeinKommentarmäßig auseinandergesetzt hast! Auf deinen Kommentar darf ich ja noch nicht eingehen, wenn ich die Regeln richtig verstanden habe, also erst am Ende dann, deswegen bis dahin: Es freut mich, dass der Text dein Interesse wecken konnte!
bookishasearlgrey (29)
(14.07.11)
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 Vessel meinte dazu am 15.07.11:
Danke für Kommentar&Kritik, ich freue mich, wenn ich am ende des Projektes darauf näher eingehen kann. Die Wolken, ja ... 1 Uhr und du malst den Himmel grau, damit hat es angefangen.
Dass sich ein Text, für den Leser, verselbstständigt, passiert - meist, wenn der Leser selbst schreibt und sieht: Das hätte ich gerne anders gemacht.

Liebe Grüße,
Vessel

 blaubeermund (21.12.11)
Der Text ansuch ist schon großartig.
Doch die abwesende, umher streifende, manchmal hastende Stimme macht es warhaftig.
Fast schon kolos...

 MrDurden (08.02.12)
Einer der besten Texte, die ich auf KV seit langem gelesen habe. Strukturiert und doch gefühlvoll. Der Schluss ist sehr gut. Gerne gelesen!

 Vessel meinte dazu am 09.02.12:
danke!
ues (34)
(08.11.14)
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 Vessel meinte dazu am 17.12.14:
Hmm ... ja, vielleicht. Vielleicht tu ich das. Ab und an nehm ich mal was auf und leg ein paar Akkorde oder eine kleine Melodie drunter, so richtig zugesagt hat mir davon nichts.

Gruß!

 Mélan_Colie (13.02.16)
Ach, wie es mich freut, wenn sich die Autoren hier an Hörversionen wagen! Ich hätte jetzt sicher nicht die Muße gehabt, den Text zu lesen. Ich habe ihn mir angehört. Zwei, drei Mal musste ich die Augen öffnen und den Text am Bildschirm suchen, weil es zu schnell gesprochen war. Aber insgesamt finde ich dies einen sehr schönen und durch die Gitarre leicht verdaulichen Text, der aber auch nicht zu platt ist. Danke!
Daniel (50)
(03.07.23, 13:56)
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