Nicholasville ist deutlich kleiner als Louisville. Und der Schritt, aus einer Stadt mit über 500.000 Einwohnern in eine Kleinstadt mit weniger als 30.000 Einwohnern zu ziehen, war für die Broichs schon überlegenswert.
Dennoch, als sie später in ihren Zimmern im Bett lagen, und die Spiegelung des Mondes auf dem ruhigen See hinter dem Haus genossen, entschädigte sie dies reichlich für die schweren Entscheidungen in der Vergangenheit.
Zwei Wochen waren seit dem Einzug vergangen. Zwei Wochen, in denen die Familie sich langsam an das neue Haus gewöhnte. Das einzige seltsame war die nichtige Bereitschaft der Nachbarn, mal auf einen Kaffee vorbeizukommen. Sie selbst waren überall willkommen, aber einen Gegenbesuch bekamen sie einfach nicht. Keiner wollte einen Fuß in das Haus setzen, was ihnen sonderlich vorkam. Nach der Situation in der Küche am Abend des Einzugs war nichts seltsamens mehr vorgekommen. Und in dieser Hinsicht war das seltsame Handeln, oder sagen wir eher NICHThandeln der wenigen Nachbarn schon sehr sonderbar.
Kyle und Samantha kuschelten sich aneinander, als sie plötzlich den schrillen Schrei ihres Sohnes Sam vernahmen. Wie vom Blitz geftroffen, sprangen die beiden aus ihren Betten, und eilten in das Zimmer ihres Sohnes, das sich auf dem selben Stock wie ihres und das der zwei Schwestern befand. Sam kauerte an der Wand. Zusammengesunken huschten seine Augen immer wieder zum Fenster und zum Bett. Ein zuckendes Hin und Her erschreckte die Eltern, als plötzlich auch die zwei Töchter aufgeregt in Sams Zimmer stürmten.
"Sam", sagte Kyle bestimmend. "Was ist denn los? Was soll das hier?"
Aber Sam schien ihn nicht wahrzunehmen. Wie aphatisch blieb er in seiner Stellung hocken. Samantha kniete sich vor ihren Sohn, und strich ihm über sein hellblondes Haar. Ganz langsam taute er auf, und sagte mit leiser Stimme: "Mama, der Mann sagt böse Dinge zu mir!"
"Welcher Mann", sagte sie erstaunt. Kyle schien nicht richtig zu hören.
"Wer ist im Haus", entfuhr es ihm. Und schon war er auf dem Weg nach unten.
"Den schnapp ich mir", schrie er im weggehen.
"Mama", der ist böse", schrie Sam plötzlich lautstark, und seine Schwestern schauten sich ängstlich an.
Samantha verstand recht wenig. Trotz allem wiegte sie ihren Sohn recht herzlich in ihren Armen. Indira, die jüngere Tochter, lief ihrem Vater nach. Jule jedoch blieb wie verwurzelt stehen.
"Mom", entfuhr es ihr, "spukt es hier etwa?"
Sie wurde blass, während sich ihre hilfesuchenden Augen an die Mutter hefteten. Doch diese konnte weder Rat noch Hilfe sein. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt für ihren Sohn da zu sein.
Als Sam sich in etwa gefangen hatte, ging er mit seiner Mutter und Jule hinunter in das große Wohnzimmer, in dem sich Kyle wütend vor seinem Sohn aufbaute. "Was für ein Mann denn, schrie er ihn an, "hier ist kein Mann. Wenn du schon Aufmerksamkeit möchtest, mein Sohn, dann erschrecke deine Mutter und deine Schwestern nicht!"
"Aber da war ein Mann, ein ganz schwarzer Mann", rief Sam laut und erbost in Richtung seines wütenden Vaters.
"Nein, da ist kein Mann", erwiderte er sehr wütend. Samantha baute sich vor ihrem Sohn auf, und wollte die seltsame und erschreckende Situation entspannen. Indira war schon wieder in ihr Zimmer verschwunden.
So hatte Jule ihren Vater noch nie erlebt. Und auch Samantha war erstaunt, wie wenig Verständnis Kyle für seinen zu Tode erschrockenen Sohn Sam aufbrachte. Die beiden Frauen wollten gerade ihr Unverständnis loswerden, als Kyle wutentbrannt das Wohnzimmer verließ. "Ihr seid doch alle total bekloppt", rief er in ihre Richtung, und verließ unter lautem Grummeln das Haus der Träume. Sam war sehr wütend auf seinen Vater, was er seiner Mutter und Jule auch recht lautstark mitteilte. Dann sprang er auf, und eilte wieder in sein Zimmer.
Bald war Mitternacht.
"Auf ins Bett", sagte Samantha zu ihrer Tochter, und die beiden gingen wieder nach oben. "Und Dad", meinte Jule.
"Ja Dad", entfuhr es der Mutter. Und dabei sah sie zur Türe am Ende der Treppe unten. "Er kommt wohl zurück!"
Indira lag zusammengesunken auf ihrem Bett. Ihre Mutter streichelte ihr übers Gesicht, und meinte liebevoll, das morgen früh, wenn die Sonne wohl käm, diese schrecklich Nacht vorbei wäre. Dann legte sie sich zu Sam ins Bett, und wartete bis ihr Sohn endlich eigeschlafen war.
Sie war schon wieder in ihrem Bett, als sie recht kühle Hände auf ihren Schenken spürte. Außer sich vor Wut drehte sich nicht um, doch sie forderte ihn wütend auf seine Finger von ihr zu lassen. Ohne ein weiteres Wort folgte was sie wollte. In dieser Nacht wohl nicht, dachte sie, und schlief ein.
Am nächsten Morgen saß sie alleine am Frühstückstisch, als Kyle zur Türe hereinkam. "Und", sagte sie süffisant zu ihm. "Wie war es mal nicht das zu bekommen, was du wolltest?"
Er schaute sie nur fragend an. "In dem Motel, wo ich geschlafen habe, wollte ich nichts", meinte er. "Nur meine Ruhe!"
"Wie, du bist heute Nacht nicht nach Hause gekommen", sagte sie extremst überrascht. "Und du hast mich nicht angefasst?"
Kyle nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. "Ich dich angefasst?
Nein, mein Schatz, da hatte ich wohl besseres zu tun", sagte er leicht irritiert und dennoch sehr zufrieden. Er ging ins Wohnzimmer, während Samantha das absolute Verlangen nach einer heißen Dusche empfand.