"Holder"

Gedicht zum Thema Biographisches/ Personen

von  Georg Maria Wilke

Du, „Holder Turm“ – die Mauern stehen sprachlos,
  blütenlos der Holunderbaum,
unweit des Neckars, am Ufer,
  ein fliehender Traum,
den Gassen und Häusern weggesperrt,
  die Fülle des Lebens, verzehrt
als wundersamer Stern einer langen Nacht gestorben,
  farblos, dein Wappen im hohen Neckarturm.

Sie reißt dich fort, beerensüß, die kommende Zeit,
  sagt: närrisch ist er geworden,
den einst die Musen als Genius begrüßten,
  gesperrt in alten, hohlen Stein.
Dein Schicksal trauerte doch deine Liebe dauerte,
  die von der Sanftmut Diotimas zehrte,
sie, die einzige, die dich begehrte
  als Hyperion ihre Lippen belebte und deinen Geist.

Nun liegt die Hälfte deines Lebens hinter dir,
  die wilden Rosen sind verblüht,
der Schwäne Küsse versunken,
  geschlossen ist des Turmes Tür.
Die andere Hälfte hing am Holunderbaum,
  wie Achilles – nicht sterbend, nicht lebend –
als harmlos verwirrten Lebenstraum verehrte dich die Nähe,
  schmähte weder Laune noch Gestalt,
da sie an deinem leuchtend Kleide dich erkannte und liebte
  die geheimnisvolle Macht und Kraft deiner Worte.
So ward tausendfach ein Gewand gewoben,
  das nimmer auf der Erde lastet, es war erfüllt
vom Geiste, der erwachte und nach göttlicher Zukunft tastete.
  Der Sprache eingewebte Kraft, die Pindars Hymnen neu erschaffte,
nahm der Menschheit ihre Narretei.
  Sie ist vorbei, die Zeit, in der dein zartes Wesen es verstand
den Oden Klang – Einmaligkeit – als Genius in seiner Welt,
  das württembergisch´ Land zu rühmen.

Zum Holunderbaum drang dein Geist und deine Gesinnung,
  zur heilsam, weisen Mutter der Natur
und stieg auf zu den Göttern Griechenlands,
  dort hinauf, wo du den Einen fandest,
der auf dem Thron des Vaters weilt
  und wartet auf die kommende Zeit,
die Ihn als Menschensohn im Erdenäther finden wird,
  den, der eine Neue Welt regiert
und alte Sünden mit dem Herzen überwindet – als freies Ich.

Aus einem Holunderzweig, vom Strauche deiner Ahnen,
  hast du tönende Flöten geschnitzt, die orphisch erklingen
und sangst Hymnen von der Last der Erde längst befreit
  in einen kühnen Äther, der leise, zart die Liebe dieser Welt
in tausend Blüten trägt, ein sternbesätes Himmelszelt
  bedeckt den Strauch, den holden und himmlische Sterne
reichen aus der Ferne das Blütenlied der Liebe.


Anmerkung von Georg Maria Wilke:

„Holder“ – ist der alte Name für Holunder,
Hölderlin heißt: der kleine Holunder.
Das Wappen der Hölderlin trägt einen Holunderzweig. –
Der Holunder ist ein altgeheiligter Baum. Er galt in vielen dt. Gegenden als Lebensbaum, oder als Baum, in dem der Schicksalsgeist wohnt. Es ist ein mütterliches Wesen, das im Holunder haust, ein schützendes, heilendes Wesen.
„Vor dem Holunderbaum sollst du den Hut abnehmen“, heißt es in einem alten Sprichwort.
Hölderlin wurde von seinen Freunden meist "Hölder" oder "Holder" gerufen.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (24.02.12)
Eine sehr gelungene Huldigung. LG

 ViktorVanHynthersin meinte dazu am 24.02.12:
Du meinst sicher Holderung ) So oder so, ich schließe mich an.
Herzlichst
Viktor
Caty (71)
(24.02.12)
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magenta (65) antwortete darauf am 26.02.12:
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 franky (24.02.12)
Hi lieber Georg,

Auf deinem Wortfluss lässt sichs gut treiben.
Einfach wieder zurückgehen und vom Neuen eintauchen.
Du bist wie ein Holunderstrauch, geheimnisvoll und tröstend.

L-G Franky

 EkkehartMittelberg (24.02.12)
Wie schön sind die biografischen Fakten in diesen fließenden Rhythmus, in die Klangmelodie verwoben.
Sehr gelungen, Georg.
LG
Ekki

 FloravonBistram (25.02.12)
Insbesondere die Verwebung der uralten Götter, der alten Werte mit dem Empfinden des Jetzt berührt alle meine Sinne.
Danke Flo
magenta (65)
(26.02.12)
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