Siedlung

Gedicht zum Thema Abgrenzung

von  Isaban

Der Sommerflieder zieht sich von den Gleisen
bis zu den gelben Häuserreihen hin.
Am Bahnsteig musste morgens einer speien,
fürs Taubenvolk ein wahrer Hauptgewinn.

Der Bolzplatz vor der Hausfront ist ein Marsfeld,
acht Schmuddeljungen kicken dort den Ball,
zwei weitere  besorgen sich das Milchgeld
vom kleinen Prinzen aus dem Bonzenstall.

Die Bengel auf dem Marsfeld kämpfen lautlos
um Ehre, Stolz, den Ball, um einen Rang;
das Spiel gewinnt, bei wem das meiste Blut floss,
wenn er dabei nicht wie ein Mädchen klang.

Am Montag war der Erste und die Väter
der Siedlungskinder sind ab Mittag blau.
Gegessen wird ab Mitte Mai erst später,
wenns dunkelt stutzt der Nachbar seine Frau.

Die Schicksen strahlen nur, wenn einer hinschaut,
stets wittern sie, wo sich ein Auftritt lohnt.
Sie schminken sich die Reife auf die Kindhaut.
sie hoffen, dass ihr Prinz woanders wohnt.

Hier leben will wohl keiner. Die es müssen
sind hart wie Kruppstahl, zäh und viel gewöhnt.
Wer schwach ist, kriegt was ab und wird gerissen;
im Suff wird dann und wann mal kurz gestöhnt.


Anmerkung von Isaban:

Mit bestem Dank an Tigujo für die Anregung zur Schicksenstrophe!

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (04.05.12)
Ein bedrückendes Bild einer Siedlung, in der wohl keiner leben will. Schön der unreine Reim von jeweils erstem und drittem Vers in den ungeraden Strophen (1,3,5), der das Schräge des Geschilderten gut unterstützt. (In der ersten Strophe liest man unwillkürlich "speisen" mit, was in diesem Zusammenhang herrlich unappetitlich ist...) LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 04.05.2012)
KoKa (44)
(04.05.12)
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Müller (45)
(04.05.12)
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Caty (71)
(04.05.12)
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 Didi.Costaire (04.05.12)
Ein lebendiges Gedicht, Sabine, das eine kleine Welt beschreibt, in der ganz eigene Spielregeln gelten, die sich vom bürgerlichen Leben unterscheiden:
das Spiel gewinnt, bei wem das meiste Blut floss
Die Nähe vom Speisen zum Speien, die in deinem im wahrsten Sinne des Wortes unreinen Reim assoziiert wird, gefällt mir sehr gut, und die verwegenen Versendungen Marsfeld/ Milchgeld und lautlos/ Blut floss schließen sich gut daran an. Vielleicht könnte man in der vierten Strophe "verspätet:" statt "erst später" schreiben, denn erst war ja schon vorher da und auf diese Väter sollte sich eigentlich auch nichts so richtig reimen.
Schöne Grüße, Dirk
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