Zu richten die Lebenden und die Toten

Text zum Thema Glaube

von  Rudolf

Die Zeile „zu richten die Lebenden und die Toten“ ist nicht in sich abgeschlossen. Ich muss sie im Zusammenhang mit den vorangegangenen lesen:

Er, gemeint ist Jesus, sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Die Zeile weist auf eine neue Eigenart des göttlichen Jesu hin. Seine Wunderheilungen haben es nicht bis ins Glaubensbekenntnis geschafft; stattdessen finden wir über seinen irdischen Weg ein „gelitten unter Pontius Pilatus“. Genauso wenig wird der liebe Gott im Glaubensbekenntnis sichtbar, stattdessen finden wir einen allmächtigen und richtenden Vater.

Die Zeile enthält eine klare Drohung:

„Passt bloß auf! Er kriegt euch alle! Und dann wird gerichtet!“

Ordentliche, bekennende Christen definieren sich über das Richten von Lebenden und Toten. Das, was ist, und das, was war, wird einer Prüfung unterzogen. Eine Prüfung des Zukünftigen erfolgt nicht, wir werden das Ende der Welt erreicht haben, wenn sich Jesu von „der Rechten des Vaters“ aufmacht, um zu richten.

Richten, Rache, Vergeltung – und zwar endgültig.

Das Draufhauen des Stärkeren ist göttlich. Die Schwachen sehnen sich nach Gott, auf dass er stärker sei als ihre Unterdrücker und wieder draufhaue. Welch ein teuflischer Mechanismus ist hier im Glaubensbekenntnis verankert? Rache und Vergeltung, der ewige Motor von Streit und Krieg. Und Jesus mittendrin.

Das glaube ich nicht.

Aber es muss doch Gerechtigkeit geben!

Muss es? Muss Gott, der uns nicht gefragt hat, ob wir geboren werden wollen, der uns nicht fragen wird, wenn er das Leben wieder nimmt, muss er irgendetwas richten? Die Bibel ist voll von Geschichten, wie gerecht Gott handelt; sie ist aber genauso voll von Ungerechtigkeiten.

Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, nur weil sie einen Apfel essen. Ist das gerecht? Das auserwählte Volk bedeutet, dass andere Völker nicht auserwählt sind. Gerecht? Seitenlang wird im alten Testament berichtet, wie Israels Stämme den Kanaanitern in Gottes Auftrag zusetzten. Gerechterweise?

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist so stark, dass sie in das Glaubensbekenntnis hinein gesehnt wird. Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler: Gerechtigkeit ist die Ausnahme und Ungerechtigkeit die Regel. Dass die Sieger lautstark rühmen, wie gerecht ihr Sieg ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Masse der Verlierer keine Stimme hat, keine Stimme haben will, denn wer verliert schon gerne.

Ich glaube, Richten wird von Gott mehr als menschlicher Tand geduldet, als dass es eine seiner Wesenseigenschaften ist. Gerechtigkeit ist eine menschliche Erfindung, die dazu dient, das Zusammenleben von Gemeinschaften zu regeln. Zu behaupten es sei göttlich, ist einmal mehr anmaßend. Dass Gott die Sonne für Gerechte und Ungerechte scheinen lässt, zeigt seinen Gleichmut und dass ER, der Allmächtige, andere Prioritäten hat, als uns unser bisschen Leben gerecht zu machen.

Ich glaube an Gott und nicht an einen Richter.

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (23.09.12)
hier glaubt einer daran, dass "gott" sich aus allem fein raushält. gott als wortmarke ... lo

ps: zerstörung von lissabon am 1.11.1755: die kirchgänger (allerheiligen!) waren auf der stelle tot. das bordell lag etwas abseits, am rand der stadt. die "besucher" überlebten - alle. lo

 Dieter Wal (31.01.24, 12:43)
Hier wird in meinen Augen die leider in verschiedenen christlichen Gruppen vorhandene Endzeiterwartung auf den Sanktnimmerleintag verschoben und eine utopische neue Welt nach messianischer Vorstellung dunkel angedeutet, die weder Tod, Leid noch Kriege kennt, weil der Messias die Welt "be-richtigte". Die russisch-orthodoxe Kirche kennt sehr schöne Ikonen mit Christus als dem Weltenrichter.  Auch Heine in Deutschland. Ein Wintermärchen zeichnet ihn so am Ende des Gedichtes. Das kann man mögen. Oder auch nicht.
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