Lesarten

Aphorismus

von  EkkehartMittelberg

Dieser Text ist Teil der Serie  Aphorismen
1. Wer überprüft, was er überlesen hat, erfährt viel von sich selbst.

2. Nachlesen macht nachdenklich.

3. Die Zahl der (Vor)leser entspricht der Zahl der Interpreten.

4. Man liest viel hinein, wenn das Herz steuert.

5. Es wird viel Angelesenes zitiert.

6. Man liest zu viel und sammelt sich zu wenig.

© Ekkehart Mittelberg, April 2014

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (09.04.14)
Zu 1: Zumindest räumt er ein, dass er sich womöglich geirrt haben könnte.

Zu 3: Und um uns nicht zu sehr zu verwirren, hast du die Zuhörer mal weggelassen...

Zu 6: Als jemand der gerne Längeres schreibt weiß ich, dass das 'Liegen-lassen' unumgänglich ist. In dem Umfang ist das beim Leser natürlich nicht so gefragt, aber ein wenig davon ist dem Verständnis selten abträglich. hier klicken

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Danke, Trekan.

zu 1: Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich das überlese, was mich in Frage stellen könnte.

zu 2: Ich habe die Zuhörer deshalb weggelassen, weil sie sich wie die Vorleser noch nicht geäußert haben.
Wenn ich mir zum Beispiel einen Kafka-Text vorstelle, halte ich es auch für denkbar, dass es so viele Interpretationen gibt wie Zuhörer.

zu 3: Das Liegenlassen ist wirklich oft auch für den Leser unumgänglich. Wie viele Texte habe ich erst danach verstanden.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 10.04.14:
zu 3: Der Begriff 'Nachdenken' impliziert ja geradezu das Liegenlassen.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 10.04.14:
Ja!

 monalisa (09.04.14)
Hallo Ekki,
witzig, fast zeitgleich habe ich meine Lesart ;) gepostet.

Nun aber zu deinen Lesarten:

ad 1) Ja, man könnte um dein Wortspiel weiter auszubauen auch sagen:
'Wer überprüft, was er überlesen hat, wird nicht so leicht überheblich.' Inhaltlich würde das natürlich einschränken, da ist deine Version viel weiter auslegbar.

ad 2) Was mit 'über' funktioniert, trifft auch auf 'nach' zu. Also nachdenklich macht mich das bestimmt und ich muss es noch öfter nachlesen.

ad 3) Ich glaube, dass die Zahl der Interpreten sogar noch größer ist als die der Vorleser, interpretiert doch auch jeder Zuhörer auf seine Weise, nicht?

ad 4) Ist eigentlich das die Fortführung des vohergehenden Gedanken, dem ich schon eine Brücke gebaut habe. Natürlich liest das Herz mit und färbt in der eigenen Tonlage.

ad 5) Hier lese ich in dem 'Angelesenen' viel Oberflächlichkeit heraus und das macht das 'Zitieren' dann auch nicht sehr gehaltvoll

ad 6) Auch das ein Weiterspinnen des verherigen Fadens, sozusagen der Gegenpool zum 'Anlesen' das wertschätzende Sammeln, die innere Sammlung (Konzentration) - schön wie du hier auch mit der Bedeutungsebene des 'Auflesens' spielst, die ja auch in Lesen enthalten ist.

Da habe ich nun unter deinen Lesarten ein paar Perlen aufgelesen, um die ich mich sammle, danke dafür!

Liebe Grüße,
mona

 monalisa äußerte darauf am 09.04.14:
Ich hoffe, du verzeihst, wenn noch zwei Gedanken nachreiche:
zu Punkt 4: Mit dem Herzen und dem Hineinlesen, da habe ich heute Nacht vergessen, auf die zweite Bedeutungsebene hinzuweisen, nämlich, dann man viel und gern in sich hineinliest, wenn es ein Herzensbedürfnis ist - also Lesen eine Herzensangelegenheit ist. Die Überlagerung der beiden Ebenen finde ich sehr spannend.

Und zu 3: Vielleicht könnte man das 'Vor' beim Vorleser weglassen oder in Klammern setzen und daraus den Leser machen? Was meinst du?

Liebe Grüße noch mal,
Mona

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 09.04.14:
Grazie especiale für dein wie immer sorgfältiges Lesen, Mona.
zu 3: Du hast natürlich Recht, dass jeder Zuhörer auf seine Weise interpretiert. Das einzusehen, bedeutete für mich gravierendes Umlernen, denn zur Zeit meines Studiums von 1958-1964 ging man davon aus, dass der Text eine Autorität habe, deren Logik nur eine sehr begrenzte Zahl unterschiedlicher Interpretationen zuließ. Vielleicht ist man heute von einem Extrem ins andere gefallen, indem man duldet, dass in einen Text Dinge hineininterpretiert werden, die der Autor nie beabsichtigt hatte.
zu 4: Das Lesen mit dem Herzen kann einen Schutz bedeuten, aber auch gefährlich sein. Nehmen wir das Beispiel zweier Liebender. Die Liebe des einen erkaltet allmählich und seine Briefe deuten dies an. Der andere liest aber mit dem Herzen weiter, was er lesen möchte. Er fällt dann aus allen Wolken, wenn es zum Bruch kommt.
zu 5: Genau darin liegt das Problem. Wirklich Erlesenes darf getrost zitiert werden, aber angelesene Zitate "sitzen" nicht richtig.
zu 6: Dazu ist noch interessant, dass das lateinische legere in der Grundbedeutung "sammeln" heißt und erst übertragen lesen. Die auf schnelles Konsumieren angelegten Medienreize wirken einer Kultur der inneren Sammlung, der Konzentration entgegen.
Eine schöne Idee, das Vor der (Vor)leser in Klammern zu setzen. Die Vorleser heben sich dadurch von den stillen Lesern ab, dass ihre unterschiedliche Interpretation durch die hörbaren Intonationsdifferenzen sinnfällig wird.
Liebe Grüße
Ekki

 Fuchsiberlin (09.04.14)
Leser und Autor unterscheiden sich mitunter auch bezüglich ihrer Sichtweisen eines Textes. Menschlich.

Liebe Grüsse
Jörg

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Vielen Dank, Jörg. Dein Hinweis wirkt auf den ersten Blick selbstverständlich, ist es aber nicht.. Es hat nicht nur mit der Interpretationsmethode zu tun, sondern auch mit dem Menschen, ob jemand zum Beispiel Kafka marxistisch oder theologisch interpretiert.
Liebe Grüße
Ekki
Mephobia (31)
(09.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Vielen Dank für diesen Hinweis Mephobia. Er passt.
Fabi (50)
(09.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Vielen Dank, Fabi. Ich versuche einmal, dir zu verdeutlichen, weshalb die Erkenntnis von Nr. 3 wichtig ist:
Versetze dich bitte in die Situation einer Schulklasse , die ein besonders anspruchsvolles Gedicht interpretieren soll. Der Lehrer lässt es zu Beginn von verschiedenen Schülern vorlesen.
Durch die unterschiedlichen Betonungen, Pausen, rhythmisches Einschwingen oder auch nicht erhält er wertvolle Hinweise auf die unterschiedliche Rezption der Schüler. Das führt zu einer differenzierteren Interpretation als zu der möglicherweise einzigen, die ihm selbst vorschwebte.
Aphorismen als Genre unterscheiden sich von Lyrik gar nicht so sehr, weil sie, wenn sie sehr gut gelingen, mehrdeutig sein können wie Lyrik eben auch.
Liebe Grüße
Ekki

 SapphoSonne (09.04.14)
Da kann ich nur jeden einzelnen unterschreiben. Und das stimmt mich nachdenklich.
LG Sappho

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Grazie, das freut mich natürlich sehr, Sappho, aber trotz deines Nachdenkens unterschreibst du nichts Bedenkliches. )
LG
Ekki
LottaManguetti (59)
(09.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Merci Lotta,
zu 1: "Wie viel" ist eine gute Variante.
zu 2: ja, das Herz bewahrt die eigenen Erfahrungen dauerhafter als der Verstand.
zu 3: )
Mir gefällt es, dass du mit deinen Assoziationen auf das Persönliche abhebst. Manche setzen sie absolut.
Ich wünsche dir einen heiteren Abend.
Ekki

 susidie (09.04.14)
1 bis 6 - Ja.
Jetzt sammle ich mich erstmal nach dem Lesen. Soviel Zeit muss sein.
Lieben Gruß von Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Grazie. Ich habe noch nie einen flüchtig wirkenden Kommentar von dir gelesen, Su. Du respektierst die Autoren, die du kommentierst.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (09.04.14)
Gefällt mir, aber jetzt lese ich mal weiter. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Danke, Armin. "Das ist die Liebe im Vorübergehn".
LG
Ekki
wa Bash (47)
(09.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Vielen Dank, wa Bash. Die konkreten Benennungen der Favoriten sind für künftige Überlegungen hilfreich.

 irakulani (09.04.14)
Zur Nr. 6 mein Vorschlag, lieber Ekki: Vielleicht sollte man eine
A u s l e s e treffen, um sich besser sammeln zu können.

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.04.14:
Merci, Ira. Dein Vorschlag gefällt mir so gut, dass ich über eine entsprechende Umformulierung nachgedacht habe. Leider geht dann die Prägnanz verloren.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (10.04.14)
Hallo Ekki,
Lesarten steigere ich mal zu Les ART !!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.04.14:
Grazie für den schönen Einfall, Tasso.
Herzliche Grüße
Ekki
Pocahontas (54)
(11.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.14:
Grazie dafür, Sigi, dass du zeigst, wie man die Aphorismen kombinieren kann.

Liebe Grüße
Ekki

 ViktorVanHynthersin (12.04.14)
Das "sich" in Nr. 6 gefällt mir am besten, lieber Ekkehart. Die anderen Aphorismen sind aber auch nicht ohne )
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.14:
Vielen Dank, Lieber Viktor. Die Nr. 6 ist auch selbstkritisch gemeint.
Herzliche Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(14.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.04.14:
Das klingt sehr verlockend. Ich habe beide Titel auf meine Wunschliste geseetzt. Merci
Ekki
Graeculus (69) meinte dazu am 14.04.14:
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