Dicht dran in Frankreich

Erzählung zum Thema Wandel

von  eiskimo

Auch die entlegensten Dörfer Frankreichs sind jetzt „digitalisiert“ - und das bringt echte Verluste!

„Wir haben hier kein Netz!“, das war bis vor kurzem ein geflügeltes Wort im Ort Bonnard, und nur einige Erprobte wussten, auf welchem Acker, in welchem Winkel ihres Gartens „Orange“ oder auch „Bouygues“ durchkamen. Das ist, wie gesagt, Vergangenheit, denn „Netz“ ist jetzt fast überall, und  auch die hot-spots fürs Internet sind am Campingplatz und rund um die Mairie herum aktiviert – bei Chaffaud im Hotel gab es  free WiFi  sogar schon seit 2015. Warum also noch klagen?
Ich sag mal so: In dem Maße, wie die Elektronik und Wlan Einzug nahmen, gingen  Präsenz und  Angebote der klassischen Post unaufhaltsam  zurück. Die Telefonzelle am Campingplatz ist längst abmontiert, und aus der Doppelzelle am Festsaal wurde eine Einfachzelle. Dazu schrumpften Personal und Öffnungszeiten des Postbüros – es gibt jetzt  nur noch einen Beamten dort, und der ist ein Muffel,  in seinen Bewegungen ebenso  wichtigtuerisch wie langsam . Jetzt  fleezt er sich nur noch vormittags (Mo.-Fr., 9-12 Uhr) in dieser überdimensionierten Schalterhalle, die witzigerweise mit einer Bettel-Klingel gesichert ist - „Klingeln Sie, warten Sie auf das Signal des Beamten, dann Drücken ...“, ein Service, der den Kontakt mit den fünf Kunden pro Tag also möglichst zeitintensiv und durchaus modern  ausgestaltet, zumal diese „Vorkehrung gegen Diebe“  meistens klemmt.
Ist somit unser Kontakt zur Welt „draußen“ schlechter oder besser geworden? Ich sag  mal so: Er wurde anders... Verloren haben wir mit Sicherheit eine gewisse Langsamkeit und  die Intimität, den persönlichen Kontakt, der früher in jenem Bureau de Poste möglich waren. Noch vor wenigen Jahren gab es tatsächlich Schlangen am Schalter, wartende Bürger, die brav anstanden und dabei natürlich intensivst kommunizierten – ohne Handy, dafür mit der Gestik und Mimik unverstellter Landbewohner.
Diese Warteschlangen haben wir selber ab 1985 in aller Süße ausgekostet, als wir anfingen, unsere gesamten Ferien im Morvan zu verbringen.Da meine Frau und ich beides Lehrer sind,  genossen wir also im Sommer allein sechs Wochen „Ferien am Stück“. Geldautomaten gab es damals noch nicht – wo holten wir also frisches Geld, wenn unser Bares „alle“ war? Auf der Post, mit dem damals so günstigen Postsparbuch. Damit durfte man nämlich auch  im Ausland kostenlos Geld abheben, allerdings nur bei der Post, und nur bei größeren Ämtern, die auch „Bankservice“ boten. Im Dorf selber ging das nicht, wir reisten mit allerlei Dokumenten bewaffnet in die nächste Stadt, der römischen Gründung Augustodonum, heute Autun.  Und dort gab es ein entsprechend gerüstetes Postamt, ein wuchtiges Gebäude mit immerhin sieben Schaltern und einem für damalige Zeiten revolutionären Briefmarken-Automaten.
Olala, das war ein Prozedere! Erst den grünen Antrag ausstellen, den Kurs erfragen lassen, das Postsparbuch vorlegen mit Legitimationskarte  und Personalausweis, den abgehobenen Betrag eintragen lassen … Da wir als Deutsche diese Transaktion in jener Kleinstadt  vornehmen ließen, war das für das antiquierte Postbüro dort jedes Mal eine gewaltige Herausforderung, denn jedes Mal musste der Beamte, zu dem wir endlich vorgerückt waren,  erst nachfragen, wie das denn ging, wo denn die grünen Anträge für Deutschland seien, wo man den Kurs erfragen kann, usw.... Unvergessen die Angestellte, die zu faul war, aufzustehen und einfach mit lautester Stimme den Kollegen in der Halle zurief: „Hej, hier ist ´ne Frau, die will 2000 Francs abheben von einem deutschen Livret – wie mach ich das?“
Gut, dass da keine echten  Gangster mit anstanden -. sie hätten uns sicher aufgelauert und einen über die Rübe gegeben....
Anfangs, als wir noch am Campingplatz Quartier bezogen, holten wir am selben Büro auch noch unsere „poste restante“ ab. Da mussten wir dann  an einem anderen Schalter anstehen, wieder den Ausweis vorlegen, und dann bekamen wir - gegen eine kleine Gebühr – alle Korrespondenz ausgehändigt, die wir an dieses Postamt hatten adressieren lassen. Zum Beispiel Prüfungsunterlagen oder Rechnungen, die nicht sechs Wochen liegen bleiben durften, aber auch Persönliches.  Hatte ich vorhin vom Genuss der Langsamkeit gesprochen? Da hatten wir ihn, mindestens alle zwei Wochen.
            Wie hastig und schnelllebig dafür unsere heutigen Geldgeschäfte!  Meine Frau hat eine Kreditkarte, die fast überall ratz-fatz akzeptiert wird, in Ausnahmefällen auch nur mit Personalausweis – wie unromantisch! - aber ….. - da klemmt der Fortschritt – manchmal auch gar nicht! So bei Tankstellen. Da haben wir oft  gestanden – tatsächlich auch  heute noch, im Jahr 2018 einmal - .  mit leerem Tank, mit vollem Portemonnaie ,aber einer Zapfsäule, die sich allen mitgeführten Kreditkarten und  uns verweigert, total (oder auch Elf, Agip,Intermarché...)! 
Frankreich ist gespickt von Tankstellen, die „à la carte“ funktionieren, 24 heures sur 24 … aber nur für Einheimische. Die wenigen Tankstellen, die Bargeld akzeptieren, haben am Wochenende meist zu. Und dann kommen wir und wollen zurück ins 600 Kilometer entfernte Allemagne, und kriegen die Krise.  Auch eine Art Langsamkeit, die wir dann entwickeln, um mit dem verbliebenen Sprit vielleicht doch wenigstens bis Luxemburg zu schleichen....  Nun, da wir lernfähig sind, haben wir endlich die Vorzüge unserer Tankstelle im Dorf Bonnard erkannt – Tankstelle, die wir früher immer als viel zu teuer  gemieden hatten. Dort ist wie alle Tage in der Woche Monsieur Rocheteau am Werke,  also auch an einem Sonntag ganz früh morgens,und da tanken wir – nein, wir werden noch betankt – vom Chef persönlich und … können bar bezahlen.
Ach, wie gut, dass die „Moderne“ uns noch nicht ganz eingeholt hat in der Provinz!  Wer allerdings denkt, dass „le Garage Rocheteau“ völlig raus sei aus der Zeit, der irrt. Vor drei Jahren hatten wir einen Defekt am  Auspuff, zwei Tage vor unserer Heimreise. Ein wesentliches Teil war durch- gerostet und wir hätten so nicht fahren können. Catastrophe? Non - Rocheteau besorgte binnen 24 Stunden das benötigte Ersatzteil, baute es ein und wir kamen pünktlich nach Hause. Ich behaupte ja, das hat nur geklappt, weil wir (in kluger Voraussicht möglicher Probleme …) ein französisches Auto fahren. Hätten wir einen Passat oder Focus, wären wir mit Sicherheit länger liegen geblieben.... Aber, und das zeigt der Grad unserer Modernheit in Bonnard,  wir hätten dann schon mit dem Handy zu Hause Bescheid sagen können, wahlweise auch per email der Schulleitung durchgeben, dass wir „leider“ erst mit zwei, drei Tagen Verspätung  zum Unterricht  kommen werden....


Anmerkung von eiskimo:

Auszug aus der Textsammlung "Vivre en Bourgogne"

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