Gute Nachricht vom Dorf

Bericht zum Thema Wandel

von  eiskimo

Französische Freunde locken mich seit Jahren stets für mehrere Wochen zu sich in ein 500-Seelen-Dorf, das in Burgund gelegene Bonnard. Ich bin da gern, obwohl (oder vielleicht weil ?) es jedes Mal eine Reise ins Land der Langsamkeit und des schleichenden Verfalls ist.
Landflucht (exode rural) heißt das Übel, das hier nicht nur die Zahl der bäuerlichen Betriebe auf neun reduziert hat, sondern auch die Fortführung der Zwergschule  jedes Jahr aufs Neu in Frage stellt. Das Postbüro wurde bereits geschlossen. Der kleine Lebensmittelladen, die Apotheke und die Autowerkstatt werden mit Sicherheit keine neuen Betreiber finden, wenn Patrick, Jean-Marc und Marcel demnächst ihr Pensionsalter erreicht haben.
Nichts Ungewöhnliches im modernen Europa, ja, in einer Welt, die sich insgesamt total in Richtung Urbanisierung hin bewegt.
Jetzt aber kommt das Ungewöhnliche im Fall Bonnard: Ein neuer Betrieb wurde gegründet! In direkter Nähe zum Dorf! Aber nicht nur das! Die Gründer sind ein blutjunges Ehepaar, das tatsächlich hierhin in die sterbende Provinz gezogen ist. Und sie haben nicht etwa so etwas Neumodisches wie eine Internet-Firma oder den vierten mobilen Pflegedienst für Senioren mitgebracht, sondern …. eine Schweinezucht!
Total verpeilt! würde jeder sagen, der die Unzahl von Mastbetrieben in Burgund gesehen hat. Vor allem die weißen Charolais-Rinder prägen in immer größerer Zahl das Bild der Landschaft, aber auch Schafe und Ziegen grasen da, und die hässlichen Schweineställe für den bekannten Morvan-Schinken sind auch nicht zu übersehen – Fleischproduktion en masse also.
Nun sind Corinne und Hervé Chabat keine Dummen. Sie haben beide das Lycée agricole absolviert und Landwirtschaft studiert. Sie haben zusammen einen Start-up-Plan ausgearbeitet und von der EU-Förderabteilung für strukturschwache Regionen dafür einen ordentlichen Kredit zugeteilt bekommen. Und sie haben ganz offenbar eine vortreffliche Marktanalyse betrieben. Für welches Segment im völlig überreizten Markt für Schweinefleisch?
Nun, für eine Aufzucht „à l´ancienne“, das heißt „freilaufend“  und für die Rasse „Gascon“, also für sehr robuste schwarze Schweine, die auch die ungemütlichen Winter im kargen Burgund überstehen.
Nächstes As, das das junge Paar aus dem Ärmel zog: Sie vermarkten selber und haben zu diesem Zweck in Bonnard ein Ladenlokal angemietet, in dem sie samstags und sonntags morgens das Fleisch und ihre traditionell verwursteten Produkte feilbieten. Wirkung: Sie haben an beiden Tagen eine lange Schlange von Käufern vor der Tür, die geduldig anstehen und auch ohne Murren den noch nicht so ganz perfekten Service dort in Kauf nehmen – für ein Sortiment, das begeistert!
Auch ich war begeistert, nicht nur von dem sehr festen und würzigen Fleisch, sondern auch, weil Hervé mich spontan einlud, seinen Betrieb einmal zu besichtigen und Fotos zu machen von den Ferkeln, die da putzmunter um ihre Muttersau herumtollen.
Inzwischen haben die Chabats zwei zusätzliche Helfer eingestellt, sie haben Anfragen von nah gelegenen Restaurants, die auf dieses so nachgefragte Fleisch umsteigen wollen, und sie werden eine Art Hofladen eröffnen, damit sich der Andrang etwas verteilt.
Waren es anfangs acht Schweine, die da pro Wochenende vermarktet wurden, sind es jetzt elf.
Viel mehr will Hervé gar nicht ins Auge fassen, dafür sei das Gelände und die Hofanlage gar nicht ausgelegt.
Wer als Landwirt auch einmal Schwein haben möchte so wie das Ehepaar Chabat, der sollte  – das wäre mein Rat – auf  „freilaufend“ und „alte Rassen“ umdisponieren, und natürlich auf Bio. Die Leute werden es ihm vielfach honorieren! Mir, der ich selten Fleisch esse, gefällt allein schon das Wissen, dass diese Schweine dort wenigstens ein schönes Leben hatten.

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Kommentare zu diesem Text

Cora (29)
(26.08.19)
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 LottaManguetti (26.08.19)
Schön erzählt. Das liest sich flüssig bis zum Ende.

Lotta

 AchterZwerg (27.08.19)
Das gibt es bei uns im Taunus auch.
Nicht mit Schweinen, aber mit Galloway-Rindern.

Jedes dieser "Experimente" ist zu begrüßen. Besonders dann, wenn sie so intelligent geplant und durchgeführt werden, wie in deinem Beispiel.

Ich selber freue mich, wenn ich diese putzmunteren Tiere anschauen darf und denke dabei nicht an deren Verzehr.*hüstel).
Aber ich verstehe natürlich, was du uns sagen willst.

Liebe Grüße
der8.
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