Zerrissenheit (Sonettenkranz)

Sonett zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Didi.Costaire

I. Der Wandel der Zeit
 
Die Lage ist so gut und schlecht wie nie,
halt je nach Standpunkt, sehr verehrte Leser!
Man schwenkt ja halbwegs ungleich volle Gläser
und schwankt schon zwischen Leichtsinn und Phobie.
 
»Globalisierung« heißt das Zauberwort
für jene, die dabei enorm gewinnen.
Für andre gibt es schlichtweg kein Entrinnen,
geschweige einen freien Rückzugsort,
 
so dass sich viele um die Zukunft sorgen
und glauben, dass es früher besser war.
Da fühlte sich die Masse noch geborgen.
 
Dem Jetset scheint die Welt fast ohne Ketten
recht angenehm zu sein und annehmbar.
Das Leben bietet etliche Facetten.
 
 
II. Auseinanderleben
 
Das Leben bietet etliche Facetten,
doch kennt man davon maximal 'nen Teil,
und Unterschiede treiben manchen Keil
ins Miteinander und man sagt, sie hätten
 
mit Schuld am Egoismus heutzutage,
da jeder an den eignen Vorteil denkt 
und selbst ein Lächeln selten gern verschenkt.
Das stellt nicht bloß Gemeinsinn herb infrage,
 
auch Konventionen stehen auf der Kippe.
Wo Pro im Wortgefecht auf Kontra prallt,
riskiert man eben eine dicke Lippe.
 
Wer nur bedacht ist, seine Haut zu retten,
betrachtet andre unter Vorbehalt -
die richtig Miesen und die eher Netten.
 
 
III. Zwischen Social Media und Darknet
 
Die richtig Miesen und die eher Netten
triffst du auf dem verschiedensten Parkett
und viele tummeln sich im Internet.
Dort findet man beim Surfen und beim Chatten
 
gut Menschen neben üblen Lügenbolden.
Die kommen mehrmals täglich ungehemmt
zett Be als »Peter Müller« angespamt,
um sich ihr Sündenbabel zu vergolden.
 
Auch Manipulation geht auf den Keks.
Was »Nachricht« heißt, ist oftmals dreist erfunden.
Im Netz vermehrn sich schlecht gemeinte Fakes.
 
Bekannte Plattformen verbreiten die.
Da sind die ganzen Freunde eingebunden.
Für nichts indes gibt’s eine Garantie.
 
 
IV. Preise der Freiheit
 
Für nichts indes gibt’s eine Garantie
in einer Welt, die sich tagtäglich wandelt,
in der man aber fast mit allem handelt,
mit Prunk und Protz sowie mit Energie.
 
Selbst Wohnraum, den die Städter fraglos brauchen,
ist Wirtschaftsgut und das für viele mies,
denn Wucher bringt Vermietern reichlich Kies.
Die Einwohner der Metropolen krauchen.
 
Die Kräfte funktionieren umgekehrt
in abgehängten, ländlichen Regionen.
Dort sind die Immobilien kaum was wert.
 
Es kommt zu Leerstand, Landflucht und Verfall,
wo sich Investitionen nicht mehr lohnen.
Probleme lauern quasi überall.
 
 
V. Alterserscheinungen
 
Probleme lauern quasi überall.
Marode sind die Schulen, Straßen, Brücken.
Doch hochbetagten Menschen helfen Krücken
fürs flotte Tänzchen beim Seniorenball.
 
Die werfen Ihre Flinte nicht ins Korn.
Sie blühen auf, bevor sie fein vererben.
Bei andren Rentnern reicht es kaum zum Sterben,
zum Leben schwerlich – höchstens zum Verdorrn.
 
Als Pflegefall will sicher niemand enden,
vor allem weil es oft an Kräften fehlt,
ihn, wenn schon sonst nichts, wenigstens zu wenden.
 
Da droht ein stetig böseres Erwachen,
dass sich manch Alternder am Schluss noch quält,
weshalb sich Leute heute Sorgen machen.
 
 
VI. Dunkelziffern
 
Weshalb sich Leute heute Sorgen machen,
hat auch mit Ihrem Überfluss zu tun.
Sie haben hartes Geld verdient und nun
besitzen sie recht hochwertige Sachen,
 
die Kriminelle ebenfalls begehren.
Die stehlen flugs und fliehen dann geschwind,
besonders, seit die Grenzen offen sind,
und ihre Taten sind nicht leicht zu klären.
 
Verbrechen werden Opfern zum Verhängnis.
Die Täter, scheint es, straft der Rechtsstaat kaum.
Sie landen nur vereinzelt im Gefängnis.
 
Auch kommt's bei uns gefühlt zu mannigfachen
Gewalttaten im öffentlichen Raum,
wo viele Existenzen sich verkrachen.
 
 
VII. Unvereinbarkeiten
 
Wo viele Existenzen sich verkrachen
und sich Miseren mehren auf der Welt,
wirft die Gesellschaft andrerseits das Geld
verwöhnten Fußballspielern in die Rachen,
 
die Treue zu den Clubs fortan verneinen.
So steht der Profisport für Dekadenz,
und er entfernt sich von den echten Fans
anstatt die Leute etwas zu vereinen.
 
Auch sonst ist höchst präsent, was Menschen trennt.
Als Schwerter dienen Runen oder Suren,
wobei sich mancher Sportsfreund arg verrennt.
 
Gemeinsamkeit geht unter im Krawall
und herrscht kein Frieden zwischen den Kulturen,
droht insgesamt latent der große Knall.
 
 
VIII. Ein Fluss und Einflüsse
 
Droht insgesamt latent der große Knall,
liegt das mitunter allerdings am Wetter.
Die donnernden Gewitter werden fetter,
auf lange Dürre folgt ein Wasserschwall.
 
Orkane ziehen heillos übers Land.
Sie wüten immer häufiger und wilder
und sie missachten Tempolimit-Schilder.
Begegnungen erscheinen da riskant.
 
Auch trifft man manchmal auf das falsche Tier.
Wir brauchen keine Wölfe, sondern Bienen,
nur etliche davon verenden hier.
 
Vom Isegrim sind Tierschützer verzückt,
die friedliebend zu sein bis dato schienen.
Es wirkt, als wäre einiges verrückt.
 
 
IX. Geldwirtschaft
 
Es wirkt, als wäre einiges verrückt
und Weniges normal in unsrem Leben.
Zwar bleibt es meist ein Nehmen und ein Geben,
doch sorgt grad das für mancherlei Konflikt.
 
Man predigt feierlich Gerechtigkeit.
Dabei verkommt das arme Wort zur Hülle
und trotz der reichen Geld- und Güterfülle
macht sich ein Mangel an Vertrauen breit.
 
Das kann uns selbst Europa kaum noch bieten.
Nach beispielhaften Jahren ohne Krieg,
so scheint's, degenerieren die Eliten.
 
Das Kapital vermehrt sich dividendlich
und ziemlich spärlich schützt die Politik,
was immer sicher schien und selbstverständlich.
 
 
X. Die Krise der Demokratien
 
Was immer sicher schien und selbstverständlich,
wird vehement erschüttert, dass es wankt.
Das demokratische Gefüge krankt.
Was Menschenhand erschuf, währt nie unendlich.
 
Wir sehen nun in lauter andren Ländern,
die uns so nah erschienen und vertraut,
dass dort die Mehrheit auf Idioten baut
und Weltbilder sich radikal verändern.
 
Da ruft der Mob: »Ein starker Mann muss her!«,
als ob's nicht oftmals falsch gewesen wäre,
doch glaubt man derzeit wieder solche Mär.
 
Man lügt und trügt respektlos und geschickt.
Dadurch verändert sich die Atmosphäre,
ein Tatbestand, der auf die Stimmung drückt.
 
 
XI. Volksparteien-Verdrossenheit
 
Ein Tatbestand, der auf die Stimmung drückt,
ist, dass verkappte Unzufriedenheiten
selbst hier im Land die Diskussionen leiten.
An kruden Theorien wird gestrickt.
 
Die Volksparteien schrumpfen vor sich hin.
Kaum jemand hat die Kraft zum Koalieren
und das erschwert es, richtig zu regieren.
Oft raubt das Mittelmaß zum Zweck den Sinn.
 
Dann reden sie noch jede Menge Quark
und werfen gar Prinzipien übern Haufen.
So machen sie die Ränder furchtbar stark.
 
Denk ich an Deutschland bei der nächsten Wahl,
empfinde ich das just zum Haareraufen.
Die falschen Fehler wären nun fatal.
 
 
XII. Homo sapiens und seine Natur
 
Die falschen Fehler wären nun fatal.
Im Angesicht des wirren Weltenlaufes
und eingedenk des irren Ausverkaufes
sind gute Wege holperig und schmal.
 
Womöglich ist es lange schon zu spät.
Dann killen uns vergangne Umweltsünden
und selbst die Profiteure mit den Pfründen,
die werden wie der Rest vom Wind verweht.
 
Nur schaut man häufig weg wie bei den Waffen
und der Gefahr der letzten vollen Hausse.
Auf unserem Planeten, dem der Affen,
 
organisiert der Mensch sich managementlich.
Die Risiken erscheinen riesengroß,
doch sind sie ja vielleicht nicht unabwendlich.
 
 
XIII. Bedrohungen
 
Doch sind sie ja vielleicht nicht unabwendlich?
Wir haben eine taffe Konjunktur
und exportüberschießen stolz und stur.
Das findet gar zum Teil das Ausland schändlich.
 
Im Inland wiederum ist kaum zu sehen,
wo das Ergebnis all der Mühen bleibt.
Oft wird’s von Investoren einverleibt,
mit Sinn, behaupten Wirtschafts-Koryphäen.
 
Die Stellung Deutschlands gilt als exponiert,
dass Fremde hier ein Paradies vermuten,
was smart klingt, bloß mitnichten existiert.
 
Versinken wir im tiefsten Digital
und wird uns bald der Fortschritt überfluten?
Die Menschheit hat noch etwas Potential.
 
 
XIV. Es geht immer weiter
 
Die Menschheit hat noch etwas Potential.
Das müsste jeder wissen, hier am besten.
Es lässt sich leben in Europas Westen,
doch sind die Krisen international.
 
Die Flüchtlingswellen machen uns bewusst,
dass sich die aufgestauten Fehler rächen
und dann womöglich alle Dämme brechen.
Da drohen Panik und Kontrollverlust.
 
Gewöhnlich läuft es aktuell zu schnell
und selbst die Letzten müssen sich beeilen.
Das widerspricht Natur und Naturell.
 
Die Bürger kriegen Fortschrittsallergie.
Moderne Medizin muss die jetzt heilen.
Die Lage ist so gut und schlecht wie nie.
 
 
XV. Wider und für (Meistersonett)
 
Die Lage ist so gut und schlecht wie nie.
Das Leben bietet etliche Facetten,
die richtig miesen und die eher netten.
Für nichts indes gibt’s eine Garantie.
 
Probleme lauern quasi überall,
weshalb sich Leute heute Sorgen machen.
Wo viele Existenzen sich verkrachen,
droht insgesamt latent der große Knall.
 
Es wirkt, als wäre einiges verrückt,
was immer sicher schien und selbstverständlich,
ein Tatbestand, der auf die Stimmung drückt.
 
Die falschen Fehler wären nun fatal,
doch sind sie ja vielleicht nicht unabwendlich.
Die Menschheit hat noch etwas Potential.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (14.11.18)
Manchmal bleiben Kommentare aus, wenn ein Text peinlich ist. wenn er so misslungen ist, dass man kein Wort darüber verlieren muss oder wenn man wegen einer großen Leistung stupende staunt. Ich gestehe, dass es mir mit deinem Sonettenkranz so geht, Didi. Er ist eine vortreffliche kritische tour de raison durch die jüngere Gegenwartspolitik, die den Kommentator innerlich zerrissen, aber nicht ganz ohne Hoffnung zurücklässt. Chapeau!

 AZU20 meinte dazu am 14.11.18:
Besser kann man es nicht kommentieren. LG

 Didi.Costaire antwortete darauf am 15.11.18:
Danke fürs intensive Eintauchen in mein langes Gedicht, lieber Ekki! Deine Gedanken dazu haben mich gefreut.
Beste Grüße, Dirk

 Didi.Costaire schrieb daraufhin am 15.11.18:
@ AZU: Danke fürs Sternchen!

 harzgebirgler (14.11.18)
wie dein kranz der zerrissenheit
hier stück für stück ausdruck verleiht
bis hin zum schluss ist beispielhaft
und beweist kunst wie urteilskraft.

beste grüße with compliments
henning

 Didi.Costaire äußerte darauf am 15.11.18:
Danke für die Referenz
hier in Form von compliments!

Schöne Grüße, Dirk

 GastIltis (14.11.18)
Lieber Sir Dirk!
Wie man mit einem Sonettenkranz ohne zu straucheln oder zu stocken, also mit fünfzehn astreinen Sonetten (ich selbst vermag kein einziges zu schreiben!), diese gesellschaftliche Zerrissenheit so deutlich zu machen vermag, finde ich großartig.
Und dabei folgt jeder Satz dem vorherigen so leicht und folgerichtig, dass es mir die Sprache verschlägt. Ich kann mich fast nicht einkriegen. Super! Liebe Grüße von GastIltis, (unscheinbar, klein, nahe am Zusammenbruch.)

 Didi.Costaire ergänzte dazu am 15.11.18:
Hallo Gil,
ich bin froh, dass dir mein Kränzchen nicht ganz die Sprache verschlagen hat.
Und ich staune, dass du gar kein Sonett in deinem Repertoire hast. Ein solches würde dir sicher gut gelingen!
Herzliche Grüße, Dirk

 niemand (14.11.18)
@ Dirk
Super! Das muss Dir erst jemand nachmachen können.
Mit begeisterten Grüßen, Irene

 Didi.Costaire meinte dazu am 15.11.18:
Danke, Irene, und hocherfreute Grüße!
Dirk

 Bergmann (14.11.18)
Chapeau!
Ich glaube, es ist der zweite Sonettenkranz auf kv, den ersten bot Elias.

Dein Kranz schließt die Hoffnung für die Menschheit nicht aus.

Ach wäre doch der gordische Weltknoten ein solcher Kranz!

Herzlichst: Uli

 Didi.Costaire meinte dazu am 15.11.18:
Danke, Uli. "Gordischer Weltknoten" trifft es.
Sonettenkränze gab es hier aber schon ein paar mehr. Bei mir selbst ist es der vierte innerhalb eines Jahrzehntes. Vorher gab es neben dem Werk von Elias bereits eines vom mondenkind. Auch LottaManguetti und Janoschkus haben Sonettenkränze verfasst, die allerdings nicht mehr in der Datenbank stehen, ebenso wie die jener Autorin mit spanischem Namen, die nicht nur tolle Kränze basteln konnte, sondern sich zugleich ziemlich versiert in einem Riesengeflecht verschiedener kV-Accounts bewegte und deshalb irgendwann gehen musste. Ihr Name ist mir allerdings entfallen.
Beste Grüße, Dirk

 Didi.Costaire meinte dazu am 20.11.18:
Beaver vergaß ich übirgens noch zu erwähnen.

 TassoTuwas (15.11.18)
Hallo Didi,
vor deinem Sonettenkranz kann ich nur bewundernd den Hut ziehen (ungelogen, ich hab ihn mir extra vor den Lesen aufgesetzt)
Ein großartiges Werk!
Herzliche Grüße
TT

 Didi.Costaire meinte dazu am 15.11.18:
Da danke ich mit einem Diener!
Beste Grüße, Dirk
Sätzer (77)
(15.11.18)
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 Didi.Costaire meinte dazu am 15.11.18:
Oh, ein Palindrom zu meinem Kranz. Das passt gut zusammen, finde ich.
Danke und schöne Grüße, Dirk

 plotzn (17.11.18)
Gar nicht zerrissen sondern astrein verwoben ist Dein Sonettkranz, lieber Dirk!
Das Thema gibt wirklich Stoff für fünfzehn Sonette (vermutlich noch mehr
Auch ich ziehe meinen Hut vor dieser tollen Leistung. Chapeau!

Liebe Grüße,
Stefan

 Didi.Costaire meinte dazu am 17.11.18:
Hallo Stefan,
ja, Stoff gibt es genug und wahrscheinlich bald mal wieder einen Kranz. Aber erst einmal ruhe ich mich auf meinen Lorbeeren aus.
Danke dafür und liebe Grüße, Dirk
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