DM 6,20 verdiene ich plus 80 Pfennig Schmutzzulage, wenn ich unten im Keller auf einer Drehmaschine Formteile, genauer Kokillen aus Grafit fertige. Ich arbeite in einem Forschungsinstitut für metallische Werkstoffe.
Nur ganz selten bekomme ich „Besuch“. Wenn SIE aber kommt ist es immer wie eine Erscheinung in Weiß. Verdammt, ist sie schön! Sie holt neue Kokillen ab, möchte Änderungen oder neue Formen.
Manchmal gehe ich nach oben in die Institutsräume, dann sehe ich sie dort arbeiten in ihrem weißen Kittel Sie sitzt am Mikroskop oder spricht mit den Doktoranden, lächelt.
An einem Samstag habe ich sie in der Radio- und Fernsehabteilung des Kaufhofs gesehen. Sie war dabei, einen Walkman zu klauen. Keine Frage, zu offensichtlich, nicht professionell . Auf der Rolltreppe unten wurde sie von einem Mann und einer Frau in Empfang genommen.
Am Montag habe ich dann den Walkman samt Sicherungskette mitgenommen. Ein kleiner Seitenschneider in meiner Handfläche ist ein sicheres Werkzeug.
Ja, ich war damals einsam, wollte etwas von ihr, und wenn es nur für eine Stunde gewesen wäre. Ich hätte für viele Stunden und Tage meine Einsamkeit vergessen.
Auch ich klaue, aber die Dinge haben für mich kaum einen Wert. Bin ein einsamer Bär, nicht bösartig aber misstrauisch. Wer sagt einem wie man leben soll?
Als ich ihr den Walkman zusammen mit den Kokillen gebe, schaut sie mich das erste Mal direkt an.. Ein kurzes, ungläubiges Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Danach habe ich sie nur noch einmal kurz im Aufzug gesehen, ein Nicken, nie mehr war sie in meinem Keller.
Ein Jahre später – ich musste mir eine andere Firma suchen- sitzt sie im Bus mir gegenüber. Den Walkman in der Hand, Kopfhörer, schwarze Strumpfhose, schwarzer Minirock, Sonnenbrille. An der Haltestelle „ Kaiserplatz“ steigt sie aus. Ich schaue ihr nach, möchte die Zeit anhalten.
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