Buchleere

Kurzprosa zum Thema Buch/ Lesen

von  BeBa

Das überrascht mich. Ich halte ein Buch in den Händen, mitten in dieser Bücherei, und finde keinen einzigen Buchstaben auf all seinen Seiten. Dabei habe ich doch noch gestern eine Lobeshymne darüber in der Tageszeitung gelesen. Ich gehe zum Bibliothekar, lege ihm das Buch hin und erkläre ihm, dass es sich hier wohl um einen Fehldruck handelt. Wieso, fragt er mich und blättert kopfschüttelnd durch die Seiten. Was damit nicht in Ordnung sei? Aber die Seiten sind doch leer, sage ich. Er schaut mich fragend an, runzelt dazu geschult die Stirn und meint dann, dass ihm die Sache nun doch etwas seltsam vorkommt. Welche Sache er meint, möchte ich wissen. Na, da sei doch schon gestern jemand in etwa meinem Alter hier gewesen, hätte ihm auch dieses Buch gebracht und ebenso wie ich behauptet, dass die Seiten leer wären. Nun habe er doch den Verdacht, dass wir unter einer Decke stecken würden und ihm einen Streich spielen wollten. Wer der Andere gewesen sei, frage ich, aber er zuckt nur verärgert mit den Achseln und fragt mich gereizt, ob ich das Buch nun ausleihen wolle oder nicht. Sicher, meine ich, lege ihm meine Lesekarte vor und verlasse die Bücherei. Mit einem Buch ohne Buchstaben. Immer noch kann ich das alles nicht begreifen und setze mich erst einmal in ein Café direkt neben der Bücherei. Ich bestelle einen Cappuccino, schaue noch einmal in das Buch und hoffe, dass sich das Rätsel ganz harmlos auflöst. Aber die Seiten bleiben weiß und leer. Ich schaue ratlos auf. Da steht die Serviererin vor mir, mit meinem Cappuccino in der Hand. Noch jemand mit diesem Buch, meint sie. Ich muss sie wohl recht verständnislos angeschaut haben, denn sie stellt die Tasse ab und deutet dann mit dem Finger rund durch das Café. Und tatsächlich haben alle  Gäste um mich herum ein Buch in der Hand, so dick wie meins. Sie blättern und blättern, als suchten sie nach einer bestimmten Stelle. Ich lächle, denn mir ist klar, dass ihre Suche vergeblich ist. Aber im nächsten Augenblick läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Sie alle, wie sie dort sitzen und blättern, sie sehen mir verdammt ähnlich. Nein, sie sehen tatsächlich aus wie ich. Und mir wird schlagartig bewusst, dass ich hier ganz allein sitze mit mir.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(20.10.19)
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 BeBa meinte dazu am 20.10.19:
Du sagst es, lieber Sä. Danke dir.

 TassoTuwas (20.10.19)
Eine Buchleere, die Gedankenfülle produziert!
F. K. aus P. hätte es wohl auch so beschrieben
LG TT

 BeBa antwortete darauf am 20.10.19:
Danke, lieber TT. In der Tat, F.K. ist mir manchmel recht nah mit seinen Werken.

LG
BeBa

 Songline (20.10.19)
Surreal, aber nicht abwegig. Gefällt mir.
Liebe Grüße
Song

 BeBa schrieb daraufhin am 20.10.19:
Danke dir, Song.

Einen schönen Sonntag wünscht
BeBa

 Dieter_Rotmund (20.10.19)
Zu Schluss ist es zu konkret, da fällt die Spannung völlig ab, kein guter Schluss.

Kommentar geändert am 20.10.2019 um 09:41 Uhr

 Moja äußerte darauf am 20.10.19:
Spannende Idee! Ich stimme Dieter zu, überlasse dem Leser das Ende, der längst begriffen hat, worum es geht.

Ich habe mir erlaubt, Deine letzten Sätze zusammenzustreichen, vielleicht so:

- Und tatsächlich, alle Gäste blättern, als suchten sie nach einer bestimmten Stelle. Aber im nächsten Augenblick läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Sie sehen mir verdammt ähnlich. Nein, sie sehen aus wie ich. -

Gruß, Moja

 BeBa ergänzte dazu am 20.10.19:
Hallo Dieter,
ich stimme dir da zu. Ein guter Hinweis, vielen Dank.

Hallo Moja,
auch dir vielen Dank. Den letzten Satz werde ich tatsächlich nach Dieters Hinweis streichen.
Deinen Vorschlag werde ich überdenken. Ich mag Texte nicht zu schnell ändern, aber deine Kurzversion hat was. Muss noch mal in mich gehen.

Diese Texte entstehen bei mir in der Regel aus einer Art Flow heraus. Grob editiere und korrigiere ich dann, aber viel ändere ich meist nicht mehr und lasse den Text auch nicht mehr viel reifen vor der Veröffentlichung hier. Um so wichtiger ist mir deshalb das Feedback der Leser.

Danke noch einmal euch beiden.

Einen schönen Sonntag,
BeBa

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 20.10.19:
Dito. Nacher ist Fußball!

 BeBa meinte dazu am 20.10.19:
Fußball war gestern. 3 Punkte bei St.. Pauli und drei zuhause gegen die Fohlen. Und die wackeren Augsburger machten das Wochenende perfekt. :)

 eiskimo (20.10.19)
Ich stand letztens im Museum vor einem Gemälde, das lediglich geschwärzt war. Fully black! Da ist wahrscheinlich die ganze Druckerschwärze reingeflossen, die mal Dein Buch ausmachte.
So fließt Eins ins Andere - man kann oft nur staunen.
Jedenfalls ein guter Text!
lG
Eiskimo

 BeBa meinte dazu am 21.10.19:
Das erklärt Einiges.

LG
BeBa

 EkkehartMittelberg (20.10.19)
Alle, die in diesem Buch mit den weißen Blättern vergeblich suchen, haben eines gemeinsam: Sie wollen nicht begreifen, dass sie Manipulierte sind.
Servus
Ekki

 BeBa meinte dazu am 21.10.19:
Jo.

Danke, Ekki.

 GastIltis (20.10.19)
Hallo BeBa, wie kann man nur so rückständig sein, sich „Des Kaisers neue Kleider“ in Buchform auszuleihen? Jetzt, da wir längst eine Demokratie haben. Oder nicht? LG von Gil.

 BeBa meinte dazu am 21.10.19:
Ist das nicht unfassbar?

Danke, Gil, du verstehst mich.

LG
BeBa
Al-Badri_Sigrun (61)
(21.10.19)
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 BeBa meinte dazu am 21.10.19:
Danke dir, liebe Sigrun.

LG
BeBa

 juttavon (22.10.19)
Sehr gelungene Mischung aus absurd und vertraut

Kennst Du von Ilse Aichinger die kurze Erzählung "Wo ich wohne" in dem Band "Meine Sprache und ich". Könnte Dir gefallen...

HG Jutta

 BeBa meinte dazu am 22.10.19:
Hallo Jutta,

es freut mich, dass dir der kurze Text gefällt. Und danke für den Hinweis auf Aichingers Kurzerzählung. den Band habe ich (noch) nicht, aber den Text habe ich als PDF gefunden. Ja, du hast Recht, der Text gefällt mir sogar sehr!

LG
BeBa
Oreste (40)
(23.10.19)
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 BeBa meinte dazu am 23.10.19:
Danke, Oreste.

LG
BeBa
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