Namen ...

Kurzprosa zum Thema Alltag

von  BeBa

Heute Morgen kam mit der Post die Aufforderung, meinen Namen abzugeben. Ich hätte mit der Pensionierung das Alter erreicht, von dem an ein Name nicht mehr benötigt würde. Die steuerliche IDNr reiche zur Identifizierung aus. Ein weiterer Passus erklärte mir, dass ich einen besonders begehrten Namen trüge. Ein noch in der Arbeitswelt befindlicher Herr hätte bereits seinen Anspruch darauf angemeldet. Das mache es besonders dringlich, dass ich baldmöglichst, auf jeden Fall aber innerhalb der nächsten 14 Tage bei der Meldestelle im hiesigen Rathaus vorstellig würde, selbstverständlich nicht ohne gültigen Personalausweis.
Mit dieser amtlichen Mitteilung konnte ich gar nichts anfangen. Im Gegenteil, ich dachte zunächst an einen Scherz. Nachdem ich aber dieses Schreiben immer und immer wieder gelesen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es tatsächlich ein offizielles und höchstamtliches Schriftstück sein müsse. Also wählte ich die Nummer, die dort für weitere Auskünfte notiert war. Es klingelte, dann teilte mir eine nette Frauenstimme mit, dass ich außerhalb der Bürozeiten anrief. Um elf Uhr morgens, an einem Donnerstag! Ich wunderte mich, schaute ein paar Minuten durchs Fenster auf all die vom Leben gehetzten, aber benamten Menschen.
Dann versuchte ich mein Glück aufs Neue. Diesmal meldete sich eine sehr amtliche Männerstimme. Seinen Namen verstand ich auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht. Also gab ich es auf und erzählte ihm stattdessen von diesem merkwürdigen Brief. Welches Problem ich damit hätte? Seine Abteilung wäre jeden Tag ab neun Uhr für mich da. Außer Montag, wegen des Wochenendes erst um zehn. Am Dienstag nur nachmittags, Mittwoch dagegen bereits um acht, aber nur bis elf. Heute, am Donnerstag, ab neun (Aha!). Nur Freitag wäre geschlossen, denn das wäre der AktenSchließundVernichtungstag. Der müsse ja auch mal sein. Demnächst wäre übrigens auch alles im Internet zu finden.
Aber warum ich meinen Namen abgeben müsse, fragte ich. Ah, ich hätte ein Problem damit! Nun verstünde er. Ich könne, wenn mir daran läge, einen Ersatznamen beantragen. Selbstredend wäre das dann einer, der nicht allzu gefragt wäre, und er nannte mir gleich ein paar Beispiele. Oh, meinte ich. Und er: Ich könne es mir ja noch überlegen, und damit legte er auf.
Jetzt stehe ich hier, vor dem Eingang zur Meldestelle, mit gültigem Ausweis. Doch an der Tür hängt ein Schild mit dem Hinweis, dass das Amt bis auf weiteres wegen Personalmangel geschlossen ist. Wichtige Unterlagen könnten aber im Briefkasten eingeworfen werden.
Ich werfe also meinen Namen dort ein. Auf einen Ersatznamen werde ich wohl bis auf weiteres verzichten müssen.

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Kommentare zu diesem Text


 unangepasste (15.12.19)
Gelungene Satire auf eine Gesellschaft, in der ein Mensch nur mit Arbeit jemand ist.

 BeBa meinte dazu am 16.12.19:
Danke dir, unangepasste.

LG
BeBa

 EkkehartMittelberg (15.12.19)
Hallo Beba, dass Einfachste ist, wir verzichten auch auf die Persönlichkeit,. Dann brauchen wir keinen Namen mehr.
LG
Ekki

 BeBa antwortete darauf am 16.12.19:
Ja Ekki,

das wäre die Lösung.

LG
BeBa

 GastIltis (15.12.19)
Hallo BeBa,
erinnert mich ein wenig an Günter Kunerts „Zentralbahnhof“. Einmal, was die Eindringlichkeit angeht, und dann, was den sehr gekonnten Erzählstil betrifft.
Und wer denkt, dass der Sachverhalt reine Satire ist, aus meiner entfernten Verwandschaft ist mir ein Fall bekannt, wo ein Junge in Köln eingeschult worden ist, der mit fast dreißig Schülern zusammen eine Klasse belegte, von denen wohl nur vier keinen ausländischen Hintergrund hatten. Die Schüler wurden wegen der „Schwere“ der Namen mit Nummern versehen, nur die Klassenlehrerin, eine Dame mit einem Doppelnamen, musste mit ihrem Namen angesprochen werden. Integration mit Zahlen! Welch ein Zauber.
Herzlich grüßt dich Gil.

 BeBa schrieb daraufhin am 16.12.19:
Hi GiL,

und danke für die nette Anekdote. Die wäre eine eigene Geschichte wert.

LG
BeBa
Cora (29) äußerte darauf am 16.12.19:
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 GastIltis ergänzte dazu am 16.12.19:
Ist es nicht, liebe Cora, leider kann ich mit den Fakten nicht ohne Probleme aufwarten, weil es sich bei dem Jungen um einen Cousin meiner beiden Enkel (8 und 6) handelt, der wohl auch die Schule nur ein Jahr besucht hat, bevor er mit seinen Eltern, sein Vater ist beim Bund, für einige Zeit in die USA gegangen ist. Da sich die Eltern unserer Enkel getrennt haben, müsste ich mich sehr verbiegen, um noch einmal an die Tatsachen heranzukommen. Aber wenn du drauf bestehst, würde ich es versuchen.

Noch einen Satz zum Thema Namen an BeBa:

Als ich mein Abi machte, übrigens in den Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale, bekamen wir einen Mathelehrer, immerhin hatten wir zehn Stunden pro Woche, der sich sofort einen Klassenspiegel von uns sechsundzwanzig Schülern geben ließ, den er von einem Tag zum andern auswendig lernte. Dass er am nächsten Tag alle mit Namen ansprach, brachte ihm größte Hochachtung ein, die er sich Stunde für Stunde neu erarbeitete. Der Mann hieß Ebner und war eigentlich Vermessungsingenieur. Seitdem genießen beide Berufe bei mir die höchste Wertschätzung.

LG von Gil.

Antwort geändert am 16.12.2019 um 14:48 Uhr
Cora (29) meinte dazu am 16.12.19:
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Aha (53)
(16.12.19)
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 BeBa meinte dazu am 16.12.19:
Hallo Aha,

ein wenig denke ich beim Schreiben immer an Kafka, und sei es unbewusst. Er ist schließlich einer meiner Lieblingsautoren.

Danke dir und LG
BeBa

 AchterZwerg (16.12.19)
Ein Weg aufs Amt kann sich schon beschwerlich gestalten.
Wird der arme Sünder dann noch durchnummeriert, fühlt er sich vermutlich genauso beschissen und klein, wie das vom Schöpfer solcher arbeitszeitverkürzenden Maßnahmen gedacht ist.
Aber: Hauptsache die monatliche Zuwendung wird nicht gekürzt,

wünscht der8. deinem Prota
von Herzen

 BeBa meinte dazu am 17.12.19:
Danke dafür, lieber 8.

LG
BeBa
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