Meine Reihe über Reihenhäuser - 5. Kapitel

Roman zum Thema Nachbarschaft

von  eiskimo

Ein bisschen Öko, ein bisschen Hippie, und ganz viel Party

Um schnell meine Geschichten und ihre Akteure wieder auf die Reihe zu bekommen, gehen wir noch einmal die Stationen ab über jenen Reihenhaus-Fußweg an den sieben gesegneten Haustüren entlang. Sieben Haustüren, die anfangs alle einmal das gleiche holzverschalte Vordach, die gleiche hässliche Außenbeleuchtung, das gleiche alberne Briefkasten-Dekor und den gleichen runden Messingklingelknopf hatten Man sieht hier: In über dreißig Jahren hat die Individualisierung ziemlich heftig zugeschlagen – kein Eingang und kein Vorgarten ähnelt inzwischen mehr dem anderen. Wobei Hempels pittoreske Trümmerlandschaft ein Fall für sich ist – also  schnell weiter.
Wir haben gerade ziemlich genau 40 bunte Meter zurückgelegt von Kloses Eckhaus aus gesehen. Wir sind an Chois Haustür vorbei gekommen und zuletzt bei Hempels –  die drei Familien kennen wir jetzt. Die vierte entdecken wir, wenn wir unter der Hausnummer 22 den Namen Engels lesen. Hier mündet der Fußweg in eine winzige Grünfläche. Folgt man dem Weg nach links, hat man die ganze Tiefe des Reihenhaus-Riegels plus die Tiefe der Gärten zu durchschreiten, um den Garagenhof zu erreichen: Stolze 25 Meter!
Aber wir wollten ja zu Engels. Engels sind nicht nur räumlich gesehen unsere entferntesten Nachbarn, sie stehen uns auch weltanschaulich eher fern. Um eine Kurzformel zu benutzen: Sie sind hier die selbst ernannten Spezialisten für Lebensfreude, Nachfahren der Hippie-Bewegung und schmerzfreie Pfleger einer ausgefeilten Party-Kultur. Im Wendehammer steht seit Jahr und Tag ihr tonnenschweres Wohnmobil, Umbau eines Feuerwehrwagens der frühen 70er Jahre, im Serengeti-Look bemalt und beklebt mit diversen „Atomkraft, Nein Danke“-Aufklebern.
Der kleine Vorgarten der Engels ist voll gestellt mit Fahrrad-Leichen, die leise vor sich hin rosten.
Ähnlich weg gestorben ist auch ihr nach außen inszeniertes Öko-Image. Denn Engels benutzen außer ihrem Wohnmobil (ein Mal im Sommer) eigentlich nur ihre beiden Kombis. Er den Mercedes und sie den feschen Clubman. Ihr Garten ist mit Girlanden und bunten Partyleuchten ziemlich wild dekoriert. Kaminholz türmt sich links und rechts von einem schmalen Durchgang hoch, und zwischen den Rattan-Liegestühlen steht unübersehbar ein viel benutzter Profi-Grill. Engels genießen es, wenn schönes Wetter und zeitgleich Lust auf Geselligkeit zusammentreffen, extensiv zu feiern Dann ist der Garten voller Leute, die Musik wummert und die Ausdünstungen ihres Grillgutes diffundieren in die neidvolle Nachbarschaft. Auch in der Woche sind die Engels nicht stumm. Da wird heftig Kaminholz gesägt und gespalten, und das monströse Wohnmobil muss ja auch regelmäßig bewegt werden.
Stolze Eltern von zwei sehr hippen Jungens, haben sie es nicht versäumt, ihren Nachwuchs in die Kunst dieser Come-Together-Kultur einzuführen. So wechseln die Events in Hausnummer 22 inzwischen inhaltlich immer wieder ab. Die Fete Ü50 wird abgelöst von Ü15 oder Ü20 – da konnten wir Party-Abstinenzler schon eine Menge lernen über Party-Timing, Party-Outfit, Party-Smalltalk und natürlich die wechselnden Party-Musikbegleitungen. Damit das Ganze sozialverträglich bleibt, stellen Engels natürlich ab Mitternacht die Boxen leiser. Dass die Gäste dann allerdings bis in die frühen Morgenstunden an den Häusern 20 bis 10 vorbei torkeln, lauthals scherzend, dass sie dann schwungvoll ihre Autotüren zuknallen oder knatternde Mofas starten, das muss man als toleranter Nachbar schon mal in Kauf nehmen. Zumal diese lebenslustige Familie das geschickt ausgleicht. Um die Gunst der Nachbarschaft aufrecht zu erhalten, organisieren sie zwei Mal im Jahr das große Nachbarschaftsfest.
Da platzt die kleine Grünfläche fast aus allen Nähten, denn Engels haben nicht nur die nett formulierte Einladungen verteilt, sie stellen auch die Biertisch-Garnituren auf und kümmern sich um die Spiele für die Kleinen - nein, da machen sie mit ihrer ganzen Feten-Routine einiges wieder gut.
Wir hätten einmal fast unser etwas übertriebenes Bedürfnis nach Ruhe nach hinten gestellt und sie kurzerhand ins Herz geschlossen – ja, hätten wir gemacht! - wären sie nicht heimlich mit ihren Sperrmüll an unseren Container gegangen. Den hatten wir nämlich im Zuge unseres Bad-Umbaus für teures Geld aufstellen lassen, zwanzig Meter von uns weg, auf der Straße. Da hinein durfte aus Kostengründen nur Bauschutt. Auf Anraten der Handwerker hin hatten wir sogar nachts eine Plane darüber fixiert.... Und da erwischen wir Frau Engels, wie sie spät abends zwei Säcke Gartenabfälle da unter der Plane durchquetscht. Nein, das war keine gute Begegnung an jenem Abend, zumal sie kess meinte, wir sollten mal cool bleiben – ihr Öko-Müll sei ja wohl kein Drama. Verrückt, wie prägend so ein Erlebnis dann ist. Inzwischen liegt es sicher 15 Jahre zurück.
Nein, Engels gehören definitiv nicht zu unseren Nachbarschafts-Favoriten. Aber was vielleicht bedenklicher ist: Sobald im Frühjahr die Temperaturen wieder zu Gartenfesten verleiten könnten, bete ich immer schon mittwochs und donnerstags für schlechtes Wochenend-Wetter. Und wenn ich dann Kälteeinbruch plus Dauerregen tatsächlich herbei gebetet habe, freue ich mich richtig über dieses Teufels-Wetter. Denn Engels Party wird nun drinnen stattfinden müssen, etliche Dezibel leiser, und wir notorischen Party-Abstinenzler werden halbwegs gut schlafen können.


Anmerkung von eiskimo:

Nur zur Klarstellung: Meine Reihe Reihenhäuser steht in keinerlei Zusammenhang mit der nun eingestellten TV-Reihe "Lindenstraße"

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (10.04.20)
Der Spießer mit dem teuren Bad gegen den gastfreundlichen Old-Hippie im Reihenhaus. Wer ist da sympathischer? Eine Frage der Lebenseinstellung. LG Gina
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