Was bisher passiert ist: In dieser Reihenhaus-Reihe wurden bisher das Eckhaus mit Hausnummer 10 (Familie Klose) und die Hausnummer 14 (die aus Korea stammende Familie Choi) vorgestellt. Im dazwischen liegenden Segment mit Hausnummer 12 wohnt die Familie des Autors.
Dieser hat aus dramaturgischen Gründen bewusst diese eher ruhigen und wenig spektakulären Nachbarn an den Anfang seiner Reihe gestellt. Ihm war klar, dass er spätestens mit der dritten Wohneinheit etwas mehr Spannung in seine Begegnungen bringen musste.
Nur gut, dass in seiner Nachbarschaft tatsächlich diese schrillen, spektakulären Figuren existieren, die jetzt einen ganz anderen Drive in diesen Roman bringen. Irma la Douche, eine in die Jahre gekommene Blondine, die ihren Lebensunterhalt mit hohem körperlichem Einsatz zu verdienen scheint. Dann der pensionierte Studienrat für Latein und Katholische Religion, der nun schon im zweiten Jahrzehnt scheinbar selbstlos die sieche Mutter pflegt. Und natürlich noch die Gartenparty-Sippe aus dem Eckhaus mit der Nummer 22.
Weil die intensiven Recherche-Arbeiten zu jenen Exoten ihn sehr viel Kraft kosten, gab der Autor zuletzt nur noch einen Zwischenbescheid, in dem er um Geduld bat, aber gleichzeitig schon ankündigte, doch mit einer leichter vorzustellende Familie weiter zu machen. Darum lesen Sie jetzt hier, liebe Leserin, lieber Leser, exklusiv für Sie, Kapitel 4, überschrieben mit
„The Hempels“
Herr Hempel macht in Autos. Seine Frau, Frau Hempel, die braucht um sich herum Hunde. Und dazu ihren Teleshopping –Kanal, der ihr in der Woche mindestens drei dicke Paketlieferungen beschert. Die Kinder Steffi und Marco Hempel, sieben und fünf Jahre alt, haben ihren Platz irgendwo dazwischen. Viel Platz kann das nicht sein, denn Frau Hempels Bestell-Aktivitäten müssten inzwischen alle Zimmer deckenhoch füllen. Und da wo noch Platz bleibt, etwas im Garten, da versperren Herrn Hempels gesammelten Autowrack-Teile den letzten Zentimeter. Ach so, die Hunde müssen da auch noch irgendwo hin und her krebsen. Große braune Fleischerhunde, von denen jetzt eíner das Zeitliche gesegnet hat – zwei sind uns aber noch erhalten.
Dies sei vorweg gesagt: Die Kinder sind in Ordnung. Marco und Steffi spielen meist auf dem Fußweg vor dem Haus. Sie kommen mit den paar Metern da klar. Müssen sie auch, denn sowohl der Bereich vor dem Haus als auch der Garten sind zu gemüllt, unbegehbar und werden überdies von den netten Hunden täglich als Klo benutzt. Ausgeführt werden sie ja nicht. Das würde ja in jenem Haus einen Zeitplan und so etwas wie strukturierte Abläufe voraussetzen.
Knapp sieben Meter trennen uns von dieser duftenden Idylle. Es sind die knapp sieben Meter, die das Reihenhaus-Segment der koreanischen Nachbarn umfasst. Somit haben wir einen Puffer. Die tägliche Einsegnung, das Gebell der Köter und die Ausdünstungen ihrer Exkremente erreichen uns mit einer leichten Abmilderung. Der Wind, das haben wir leider lernen müssen, weht bei uns immer aus der falschen Richtung.
Familie Choi, besagte koreanische Nachbarn, sind von ihrem Geruchsinn und Gehör offenbar auf „kein Empfang“ geschaltet, genetisch sozusagen ausgeklinkt. Gut, die Alten waren ja die meiste Zeit des Tages immer in ihrem Restaurant, und die Kinder sind mit den wachsenden Müll- und Geruchsbelastungen aus Hempel ´s-Paradise aufgewachsen – eine Art natürliche Anpassung also.
Natürlich hatten wir es mit diskreten Hinweisen, freundlichen Appellen, schriftlich formulierten Warnungen versucht. Keine Wirkung.
Unsere Versuche, Familie Choi als direkte Nachbarn in juristische Maßnahmen einzubinden, sprich: mit ihnen zusammen Beschwerden bei Ordnungsamt oder Tierschutz vorzubringen, sind leider dann auf freundlich lächelnde Ablehnung gestoßen. Da mochten sie als Ausländer offenbar keine unnötigen Behörden-Kontakte – und lieber weiter mit asiatischer Geduld Hempels Umtriebe ertragen. Geduld, die uns Westeuropäern leider abgeht.
Muss ich vor diesen Erfahrungen weiter ausmalen, wie verbittert wir hier in Hausnummer 12 über den täglich weiter wachsenden Chaos-Betrieb in Nummer 16 waren? Meine Frau erfindet für diese Hempel-Gesellschaft immer mal wieder neue Namen, einfach um ihr empörtes Mütchen zu kühlen: „Die Asis..“, „Miss Piggy“…,“ Familie Frankenstein“ oder frei nach einer holländischen TV-Serie, die sich Drehbuch-mäßig ganz offensichtlich an unseren Hempels anlehnte: „Die Flodders“
Interessant ist dabei die Erfahrung, in welch tolerantem Land wir hier doch leben. Wenn Herr Hempel in der Nachbarschaft diverse Auto-Leichen parkt, die dann auf den Abtransport nach Polen oder Nordafrika warten, dauert es oft Monate, bis diese Wracks ohne gültiges Nummernschild bemerkt und mit einem behördlichen Aufkleber versehen werden.
Gelegenheit für mich, die in manchen Fahrzeugen entstehende Vegetation fotografisch zu dokumentieren. Dicht bei uns, an der Einmündung zur Straße, stand monatelang ein weißer Toyota Starlet. Erst begann die Fenstergummierung zu leben, schlug aus und färbte sich grün. Dann mutierte der Vogeldreck auf Frontscheibe und Wagendach zu einer farbenfrohen Collage, und dann verbanden sich im Innenraum Sitzpolster und nicht entsorgte Pizza-Kartons zu wuchernden Pilzen, die pittoreske Auswüchse auf den Seitenscheiben produzierten.
Unsere Stadt, immer bemüht um neue touristische Attraktionen, hätte gut und gern eine „Alternative Führung“ durch ein besonderes „Szene-Viertel“ anbieten können. Unter der Überschrift „Zwischen Gartenzwergen .. die Bronx“ wäre unsere Reihe als Beispiel eines besonderen Kulturen-Mix da gestanden. Hempels jedenfalls wären der Blickfang geworden, ja, hätten vielleicht noch städtische Zuschüsse für ihr „living urban concept“ beantragen können. Höhepunkt dieser Art von Street-Art: Hempels Garage.
Die birgt nicht nur einen Rostfraß-geschädigten Lada Niva als nunmehr zwanzigjährigen Dauergast, sondern auch ein wurmstichiges Möbellager. Erst haben Hempels allerdings die Möbel hineingestellt, und dann, auf die verbliebenen zwei Meter, den Russen-Jeep.
Der steht also vorne nackt im Freien, und über das stets geöffnete Garagentor hinweg wuchert jetzt der Knöterich . Wie zerzauste Haare senkt er sich über die Kühlerhaube; eine faszinierende, geradezu kunstvolle Selbstdarstellung; die vermoosten Scheinwerfer blicken allerdings sehr traurig aus der Wäsche.