Meine Reihe über Reihenhäuser .... Kapitel 1

Roman zum Thema Nachbarschaft

von  eiskimo

Das Eckhaus und intensive „social control“

Wir hatten uns für Nummer 12 entschieden – also ein innen liegendes Segment -, weil das Eckhaus, das damals auch zu erwerben war, den ganzen Garten zur Straße hatte und  mit seiner „kalten“ Außenwand  schwerer zu beheizen wäre.
Unsere Nachbarin in Nummer 10 wurde dann, kurz nachdem wir eingezogen waren, eine Frau Kemper,  die besagtes Eckhaus erwarb. Sie blieb nicht lang. Alleinerziehend mit einem 16jährigen Knaben, hatte sie diese Immobilie gewählt, weil der EX wohl nicht weit weg wohnte und der Sohn auf diese Weise „switchen“ konnte. Mal war er anwesend, mal nicht. Und finanziell konnte das Paar sich diese Lösung wohl leisten. Denn Frau Müller ließ nach kurzer Zeit schon eine stattliche Mauer um ihren Garten hochziehen. Auch sonst war die Gute sehr scheu und  verschlossen.
Trotzdem entging uns das nicht: Statt ihres Sohnes sahen wir bald regelmäßig, aber sehr diskret, einen männlichen Erwachsenen ein- und ausgehen, der nicht ihr Ex war – der aber eine Arztpraxis sein eigen nannte und ein schöneres Anwesen als das Kemper-Eckhaus. Zu diesem Herrn zog sie kurzerhand, und so war die Nummer 10 neben uns schon nach zwei Jahren wieder frei.
Rein nachbarschaftlich betrachtet war das für uns eine eher suboptimale Erfahrung. Als das Haus dann neue Besitzer fand, waren wir sehr gespannt.
Es kam das Ehepaar Klose. Gabi und Erwin waren damals gerade Rentner geworden. Er war Uhrmacher, sie hatte in einem Kurzwaren-Laden gearbeitet. Ungemein fleißig, hatten sie es offenbar zu einigem Wohlstand gebracht, denn sie kauften nicht nur dieses Haussegment neben uns, sondern sie besaßen in der Innenstadt auch schon eine gut vermietete Wohnung .
Nach der Erfahrung mit Frau Kemper hatten wir uns  beim Einzug dieser älteren Herrschaften fest vorgenommen, ganz auf Positiv zu setzen. Ein gutes Verhältnis zum nächsten Nachbarn, das musste sich doch herstellen lassen! Und so starteten meine Frau und ich eine regelrechte Charme-Offensive. Ein Willkommens-Blumenstrauß zum Einzug, dann kurz danach etwas Selbstgebackenes, Hilfe beim Tragen der Pflanzenkübel, und, und, und…
Was bei Erwin und Gabi aber die Signale definitiv auf Grün einrasten ließ, das war unser Sohn, damals gerade drei Jahre alt. Justin eroberte Gabi im Handstreich. Er erkor sie zur Lieblings-Oma, und sie adoptierte ihn quasi als das Enkelkind, das sie so sehr vermisste. Ihr Sohn Hans, damals schon länger verheiratet, konnte mit seiner Frau keine Kinder kriegen….
Justin war in der Folge häufiger bei Kloses als bei uns, denn bei uns ging es streng und geregelt zu, bei Gabi aber großzügig und … süß. Kein Nachtisch, von dem unser Sohn nicht ein Schälchen abbekam. Kein Wochenende, an dem Gabi nicht buk und … uns mit leckeren Striezeln, Soufflés oder Stachelbeer-Törtchen verwöhnte.
Das Ehepaar Klose war, wie man so schön sagt, vom alten Schlag. Man hätte sie auch in mancherlei Hinsicht als Spießer einordnen können: Das regelmäßige Kehren vor dem Haus, das Sauberhalten der Terrassenfliesen per Hochdruckreiniger, ihr picobello gepflegtes Stufenheck-Auto, das pünktlich abends in die Garage gefahren wurde – nee, das war nicht unbedingt unser Way of Life. Auch, dass Gabi uns in jedem Frühjahr und Herbst daran erinnerte, ja auch die Rosen am Haus zurück zu schneiden. Die wüchsen nämlich gefährlich dicht an ihre Hauswand heran… was ja abfärben könnte auf den Putz.
Natürlich nahmen wir diese kleinen Ticks gelassen hin, bekamen wir doch im Gegenzug dafür nahtlose „social control“ auch um unser Anwesen herum. Denn Gabi stand auf Kriegsfuß mit allen Hundebesitzern, die unseren Reihenhausweg als nahgelegenes Klo benutzten. Da konnte sie fauchen wie eine Wildkatze, was uns Häufchen- und haufenweise zugute kam. Gabi rief auch sofort bei der Polizei an, wenn Drücker, Hausierer  oder andere „komische Leute“ um das Haus herum strichen.  Die „jungen Leute aus Nummer 18“, die hatten es bei ihr auch schwer, schon weil sie öfters vergaßen, ihre Mülltonne wieder ´reinzuholen. Und das, so Gabi, „gehört sich doch nicht!“. Sie selber spülte übrigens nach jeder Leerung ihre Mülltonne heiß aus.
Würden Sie, werte Leserin, werter Leser,  solch aufmerksamen Nachbarn ihre Hausschlüssel anvertrauen oder sie sogar bitten, in Urlaubszeiten den Blumendienst in Haus und Garten zu übernehmen?
Ja, wir auch. Ohne zu zögern.  Kloses hatten auch unseren Briefkastenschlüssel, und alle Post- und Paketboten wussten, dass sie in unserer Abwesenheit jegliche Sendung  guten Gewissens „bei  Nummer 10“ abgeben konnten. Toll, wenn sich das dann über Jahre und Jahrzehnte bewährte. Es war für uns auch ein gern gepflegtes Ritual, für diese höchst zuverlässigen Nachbarn aus den Ferien immer ein kleines Geschenk mitzubringen.
Ansonsten war Erwin  mehr als ein Mal mein Retter in höchster Not, wenn z.B. im Keller ein Wasserrohr leckte, wenn ich im Garten eine standfeste Leiter brauchte oder für die Computer-Reparatur ein besonderes Mini-Werkzeug. Als gelernter Handwerker war er nicht nur mit Werkzeug aller Art bestens ausgestattet – er fand es auch immer auf Anhieb.
Interessanterweise blieben wir – trotz  wechselseitiger Hilfen und viel Sympathie – miteinander per Sie. Nur Justin wuchs ganz natürlich mit dem Du auf, und selbst, als er dann groß war, Schule und Uni fertig hatte und mal zu Besuch kam, duzte er natürlich „seine“ Gabi und „seinen“ Erwin“ weiter.
Schlauerweise kündigte Justin auch in fortgeschrittenem  Alter seine Besuche langfristig an, in beiden Reihenhaus-Segmenten! – so gab es für ihn (und uns!) immer etwas von Gabi frisch Gebackenes Wir revanchierten uns mit selbst gemachter Marmelade.
Weihnachten luden uns Kloses immer am zweiten Feiertag zu einem Kaffee mit Gabis selbstgebackenen Keksen ein. Dann saßen wir auf lupenrein sauberen Chippendale-Möbeln. Jedes Mal sagte meine Frau mir danach: Siehst Du, wie aufgeräumt ein Haus sein kann!
Wir brachten dann als Geschenk  – auch das war am Ende ein lieb gewordenes Ritual – einen von Hand gestalteten Kalender mit. Meine Frau hatte das Jahr über diskret  Kloses Gartenpracht fotografiert – diese Fotos waren dann der Garant, dass es wieder ein Jahr lang gut zwischen uns laufen würde, zwischen dem Muster-Reihenhaus Nummer 10 und unserer Bude, der Nummer 12.


Anmerkung von eiskimo:

Kloses sind leider vor ein paar Wochen weg gezogen, in ein Altersheim. Wir vermissen sie. Der Zahn der Zeit nagt auch an gut gefügten Reihenhaus-Beziehungen .

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (02.04.20)
Nicht schlecht, könnte aber gerne etwas sachlicher/weniger wertend sein, würde dadurch dennoch nicht an Stärke verlieren.

P.S.:
liegende -> liegende

 AZU20 (02.04.20)
Lässt sich gut lesen. LG

 AchterZwerg (02.04.20)
Ja, lässt sich gut lesen.
Aber: I c h bin grundsätzlich gegen Männerbesuch!

Klarstellende Grüße
der8.

 eiskimo meinte dazu am 02.04.20:
Ich mag auch keinen Frauenbesuch. Prompt fingen dann doch die Probleme an...
bedauernde Grüße
Eiskimo
Al-Badri_Sigrun (61)
(02.04.20)
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 eiskimo antwortete darauf am 02.04.20:
Danke, liebe Sigrun, für die ermunternde Rückmeldung. Ich erzähle ja nichts Spektakuläres. Selbst die Vorkommnisse, die hier höhere Wogen schlugen, sind banal.
Ich hoffe, ich kann noch ein bisschen die Spannung hochhalten.
LG
Eiskimo
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