Encore... Ein französisches Dorf, Schauplatz eines bösen roman policier, weitere Details

Roman zum Thema Mord/Mörder

von  eiskimo

Was ist in Bonnard, diesem Dorf in Burgund, passiert? Ein Mitglied des Kirchenchors wird am Sonntag vor dem frommen Auftritt in seiner Garage gefunden, reglos in seinem Auto liegend, bei laufendem Motor. Gaffende Nachbarn wollen einen Schlauch gesehen haben, der die Auspuffgase ins Wageninnere lenkte. Prompt kommt der dörfliche Flüsterfunk in Gang, natürlich schneller als die Untersuchungen der Polizei...


Kapitel 4


Die Brüder Dupuy, beide schlaksig, fast 1,90m groß und mit 31 und 34 Jahren schon recht erfahrene Feuerwehrmänner, hatten den alten Renault Estafette benutzt, um zum Ort des Geschehens zu gelangen – Blaulicht oder Signalhorn waren da an einem Sonntagmorgen nicht nötig gewesen, um von der etwas außerhalb Bonnards gelegenen Wache zum Haus Daché zu kommen. Und die rote Estafette brachte die Brüder auch zurück ins Dorf, wo sie am Bistrot de la Poste kurz Halt machten „auf einen Kaffee“.

„Radio Bonnard“ hatte längst die traurige Nachricht verbreitet, denn auf den Flüster-Funk im Dorf ist Verlass, auch an einem Sonntagmorgen: Die Männer am Thresen wussten jedenfalls Bescheid, dass da ein Todesfall eingetreten war in Bonnard. Zu ihren „petits noirs“ bekamen die beiden Dupuys deswegen gleich zwei Croissants spendiert, nach dem Motto: Los Jungens, dann erzählt auch mal! Und zwar die Details!

Offenbar hatten Frühaufsteher oder Leute, die ihren Hund Gassi führten, den Polizeiwagen am Haus des Installateurs gesehen, möglicherweise war die Garage einsehbar gewesen mit dem verräterischen Schlauch. Jedenfalls wussten da alle, dass es wohl Selbstmord gewesen sein musste: „Vincent Daché s´est suicidé.“

„Ich könnte es verstehen: Die Ehefrau verloren durch Krebs; von heute auf morgen in Rente gegangen – da fällt dir schon die Decke auf den Kopf, wenn du da alleine herunmhängst in deinem leeren Haus.“ Der dicke Maurice, der seit Jahr und Tag das Bistrot betreibt - „sieben Tage die Woche,“ wie er stolz zu sagen pflegt, nickte gewichtig mit dem kurz geschorenen Kopf. „Und unser Vincent war ein ganz stolzer – der hätte seine Einsamkeit und Not nie zugegeben...“

„Wer weiß,“ fügte Jeannot mécanique an, der Garagist, „vielleicht war er ja auch selber krank? Vielleicht hat ihm der Arzt gerade eine ganz böse Diagnose mitgeteilt. Leukämie, Parkinson, ein Gehirntumor... Da wäre er nicht der erste, der bei sowas die Reißleine zieht!“ Jeannot saß da im Bistrot in seinem speckigen Blaumann, den er jeden Tag trägt, und jeden Tag beginnt er dort „dans la Poste“ - frühestens gegen halb zehn Uhr geht er unter seine Hebebühne. Vorher hält Florence, seine Frau, die Stellung in der Werkstatt, bedient die beiden Zapfsäulen für Gasoil und Essence und nimmt die Wünsche der Kunden entgegen. Auch sonntags, weil in Bonnard ja – wie überall in Frankreich – der eigentliche Ruhetag am Montag abgefeiert wird.

„Bei dem Daché hätte es ja genügt, dass ihn der Arzt für fluguntauglich erklärt!“ ergänzte Matthieu Valère, der ehemalige Briefträger. „Es hatte ja sein können: Probleme mit den Augen, instabiles Herz-Kreislauf-System – ich meine, der Vincent war ja auch nicht mehr der Jüngste!“ Auch Matthieu ist Dauergast bei Maurice, seitdem er die Rente durch hat. „La Poste“ ist sozusagen die natürliche Nachfolge für die knapp vierzig Jahre, die er zuvor „la poste“ ausgetragen hat – wobei getragen hier heißen müsste: gefahren, und zwar 60 bis 70 Kilometer an einem Zustell-Tag. Bonnard versorgt postalisch 12 Weiler und drei weitere Dörfer.

„Stimmt!“ gab ihm der Wirt recht. „Und die Ballonfliegerei war im Grunde das letzte, was dem Vincent geblieben war. Wobei er da auch verdammt viel Geld reingesteckt hat, das sollten wir nicht vergessen. Was kostet allein die Ballonhülle aus diesem nicht brennbaren Spezialmaterial? Zwanzig Tausend? Wenn dann einfach der Flugschein weg ist, von heute auf morgen – da möchtest du nicht mehr leben, das ist doch ganz klar!“

Die beiden Feuerwehrmänner hörten sich die Kommentare der Bistrot-Kumpel erst einmal schweigend an. Sie aßen betont langsam ihre Croissants, machten auch zustimmende Miene zu der einen oder anderen Theorie, bevor sich Damien kurz räusperte. Er wischte sich den Mund ab und dann besonders sorgfältig seine moustache, die er immer akkurat zurechtstutzte. Alle hingen prompt an seinen Lippen:

„Also Leute! Da ist im Moment noch gar nichts klar. Gar nichts. Ihr könnt hier nur spekulieren, und wenn ihr spekuliert, ist natürlich alles denkbar. Aber wir von der Feuerwehr, wir werden ja öfter zu derartigen Todesfällen gerufen, und wir machen da auch Schulungen und psychologische Begleitung, gerade hier auf dem Land, wo wir die ersten sind vor Ort. Also zum Thema Selbstmord nur so viel: Männer erschießen sich. Männer machen kurzen Prozeß. Und sich so mit den Abgasen seines Autos selber ersticken – das dauert, das zieht sich. Und: Wenn das Auto einen Katalysator hat, würde das abgegebene Kohlenmonoxid alleine kaum reichen. Also, wir wären da sehr vorsichtig mit unserer Aussage.“

„Zumal Daché bis zuletzt gut drauf schien,“ ergänzte sein Bruder Luc. „Keine Depressionen, keine Aussetzer – jedenfalls hatte er noch für heute Morgen einen Auftritt mit seinem Chor geplant. Das klingt jetzt gar nicht nach eurer großen Verzweiflungstat ...“

„Es gibt aber auch schon mal Kurzschlusshandlungen,“ widersprach der Ex-Briefträger, „und wenn ihr sagt: Männer würden sich erschießen, dann müssten diese Männer erst einmal eine Waffe haben. Die hat aber nicht jeder. Ich habe jedenfalls keine. Was hier aber jeder hat, das ist ein Auto und zwei, drei Meter Schlauch!“

„Wahrscheinlich kannst du im Internet sogar genau nachlesen, wie du es anstellen musst, damit es auch auf Anhieb klappt,“ versuchte Maurice einen Witz. Als keiner so recht lachen wollte, schob er noch nach: „und du erfährst, ob es mit einem Diesel genauso tödlich wäre wie mit einem Benziner.“

Wieder keine Heiterkeit. Dafür ein Moment betretenes Schweigen.

Jeannot mécanique platzte dann förmlich heraus mit seiner Frage, und er schaute dabei Damien und Luc geradezu vorwurfsvoll an: „Habt ihr euch denn klar gemacht, Leute, was die Alternative wäre? Ich meine, wenn Daché sich tatsächlich nicht selber umgebracht hätte – dann hätte es ja ein anderer tun müssen. Dann, liebe Leute, wäre bei uns hier in Bonnard gerade ein Mord passiert!“


Kapitel 5


Sonntagmorgen in Bonnard, kurz nach Elf. Zwei Kombi-Fahrzeuge vor dem Haus Rue des Sangliers 18, zwei Männer auf den Fahrersitzen, beide in sich zusammen gesackt. Der Unterschied: In dem dunkelblauen Dacia der Gendarmerie, der etwas verdeckt neben dem Haus geparkt ist, liegt Sergeant Laurent Castel und schläft deutlich hörbar seinen Rausch aus, und in dem grünen Laguna, im Halbdunkel der Garage, liegt Vincent Daché reglos und kalt. Nach ärztlichem Befund ist dieser ältere Herr seit einigen Stunden bereits tot.

Zwischen den Fahrzeugen pendelt nervös eine zweite Polizistin, Sandrine Constant. Sie hat „das volle Programm“ zu absolvieren, ganz allein auf sich gestellt.

Nicht nur ein paar Dorfbewohner wegscheuchen, die vor dem Haus Daché partout etwas zu gaffen haben wollen, nicht nur die Kollegen von der Mordkommission in Dijon verständigen und ihnen den freien Sonntag vermasseln, nein, auch die Tochter in Paris ausfindig machen und ihr dann die traurige Nachricht vom Tod ihres Vaters übermitteln.

Wenigstens erweist sich Josephine Balard, die einfach nicht allein nach Hause gehen will, als echte Hilfe. Denn sie nimmt der Polizistin nach der Übermittlung der Todesnachricht das anschließende schwere Gespräch mit der Tochter ab. Echt eine Unterstützung. Zwei, die sich kennen und die ihren Schmerz nun ein bisschen teilen können.

Die Gendarmette scheucht derweil neue Schaulustige weg, spannt weiträumig Trassierband um die Grundstückseinfahrt und informiert dann auch ihren Dienststellenleiter Meunier über das besondere Ereignis, das für den Resttag die Wache in Lucenay unbesetzt lassen würde. Es fällt Sandrine Constant zwar in diesem Moment schwer, aber sie verschweigt auch jetzt tapfer den nahezu Totalausfall der werten Kollegen Castel. Da muss sie jetzt weiter alleine durch, egal, wie lange es dauert. Denn das ist von Anfang an klar: Die Gendarmerie muss den Tatort sichern, bis die „Profis“ aus Dijon da sind. Und die Gendarmerie heißt an dem Tag Sandrine.

Die „Profis“ aus Dijon sind erstaunlich schnell. Inspecteur Francis Rioux steuert den bulligen Peugeot 2008 über die D 953 Richtung Autun. Rioux ist knapp vierzig, frisch geschieden, kinderlos und privat gerade ziemlich schlecht drauf. So schlecht, dass er Einsätze am Wochenende tatsächlich gut findet, gut als Ablenkung.

Neben ihm sitzt von der Spurensicherung Rosa Hettange, eine kleine schwarzhaarige Praktikantin, kaum dreißig. Alle Kerle bei der Mordkommission in Dijon wissen, dass bei dieser Lesbe nichts läuft. Rioux versucht sich trotzdem als Charmeur. Dass die Praktikantin nur bei Bagatell-Fällen zum Einsatz kommt und wenn Wochenende ist, spricht er darum gar nicht an. Und einen Bagatell-Fall hatten die beiden gerade in Arnay-le-Duc hinter sich gebracht. Sturz mit Todesfolge, Fremdverschulden konnte eindeutig ausgeschlossen werden. Also jetzt noch schnell rübermachen in dieses kleine Kaff namens Bonnard, circa 25 Kilomter von Autun entfernt, zu diesem Quasi-Selbstmord. Das Navi sagt eine gute Stunde Fahrzeit an für 55 Kilometer. Klar, es geht hier durch die Pampa, genauer gesagt: In den Morvan hinein, alles kurvenreiche kleine Straßen.

„Die Notärztin war da, die Gendarmerie aus Lucenay sichert den Tatort – alles kein Problem,“ erklärt der Inspecteur. „Wir werden heute Abend wieder in Dijon sein und können dann, haha, unseren Feiertagszuschlag einreichen!“ Rosa nimmt es nicht ganz so locker.

„Wenn ich die Gendarmette richtig verstanden habe, gibt es gewissse Zweifel an dem Selbstmord. Wäre natürlich toll, wenn wir im Haus irgendwo einen Abschiedsbrief vorfänden, schön handgeschrieben, mit echten Tränen drauf. Dann ginge es schnell.“

„Stimmt!“ bestätigt Rioux. „Wenn nicht, kann es dauern. Dann muss obduziert werden. Derweil zerreißen sie sich in dem Dorf das Maul, wer da alles mit Schuld hat und was alles Böses passiert ist bei dem Verblichenen – oh, da werden uralte Rechnungen neu aufgemacht, und die nach außen so hübsch wirkende Idylle ist in Wahrheit eine Mördergrube - manche Dorfgemeinschaft zerbricht daran.“

„Francis, bitte nicht den Teufel an die Wand malen. Ich hoffe sehr, dass wir einen richtig schönen Abschiedsbrief finden werden. Irgend etwas Privates. Andernfalls müsstest Du dann das halbe Dorf verhören, und der eine denunziert den anderen – eine wochenlange Schlammschlacht.“

„Apropos Schlamm, Rosa – siehst du die weißen Kühe links und rechts hier auf den Weiden? Alles Charolais-Rinder. Super Fleisch. Die stehen fast immer draußen im Dreck, aber fressen nur sauberes Morvan-Gras. Davon leben die Bauern hier, von dieser Rinderzucht. Ein bisschen Holzindustrie gibt es auch, aber da entstehen kaum Arbeitsplätze – das Leben ist hart hier oben. Das geht bis auf knapp Tausend Meter.“

„Ich glaube, wir sind da. Das Kaff hieß doch Bonnard, oder? Da war das Ortsschild. Sieht doch ganz nett aus, hier. Die Wälder, der hübsche Bach da, alles dicht an der Natur. Die Rue des Sangliers klingt auch noch so urweltlich. Die Wildschwein-Straße. Pahh..“

Und dann bringt Francis auch schon den Peugeot an der Hausnummer 18 zum Stillstand. Die Polizistin aus Lucenay wartet schon am Straßenrand. Sie winkt kurz zum Gruß, dann löst sie das Trassierband an der Einfahrt und dirigert die Kollegen aus Dijon in den kleinen Hof vor dem Haus.

Sergeant Laurent Castel ist kurz vorher wach geworden. Er hat einen kräftigen Schluck aus seiner Wasserflasche genommen, ist aus dem Wagen gestiegen, und jetzt zupft er seine Uniform zurecht. Dienstbeflissen salutiert er, und natürlich tut er so, als habe er die ganze Zeit der Kollegin Constant zur Seite gestanden.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (18.04.23, 07:29)
Hallo Eiskimo,
hier werden Nebenschauplätze aufgemacht, ganz wie es sich für einen Krimi gehört.
Liebe Grüße
der8.

(An deiner Stelle würde ich nur jeweils ein Kapitel einstellen. Zu viel Text schreckt ab - zumindest mich ;) . Bei dir habe ich mal eine Ausnahme gemacht).

 eiskimo meinte dazu am 18.04.23 um 09:09:
Danke für Deine Ausdauer. Wir sind halt hier auf dem Lande, es braucht alles seine Zeit, und das Dorf will ja auch was davon haben, wenn schon  mal der Streifenwagen kommt, extra aus Lucenay....
Du hast natürlich Recht, lange Texte sind per se schon abtörnend. 
Ich sitze auch schon an einem spritzig verkürzten Dreizeiler mit selbsterklärender Pointe - erst muss ich aber diesen Fall hier lösen, bin selber sehr gespannt...
LG
Eiskimo
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