Was war bisher passiert? Die "flics" wurden in ein Dorf namens Bonnard gerufen....
Kapitel 2
Vincent Daché ist seit 20 Jahren Mitglied im Kirchenchor der Gemeinde Saint Hippolyte in Bonnard – er hat eine sonore Bass-Stimme, ist ein Mann und dazu auch noch ein recht gut aussehender! Mindestens schon drei Gründe, warum die Damen dieses Chores – die mit 23 zu 4 in einer deutlichen Mehrheit sind – ihren Vincent immer schon schätzten. Warum sie zuletzt gar noch einen Zahn zulegten, damit der 65jährige bloß einer der Ihren bliebe? Nun, der erfolgreiche Kleinunternehmer war nicht nur vor drei Jahren in Rente gegangen, vielmehr hatte er auch kurz danach seine Frau Valérie verloren, die an Krebs verstarb. Da ist so eine gewachsene Gemeinschaft schon – weit über das Singen hinaus - ein wertvoller Halt.
Josephine Balard, klein von Statur, schlank, mit ihren kurzen grauen Haaren immer sehr gepflegt aussehend, wohnt wie Vincent Daché in Bonnard selbst. Sie wäre an diesem Tage dran gewesen mit dem Fahren und war deshalb sehr pünktlich zum Haus ihres so wert geschätzten Bass in die Rue des Sangliers aufgebrochen. Die Messe und ihr Chor-Auftritt sollten in La Celle stattfinden, 12 Kilometer weit weg in Richtung Autun. Warum nicht in Bonnard? Weil dort nur noch alle zwei oder drei Monate überhaupt eine Messe stattfindet. Der Priestermangel hat auch in Frankreich dazu geführt, dass Pfarreien zusammengelegt wurden. Die wenigen noch aktiven Priester absolvieren viele Kilometer, um wenigstens hin und wieder einmal in der Stamm-Kirche der Gläubigen eine Messe zu feiern. Der Chor, dessen Mitglieder längst nicht mehr nur aus einer Pfarre stammen, reist also wie die Priester in die umliegenden Dörfer, wann immer im Kirchenkalender ein Hochamt mit Chorbegleitung angekündigt ist.
Diesmal stünde also La Celle auf dem Plan, und Sopranistin Josephine hatte sich ehrlich gefreut, Vincent mit dorthin zu nehmen – für sie nicht nur eine willkommene Gelegenheit, während der Anfahrt die neuesten Anekdoten aus dem Dorf oder der Chorgemeinschaft loszuwerden, sondern auch aktiv „Auto-Fasten“ zu betreiben. „Wenn wir Christen nicht anfangen, unsere Autos zu teilen und damit viel Benzin zu sparen, wer soll es sonst tun?“ hatte sie diese Form der „covoiturage“ bei ihrem Chor angeregt, und tatsächlich schafften sie es meist, nicht alle einzeln in einem Auto für sich anzureisen.
Josephine hatte fast zwanzig Jahre lang als Sekretärin in der Eveché des Bistums Autun gearbeitet und war dort zuletzt dem Bischof persönlich unterstellt gewesen – sie kannte sich also bestens aus im Département Saône-et-Loire, das dieselben Grenzen hat wie das Bistum. Immerhin 550 Tausend Einwohner, davon 520 Tausend Katholiken.
Im Kirchenchor sang die 55jährige schon seit frühester Jugend, und mit größtem Bedauern musste sie dabei miterleben, wie dramatisch schnell die religiöse Praxis in ihrer Kirche wegbrach. Immer weniger Messbesucher, immer weniger Gottesdienste und immer weniger Einsätze der Sängerinnen und Sänger. Umso mehr kämpfte Josephine für das Fortbestehen ihres Chores in Bonnard, kämpfte sie um jedes aktive Mitglied.
Bei Vincent Daché sah sie sich zuletzt auch als Seelsorgerin. Der Witwer sollte spüren, dass der Kirchenchor durchaus auch ein Stück Lebenshilfe, ja, ein Stück Heimat sein konnte. „Wer zusammen singt“, sagte sie immer, „der kann auch die Sorgen des Alltags teilen !“
Ob für sie, die nie verheiratet gewesen war, vielleicht etwas mehr in dieser Beziehung verborgen war als nur das gemeinsame Hobby Singen? Nein, diesen Gedanken hatte sie, die gute Katholikin. von Anfang an fast panisch unterdrückt. Natürlich wäre Vincent – auch schon leicht ergraut und etwas gesetzter geworden - ein immer noch faszinierender, ja, tatsächlich begehrenswerter Partner. Aber allein der Gedanke, sich als Paar zu outen hier im so überschaubaren Bonnard oder gar in der Chorgemeinschaft – nein, da fehlte ihr ganz entschieden der Mut. Und hätten sie außerhalb des Chores überhaupt Gemeinsamkeiten? Sie, die mit allen Weihen daher kommende Chefsekretärin aus dem konservativen katholischen Lager, und er, der geschäftstüchtige Mittelständler, der mit seinem Installationsbetrieb im Morvan profane Haustechnik verkauft hat.
Womit Daché sich überall dort einen Namen gemacht hatte: Er war Ballonfahrer. Und er war der erste in der Region gewesen, der einen Heißluftballon nicht nur gekauft, sondern auch die Fahrer- und Passagierlizenz dafür erworben hatte. Für Bonnard ein Held, auch weil er die Ballonfahrerei mit großer Leidenschaft betrieb und bei jedem Start Freiwillige mit einlud – bis zu vier Mitfahrende packte er ein in seinen Korb, und alle, die dabei gewesen waren, schwärmten nach ihrer Luft-Taufe von dieser grandiosen Erfahrung, so elegant und sicher über ihre Heimatlandschaft zu schweben. Längst war Daché auch mit seinem Ballon ein absolutes Markenzeichen.
Wie viele andere im Dorf hatte sich die ehemalige Sekretärin natürlich auch gefragt, wie das zusammenpasste: Dieser gelernte Installateur, der es mit seinem Fleiß und dem richtigen Savoir Faire so weit gebracht hatte - der aber trotzdem bei ihnen sang, in diesem eher mickrigen, unterbesetzten Kirchenchor. Die Freude am Gesang allein war es nicht, das konnte man auch an normalen Sonntagen sehen. Denn der vielbeschäftigte Kleinunternehmer kam tatsächlich treu zur heiligen Messe, er praktizierte, wo andere längst zu Hause blieben.
Um ja pünktlich bei ihrem Sanges-Kollegen einzutreffen, war Josephine etwas zu früh losgefahren. So konnte sie ihren kleinen weißen Peugeot bewusst langsam die Grande Rue hinunterrollen lassen. Das Dorf schien noch zu schlafen. Selbst beim Bäcker war um kurz vor Neun noch kaum etwas los. Am Bureau de Tabac schob die lange Isabelle Lagarde die Metall-Läden zur Seite, und an der Autowerkstatt beim Jeannot mécanique entriegelte Madame mécanique die Schläuche an den beiden Tanksäulen – Jeannot braucht morgens immer etwas länger.
Vincent wird sicher schon an der Tür stehen, dachte die fürsorgliche „choriste“ und fuhr auf den Schotterstreifen an der Rue des Sangliers 18. Das Haus, das sich dahinter verbarg, war auf anderthalb Geschossen an den Hügel gebaut. Nichts Protziges, sondern ein schön restauriertes Einfamilienhaus, die Garage ebenerdig, davor ein kleiner Hof, daneben eine Art Steingarten, durch den die Treppe hinauf zur Haustür führte.
Seltsam: Die Fenster waren noch verrammelt, die Holzläden ungeöffnet. Hatte der Chor-Kollege etwa verschlafen? Josephine wollte zuerst hupen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber dann stieg sie doch lieber aus, um die Klingel an der Tür zum Treppenaufgang zu betätigen. Plötzlich sah sie es: Das Garagentor war nur angelehnt, und was war das? Sehr seltsam! Dahinter hörte sie einen Automotor laufen.