01 - Achterbahn der Gefühle

Erzählung zum Thema Aufwachen

von  TassoTuwas

Dieser Text ist Teil der Serie  Ferne Lichter so nah.
Roberts Finger trommelten einen beschwingten Rhythmus auf das Lederlenkrad. Obwohl nach Betätigung der Funksteuerung nur Bruchteile von Sekunden vergingen bis sich das Rolltor mit leisem Surren in Bewegung setzte und die Einfahrt freigab, hatte er das Gefühl eine Ewigkeit gewartet zu haben. Vor ihm flackerte die fahle Beleuchtung auf. Er beschleunigte die schwere Limousine mit fauchendem Motor durch die Einfahrt und schoss mit kreischenden Reifen durch die Kurven der Tiefgarage auf den ihm gehörenden Stellplatz zu.
Trotz des diffusen Lichtes erkannte er schon aus der Entfernung, dass der Platz links von seiner Stellfläche frei war. Das hatte er nicht erwartet. Mit einer Vollbremsung brachte er sein Fahrzeug nur wenige Zentimeter vor der Betonwand zum Stehen.
Doro ist also unterwegs, ausgerechnet jetzt, dachte er und augenblicklich schlug seine gerade noch übermütige Stimmung in Enttäuschung um. Musste das denn ausgerechnet an so einem Tag sein, haderte er mit der unerwarteten Situation.
Natürlich konnte sie jeden Augenblick zurück kommen, aber ob das nun in fünf Minuten oder in einer Stunde sein würde, es änderte nichts daran, seine ganze wunderbare Planung war damit über den Haufen geworfen. Eine Weile verharrte er bewegungslos hinter dem Steuer, starrte die graue Wand vor seinen Augen an, dann atmete er hörbar aus, gab sich einen Ruck, nahm die Aktenmappe vom Nebensitz, bückte sich nach dem im Beifahrerfußraum liegenden Blumenstrauß, mühte sich aus der Tür, betätigte die Wagenverriegelung und durchquerte das Halbdunkel das Kellers hin zur Fahrstuhltür ohne jede Hast.
Es hatte keine Eile mehr. Die ausgelassene, fast übermütige Stimmung, die ihn seit Verlassen des Büros begleitet hatte, war schlagartig verflogen, jetzt, da es mit seinem überraschenden Auftritt nichts mehr wurde. Zu lebhaft hatte er sich auf der Fahrt durch die Stadt vorgestellt, wie er Doro an der Tür regelrecht überrumpelt hätte. Er hatte sich die Worte zurechtgelegt, hatte eigentlich den ganzen Nachmittag in der Firma nichts anderes getan, als die richtigen Worte, die überzeugenden Worte, zu schönen Sätzen zu fügen.
Dann eben später, dacht er, obwohl, es war dann nicht mehr dass, was seiner Vorstellung entsprach. Er tippte den Zahlencode auf der Tastatur neben den Etagenknöpfen ein. Der Aufzug setzte sich geräuschlos in Bewegung und gewann an Fahrt. Er wickelte die Blumen lustlos aus, knüllt das Papier zusammen, während das Display über dem Tastenfeld in rascher Folge das erreichte Stockwerk anzeigte. Mit sanftem Ruck kam der Fahrstuhl zum Stehen, im Display leuchtete das rote P. Die Tür schob sich auf und er betrat die Diele das Penthauses
Noch bevor Robert den zweiten Schritt in die Wohnung getan hatte, bemerkte er mit einer Mischung aus ungläubigen Erstaunens und aufkommender Verärgerung, dass alle Türen zur Diele weit offen standen. Sein Blick blieb am Mahagonischränkchen, auf dem sich des Telefon befand, haften. Die oberste Schublade hing schief heraus, ihr Inhalt schien durcheinander gewühlt, einige Papiere lagen am Boden. Das passte nicht zu Doro, noch nie hatte sie das Haus unaufgeräumt verlassen. Ihn beschlich ein Gefühl der Unsicherheit.
Hastig legte er die wenigen Schritte zur Küche zurück. Es gab eine Abmachung zwischen ihnen, den jeweils anderen, hatte man ihn nicht telefonisch erreichen können, mit einer Nachricht an der Pinnwand über unvorhergesehene Abwesenheit oder plötzliche Änderungen im Tagesablauf in Kenntnis zu setzen.
An der Pinnwand befanden sich nur die bekannten Notizen der letzten Tage, neben den
Rufnummern von Pizzadiensten, Ärzten, der Taxizentrale. Trotzdem überflog er sie mehrmals, aber es blieb dabei, ihm war nichts entgangen. Er blickte suchend in die Runde, vergeblich, es gab keinerlei Zettel oder  einen irgendwie gearteten Hinweis, der Aufschluss hätte bringen können. Das zwiespältige Gefühl von Ratlosigkeit und Befürchtung wuchs in Robert. Bisher hatten Doro und er sich strikt an diese Abmachung gehalten, sie konnten sich aufeinander verlassen und überhaupt war er doch den ganzen Nachmittag in der Firma erreichbar gewesen. Er griff zum Handy und wählte Doros Nummer. Nach wenigen Sekunden hörte er den vertrauten Klingelton. Doros Telefon lag hinter dem Kaffeeautomaten.
Verwirrt und mit wachsender Besorgnis trat er ins Wohnzimmer, auch hier war nichts zu entdecken, nicht der kleinste Anhaltspunkt, der Aufklärung hätte geben können. Robert sah sich unschlüssig um. So wie er die Wohnung vorgefunden hatte deutete alles daraufhin, dass sie in großer Eile verlassen worden war. Im Wind bauschte sich die Gardine vor der handbreit offen stehenden Terrassentür. Er stieß sie auf und trat heraus.
"Doro" rief er, "Doro", und lauschte angestrengt in die Stille, obwohl eine innere Stimme ihm sagte, er würde keine Antwort erhalten. Er tat die wenigen Schritte zur Mitte der Terrasse, so konnte er das ganze Dach überblicken. "Pascha" rief er und gleich darauf "Pascha komm, das Versteckspiel ist vorbei!" Nichts regte sich, nur die Gardine in seinem Rücken raschelte leise im Luftzug. "Das lässt sich alles erklären, sicher gibt es dafür eine ganz einfache Erklärung, ich komm nur nicht darauf...", murmelte er und "...genauso wird es sein!"
Er ging wieder zurück, sah in rascher Folge durch die übrigen  Räume. Im Arbeitszimmer entdeckte er den Leeren Fleck am Boden, dort wo der Katzenkorb seit Jahren seinen Platz hatte war nichts mehr. Sie waren beide nicht mehr da, Dorothee und Pascha, der Kater.
Es gab nur eine  Erklärung

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (29.08.20)
Aufzug hoch - Stimmung runter = Dialektik des Seins.

 TassoTuwas meinte dazu am 29.08.20:
Ab und zu muss so ein Aufzug auch wieder runter = Naturgesetz

 EkkehartMittelberg (29.08.20)
hallo Tasso, das lässt an Spannung nichts zu wünschen übrig und entspricht dem aufregenden Titel.
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas antwortete darauf am 29.08.20:
Ekki,
ich verspreche es, bis zum Ende wird es noch etliche Spannung geben!
Ich werde es zumindest versuchen
Herzliche Grüße
TT
Al-Badri_Sigrun (61)
(29.08.20)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 29.08.20:
Hallo Sigrun,
mit dem letzten Satz sind alle Fragen beantwortet
Liebe Grüße
TT

 LottaManguetti (31.08.20)
:)

Spoilern ist nicht so meins. Also halte ich mal das lose Mundwerk.

 TassoTuwas äußerte darauf am 31.08.20:
Du bist eben ein außergewöhnliche Frau

 AvaLiam (14.10.20)
Mein lieber Tasso,

eigentlich wollte ich eine kleine Gute-Nacht-Geschichte lesen, abschalten nach dem Tag und Wort für Wort aus dem Hier und Jetzt gleiten ins Schlummerland.
Also machte ich mich an deine Erzählung, deren einzelne Teile ich immer mal wieder auf der Startseite aufblitzen sah als Empfehlung oder weil jemand einen Kommentar geschrieben hat.

Gut - ich habe jetzt den ersten Teil gelesen. Fand ihn sehr lesenswert und hatte mir erste Vorstellungen zu den Prots gemacht, wie auch der Örtlichkeit.
Jetzt hab ich nur ein Problem.
Mir ist jetzt so gar nicht mehr wie schlafen - ich möchte eigentlich auch die anderen Teile noch lesen.
Ich hoffe, ich kann der Versuchung widerstehen und schaffe es trotz der aufkeimenden Neugier, mir den zweiten Teil für morgen aufzuhaben.

In diesem Sinne: schlaf gut und bleib gesund.
Herzlich - Andrea

Kommentar geändert am 14.10.2020 um 00:48 Uhr

 TassoTuwas ergänzte dazu am 14.10.20:
Hallo Andrea,
vielen Dank für deine Nachricht.
Lass die Zeit!
Mehr auf PN.
Liebe Grüße
TT

 Enni (15.11.20)
Oh weh, jetzt habe ich mich ja auf was eingelassen. Lese den ersten Teil von vielen und weiß, dass ich nicht mehr davonkomme.
Tja, Neugier gehört bestraft.

Im Ernst: spannender Auftakt, der Fragen aufwirft (Spannungsbogen bleibt oben) und zum Weiterlesen animiert.
Das nicht mehr heute, aber die losen Enden nehme ich mit, vielleicht schenkt mir ein Traum erste Lösungen.

Gut gemacht, gefällt mir.
Liebe Grüße
Enni

 TassoTuwas meinte dazu am 15.11.20:
Hallo Enni,

keine Panik, bei Nichtgefallen gibt's Geld zurück
Lass dir Zeit!

Liebe Grüße
TT

 harzgebirgler (28.11.20)
geh'n jetzt auch die gefühle auf und nieder
kommt ruhigeres fahrwasser doch wieder.

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 28.11.20:
Die Gefühle gehen nieder und auf
so ist nun mal der Beziehungslauf

Danke und LG
TT
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