02 - Beirut

Erzählung zum Thema Aufwachen

von  TassoTuwas

Dieser Text ist Teil der Serie  Ferne Lichter so nah.
Zwei Tage und zwei Nächte hockten sie nun schon im Keller des "Four Seasons", ohne jede Ahnung wie es weitergehen konnte, drei Dutzend Ausländer, Geschäftsleute wie er, Teilnehmer eines Kongresses, einige Touristen. Die meiste Zeit saßen sie in der Dunkelheit,  Elektrizität gab es nur für wenige flackernde Augenblicke, abgeschnitten von der Außenwelt, seit sie sich hier in Sicherheit gebracht hatten.
Das Telefonnetz war längst zusammengebrochen. Ihre Verpflegung bestand aus einem Karton voller Gin-Flaschen und mehreren Tüten Erdnüssen, die einer von ihnen im Schutze der Nacht in der verwüsteten Hotelbar noch unversehrt vorgefunden und nach unten gerettet hatte. Das Hotelpersonal war bereits mit dem ersten Durcheinander verschwunden, hatte dabei aber wahllos nach allem gegriffen was brauchbar schien und tragbar war.
Von draußen drang in unregelmäßigen Abständen das wütende Gebell der automatischen Waffen zu ihnen, manchmal entfernter, dann wieder erschreckend nah. Dazwischen immer wieder die vereinzelt peitschenden Schüsse der Scharfschützen, die flach auf den Dächern der Häuser lagen oder aus der Deckung zersplitterter Fensterlöcher ihre Ziele ins Visier nahmen. In Beirut tobte seit nunmehr achtundvierzig Stunden ein erbitterter Straßenkampf.
Ohne Vorwarnung hatte sich die Stadt über Nacht in eine unberechenbar wütende Bestie verwandelt. Niemand vermocht zu sagen, was der Anlass gewesen sein konnte, geschweige, wer gegen wen kämpfte. Offenbar waren es mehrere Seiten, die schon lange auf ein Zeichen gewartet hatten und nun plötzlich aufeinander einschlugen, dabei rücksichtslos auf alles schossen, was sich bewegte.
Hörte die Knallerei auf den Straßen für die kurze Zeit des Atemschöpfens auf, grollte es dumpf aus den nahen Bergen. Von dort feuerten großkalibrige Geschütze planlos in die sich auflösende Stadt. Putz rieselte von der Decke, wenn die Einschläge der Sprenggranaten lauter wurden und bedrohlich näher kamen. Wenn das Mauerwerk ihres Unterschlupfes unter den Druckwellen der Explosionen bebte, zogen sie die Köpfe zwischen die Schulter und die Schnapsflasche wanderte von Hand zu Hand, das Beste gegen die staubige Luft und alles andere.
Hatten sie am ersten Tag noch darüber diskutiert, welche Möglichkeiten es gäbe, um aus dieser misslichen Lage heraus zu kommen, so hatte sich inzwischen ratloses Schweigen ausgebreitet. Nur ein Mal hatte es ein Lachen gegeben, ein kurzes Lachen der besonderen Art, als einer von ihnen sich bis in die Lobby gewagt hatte, um die Lage vor dem Hotel zu erkunden und von dem Schild berichtete, das an der Rezeption hing, worin sich die Direktion bei den verehrten Gästen für die Unannehmlichkeiten entschuldigte und erklärte, sie hätte sich an einen Ort begeben, von dem es möglich wäre die weiteren Maßnahmen zur Wiederherstellung eines geordneten Services zu planen.
Seit diesem Morgen war die Wasserversorgung unterbrochen und die Temperatur im Keller begann zu steigen.
Das "Four Seasons", eines der renommiertesten Häuser war zum schäbigen Gefängnis geworden.

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Kommentare zu diesem Text


 FliegendeWorte (30.08.20)
Hallo TassoTuwas,
treffsicher setzt du die ersten Worte und der Leser ist sofort im Geschehen. Die Stimmung ist dicht, die Verwirrung, was genau passierte und wer gegen wenn kämpft, befeuert die Stimmung deiner Erzählung mit Spannung und wirft im Leser Fragen politischer Art auf. Leben im Krieg, du reißt ein Thema an was viele Menschen real bedrängt, tötet, traumatisiert. Wir du dies tust gefällt mir, genau wie dein Schreibstil.
Viele Grüße
FliegendeWorte

 TassoTuwas meinte dazu am 30.08.20:
Dass du diese Worte zu mir hast fliegen lassen, dafür meinen herzlichen Dank
Auch in dieser Erzählung fliegen die Worte weiter und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Dir eine schöne Woche und viele Grüße
TT

 EkkehartMittelberg (30.08.20)
Hallo Tasso, der Schauplatzwechsel ist hervorragend gelungen und die Spannung steigt, zumal der Leser noch nicht weiß, wie er die Bürgerkriegssituation in Beirut mit dem Eingangskapitel verbinden soll.
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas antwortete darauf am 30.08.20:
Hallo Ekki,
im Laufe das weiteren Geschehens wird sich eins zum anderen finden.
Du darfst mir vertrauen
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg (30.08.20)
Hallo Tasso, der Schauplatzwechsel ist hervorragend gelungen und die Spannung steigt, zumal der Leser noch nicht weiß, wie er die Bürgerkriegssituation in Beirut mit dem Eingangskapitel verbinden soll.
Herzliche Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg (30.08.20)
Hallo Tasso, der Schauplatzwechsel ist hervorragend gelungen und die Spannung steigt, zumal der Leser noch nicht weiß, wie er die Bürgerkriegssituation in Beirut mit dem Eingangskapitel verbinden soll.
Herzliche Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (30.08.20)
Bürgerkrieg und Galgenhumor. Letzteres braucht man wohl, um dabei nicht völlig verrückt zu werden.

Wie du das mit dem ersten Teil zusammenfügen wirst, darauf bin ich gespannt.

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 30.08.20:
Mein lieber Trekan, daran stricke ich.
Kann aber noch ein Weilchen dauern!
TT

 Didi.Costaire (30.08.20)
Hallo Tasso,

erst bei Doro, dann Beirut. Dafür gibt es Beifall, aber was wird noch folgen? Bauarbeiter, beinahe Gipsbeine, Salbeitee, Mutter Beimer und Jo Biden, beispielhafter Beischlaf in Aserbeidschan und schließlich Spaß beiseite, Beileid und Beisetzen? Du wirst es der Leserschaft sicherlich noch beibringen.

Bye-bye,
Dirk

Kommentar geändert am 30.08.2020 um 18:33 Uhr

 TassoTuwas äußerte darauf am 31.08.20:
Mein lieber Dirk,

ich schätze deine Kommentare, u.a. wegen ihrer Mehrdeutigkeit!
In diesem Fall, erhebt sich die Frage ist es Beifall oder Beileid

Herzliche Grüße
TT
Al-Badri_Sigrun (61)
(30.08.20)
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 TassoTuwas ergänzte dazu am 31.08.20:
Hallo Sigrun,

der Libanon galt bis in die 80iger Jahre als ein Vorzeigestaat. Vergleichbar der Schweiz, lebten hier die Menschen verschiedenster Herkunft, Sprache und Religion friedlich miteinander. Beirut war internationalerTreffpunkt der Reichen und Schönen.
Bis ein von außen ins Land getragener Hass zum Bürgerkrieg führte und bis heute das Land zum Armenhaus macht

Diese Erzählung (nicht weitersagen) wird ein gutes Ende nehmen, was ich mir auch für die Menschen im Libanon wünsche.

Aber bis dahin passiert noch einiges
Liebe Grüße
TT

 plotzn (31.08.20)
Nach verschwundener Doro jetzt plötzlich Beirut - dabei ist sie doch gar nicht bei Ruth. Du spannst Dein Gefolge aber ganz schön auf die Folter, Tasso!
Wie soll ich ohne Fortsetzung schlafen?

Liebe Grüße,
Stefan

 TassoTuwas meinte dazu am 31.08.20:
Stefan, manchmal muss man seine Leser auch ein wenig quälen, aber ich verspreche dir, es wird auch noch gepilchert
Dann kannst du bestimmt den fehlenden Schlaf nachholen

Liebe Grüße
TT

 jennyfalk78 (05.09.20)
Ola Geliebter!
Ich als alter Cineast habe "Stirb langsam" vor oder auf den Augen.Totales durchdrehen im Kopf. Wer und Wo bleibt die oder das Geliebte?
Sorry, die Synapsen verdrehen immer wieder ihren Kreis.
Die deine Jenny

 TassoTuwas meinte dazu am 07.09.20:
Liebe Jenny,
werde mir jetzt bloß nicht schwindelig. Im weiteren Verlauf der Geschichte bin ich auf jede wohlmeinende Stimme angewiesen
♥lichst
TT

 AvaLiam (15.10.20)
Lieber Tasso,

Beirut und die ein oder andere Beschreibung der "Zustände" im Libanon, die politische Situation und die Clan-Kriminalität wie auch die Schönheit des Landes sind mir noch gut im Gedächtnis (ich habe eine Serie gesehen, die im Libanon spielt),
Daher war ich gedanklich und spürbar mit den ersten Zeilen direkt vor Ort.

Herrlich finde ich den kleinen, zarten Humor, den du zwischen all die lauten Zeilen platzierst.

Ich werde gespannt und mit Freude weiterlesen.
LG - Ava

 TassoTuwas meinte dazu am 17.10.20:
Hallo Ava,
der Libanon war einmal das Vorzeigeland im nahen Osten und es ist tragisch was Hass und Korruption daraus gemacht haben.
Hat die Welt daraus etwas gelernt?
Man hat den Eindruck, es wird immer schlimmer!
Liebe Grüße
TT

 Enni (16.11.20)
Hallo Tasso,
jetzt also Beirut - ein interessanter Ortswechsel, der den Spannungsbogen noch anhebt.
Sehr atmosphärisch dicht schilderst du die Situation im "Four Seasons" und in der Stadt.
Der tragische Verfall des Libanon klingt durch. Einst blühendes Land mit kultureller und ethnischer Vielfalt, zeichnet sich jetzt ein Trauerspiel ab.
Mein Onkel (für eine Zeit Presseattaché dort an der deutschen Botschaft) hat damals (ewig her) immer von der Schönheit des Landes berichtet. Auch eine Freundin hat länger dort gelebt.

Ich bin gespannt, wie es in deiner Erzählung weitergeht.

Lieben Gruß
Enni

 TassoTuwas meinte dazu am 16.11.20:
Hallo Enni,
du bestätigt es, bis in die Mitte der achtziger Jahre galt der Libanon als Musterländle für Toleranz und Wohlstand im Nahen Osten.
Der von außen ins Land gebrachte Verfall ist tragisch.

Diese Geschichte wird wieder freundlicher!
Herzliche Grüße
TT

 harzgebirgler (28.11.20)
erst jüngst ist in der stadt was explodiert
das fast die hälfte davon ausradiert -
total ist mir dies zedernland suspekt
das voll im sumpf korrupter cliquen steckt.

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 29.11.20:
Es war die Explosion, die mich an diese vor Jahren geschriebene Geschichte erinnerte!

Danke für das rege Lesen und Kommentieren
LG TT

Antwort geändert am 29.11.2020 um 09:47 Uhr
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