Ihr fragt, ob Corona mir etwas ausmacht?
Da ich weder Kinder zu versorgen habe noch beruflich eingespannt bin, könnte ich locker sagen: Nö, macht mir nichts. Zudem: Als Pensionär habe ich weder besonderen Leistungsdruck noch Existenzängste. Meine Frau ist eine Leseratte, der fehlt durch den Lockdown auch nichts. Das mit dem Einkaufen Gehen kriegen wir gut hin. Also: Zu jammern verbietet sich da!
Und dennoch leide ich und hadere etwas mit dem Schicksal. Gerade jetzt, Ende Januar – Anfang Februar. Da hätte ich nämlich normalerweise meine Einkehrwoche. Ich nenne das Einkehrwoche, aber im Grunde sind es nur acht, neun Tage Abgeschiedenheit. Allein. Nein, wer jetzt an Kloster denkt oder irgendein bewusstseinserweiterndes Coaching, der liegt völlig falsch.
Es ist eine Langlauf-Woche in Norwegen. Skilanglauf.
Ich miete mich in der Nähe von Lillehammer in einem Quartier ein, das nahe an der Loipe liegt, und dann gibt es dort ein sehr einfaches Programm: Langlaufen in der verschneiten Landschaft. Ganz lange Langlaufen, und das in einer minimalistischen Kulisse: Oben der blaue Himmel, unten der weiße Schnee, dazu mein Schatten, der munter vor mir her tanzt. Und mal wieder den eigenen Atem spüren.
Wenn ich eingangs sagte Abgeschiedenheit - ich bin da nicht einsam. Ich treffe auf diesen endlosen Loipen tatsächlich noch ein paar andere Spinner, oft ältere. Die sind ähnlich glücklich wie ich. Sie haben den Flow erreicht, den Einklang von Körper und Seele. Zweckfrei einer Spur folgen, nicht um zu performen, sondern um vor allem … raus zu kommen.
Nein, ich bin da nicht einsam. Ich bin schlicht bei mir.
Die rhythmische Bewegung, das Sich Anstrengen in der Loipe, das löst auf wunderbare Weise die innere Verkrampfung. Sport im allerbesten Sinne. Man muss keinem gefallen, keinem etwas beweisen – kein Dritter will beachtet und versorgt sein. Nur die Loipe gibt einem etwas vor: Kurven, kleine Abfahrten, eine Kreuzung mit Lageplan und neuen Routen.
Gehst du nach links, nimmst du doch die längere Route, willst du vielleicht Station machen in einer bewirtschafteten Hütte? Du lässt das deinen Körper entscheiden.
Der Grad deiner Ermüdung, Hunger oder Durst oder doch noch neue Lust auf Bewegung – es ist eine ganze andere Signalgebung, die ich da in mir erspüre. Die Beigabe drum herum ...... unbegrenzter Raum, die Zeit ....ausgeblendet..
Unnötig zu sagen, dass ich bei dieser Winter-Kur weder Uhr noch Handy dabei habe. Selbst den Fotoapparat lasse ich im Quartier – ich will wirklich sehen, ich selbst bin das Speichermedium.
Ihr fragt, ob Corona mir etwas ausmacht.
Nö, könnte ich nochmal behaupten. Und lügen. Denn Corona stiehlt mir dieses Jahr meinen so heilsamen Selbsterfahrungs-Trip. Er ist unerreichbar, der Ort meiner Sehnsucht.
Hier all die Kneipen und Boutiquen, das Kino, das Stadion oder mein Fitness-Studio – darauf kann ich gut verzichten.
Aber dort die skandinavische Winterlandschaft und die Freiheit der Loipen, die fehlen mir schon arg. Mehr noch: Dieses Privileg, in der Abgeschiedenheit so viel Wesentliches wieder zu entdecken.
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Das ist schade. Draußen sein im Schnee und sich da fast geräuschlos bewegen, abends richtig müde sein.... Versuchen wir es zu ersetzen durch Spazieren Gehen oder Radfahren!
LG
Eiskimo