Ich versuch es mal clean und klargespült

Tagebuch zum Thema Fiktion

von  eiskimo

In meinem jüngsten Text habe ich alle Namen weggelassen. Namen sind nicht nur kulturhistorisch belastet, sie pressen die Akteure ja auch in ein Geschlechter - und Rollenkorsett, das sie von vorn herein sozial total festlegt. Ergo: Keine Namen,  keine Fesseln. Die Wesen, die bei mir auftreten, bleiben damit wunderbar diffus, für alle Interpretationen und Identifikationen offen.
Ich habe auch alle geschichtlichen und geographischen Festlegungen unterlassen. Die Einbettung in eine bestimmte Epoche geschweige eine vorgegebene Chronologie wäre viel zu viel Déja-Vu und der Rückfall in eine standardisierte Welt. Und nur der Verzicht auf lokale Fixierungen - vor allem die  Frage nach der Herkunft! -  gewährleistet die volle Entfaltungsmöglichkeit meiner Charaktere.
Waffentaugliche Requisiten, Eroberungen, Besitz, Erb- oder andere Anwartschaften, zählbare Geldeinheiten – all diese Störfaktoren habe ich vorsorglich eliminiert.
Kleidung, Frisuren, Hygienstandards, Sprach- oder Verhaltensmuster, die das freie Spiel der Kräfte in irgendeiner Form hemmen oder verfälschen könnten, auch die kommen in meinem Text nicht vor – da habe ich meiner autorengeschichtlichen Prägung und Tendenz zu willkürlichen Defiguration konsequent widerstanden -  mein Text sollte schließlich dieses radikale Vakuum aufrechterhalten, das allein jenes Ideal der Tabula Rasa gewährleisten kann: Allen ist alles möglich. Immer.
Ich lehne mich jetzt entspannt zurück. Ich war nicht rassistisch, nicht frauenfeindlich, nicht reaktionär-revanchistisch, weder mikro- noch makroagressiv, ich war endlich genderkonform, politisch korrekt, trotzdem zukunftsbejahend und weltoffen.
Dabei hatte ich zwischendurch, als ich einmal ganz  kurz konkret werden wollte, schon wieder diese Angst, voreingenommen und latent diskriminierend zu sein, wie so oft. Aber mit diesem streng reduzierten  Ansatz hier, das sage ich einfach mal, bin ich dann sauber durchgekommen. Geht doch!

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (18.08.21)
Das ist dann wohl das, was dabei herauskommt, wenn man in der Literatur der Idee in Johann Peter Hebels Parabel vom "Seltsamen Spazierritt" (1808) folgt:
Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus, und läßt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer, und sagt: „Das ist nicht recht, Vater, daß Ihr reitet, und laßt Euren Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder.“ Da stieg der Vater vom Esel herab, und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann, und sagt: „Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest, und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine.“ Da saßen beide auf, und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann, und sagt: „Was ist das für ein Unverstand: Zwei Kerle auf einem schwachen Tiere; sollte man nicht einen Stock nehmen, und euch beide hinabjagen?“ Da stiegen beide ab, und gingen selbdritt zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann, und sagt: „Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist’s nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht’s nicht leichter, wenn einer von euch reitet?“ Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim.
So weit kann’s kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.
Auch hier: gelungen. Literarisch, nicht existentiell.

 eiskimo meinte dazu am 18.08.21:
Eine schöne Variante zu dem, was mir da durch den Kopf ging.
Danke!

 EkkehartMittelberg (18.08.21)
Eine gelungene Satire auf political correctness.

LG
Ekki

 eiskimo antwortete darauf am 18.08.21:
Freut mich, lieber Ekki.
Der nächste Schritt wäre, total zu schweigen.
Tun wir aber nicht.
Trotzige Grüße
Eiskimo

 tueichler (18.08.21)
Sehr gelungen! Sagt doch das alte Sprichwort

Jedem Manne [sic!] recht getan
Ist eine Kunst, die niemand kann

Also auch Frau, und alles dazwischen und … ach nee, das geht ja schon wieder los …

 AchterZwerg (19.08.21)
"Wir haben schon immer gesagt", dass man es schaffen kann.
Wenn er nur will! :)
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