Die Ente

Text zum Thema Begegnung

von  AchterZwerg


Beim Joggen, nah dem Dorfbach, hält mich ein herkulischer, über und über tätowierter Fahrradfahrer an und fragt, ob ich ihm wohl helfen wolle. Er habe eine Ente, fast noch ein Küken, mit einem Plastikring um Schnabel und Köpfchen gesichtet, der es behindere und würge. Seine bisherige Hilfsaktionen seien erfolglos geblieben.

Nach spürbarem Zögern versuchen wir nun gemeinsam, das Tier im Gebüsch hervorzuscheuchen und einzufangen.
Nur einmal bekomme ich es kurz zu Gesicht; schließlich geben wir auf.


Indessen denke ich: In unzähligen Gegenden der Erde massakrieren sich Menschen gegenseitig, halten Kinderhände Gewehre, mähen Panzer nieder, was sich ihnen in den Weg stellt, öffnen sich Abgründe.

Und doch – tief im Innern der Wesen wartet die Urform, das anrührend Gute.



Auf dem Rückweg sehe ich das kleine Entchen liegen – vom Plastikring erdrosselt.


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Kommentare zu diesem Text


 indikatrix (14.07.22, 12:18)
Und trotz des Endes berührt, stimmt mich der Text eher froh:
erinnert an den chaotischen Schmetterlingsflügelschlag.
lg
indi

 AchterZwerg meinte dazu am 17.07.22 um 06:22:
Liebe Indi,
du scheinst der einzige Fan dieser Kurzprosa zu sein.
Umso mehr fällt mein Dank auf dich zurück. :)

Herzliche Grüße
der8.

 indikatrix antwortete darauf am 17.07.22 um 12:23:
Lieber AchterZwerg,

zwar haben nicht alle kommentiert, doch empfohlen wurde dein Text außer von mir noch von anderen! :)
LG
indi

 Quoth (18.07.22, 21:00)
Hallo AchterZwerg, ohne die sechs eingefügten philosophischen Zeilen wäre der Text m.E. besser, denn sie schlagen ein ganz anderes Thema an: das der Aggressivität unter Menschen.

Das Entchen ist einfach an einem Stück von unserem verdammten Plastikmüll zugrunde gegangen - wie die Basstölpel auf Helgoland, die sich mit Plastik, das sie zum Nestbau verwenden, sehr oft Fischnetzresten, qualvoll strangulieren:
https://www.stern.de/panorama/wissen/natur/helgoland--basstoelpel-verenden-qualvoll-an-plastikmuell-9342164.html
Gruß Quoth

Kommentar geändert am 18.07.2022 um 21:03 Uhr

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 07.08.22 um 06:38:
Hallo Quoth,
ich weiß, was du mir sagen möchtest. Doch mir gehen solche Dinge in letzter Zeit andauernd durch den Kopf. Beispielsweise bei dem Riesenaufwand, der häufig für die Rettung einzelner unternommen wird - egal ob Mensch, Pferd oder Katze, um kurz darauf die Getreidezufuhr zu stoppen, eine Rakete zu zünden oder ein Atomkraftwerk zu beschießen.
Das (halbwegs) Interessante an diesem Text ist ja, dass hier aufgrund von Äußerlichkeiten Aggression vorausgesetzt wird, die in echt gar nicht vorhanden ist.
Woran erinnert uns das? ;)

 Quoth äußerte darauf am 07.08.22 um 10:46:
Auf dieser hohen Abstraktionsebene - das vom Menschen verursachte Üble in der Welt - passt das natürlich zusammen. Mir geht es so, dass ich klassische Musik, die ich an sich sehr liebe, nicht mehr hören mag, ich empfinde sie als unaufrichtig.
Freue mich, dass Du geantwortet hast, dachte schon, ich hätte Dich verärgert. Gruß Quoth

 AchterZwerg ergänzte dazu am 08.08.22 um 06:23:
Nein, überhaupt nicht!
War doch im Forenurlaub. 8-)

 RainerMScholz (06.09.22, 23:04)
Mit Einschränkungen, klar, weil, ich bremse auch für Tiere, usw..
Geht trotzdem nahe, weil es so ist.
Grüße,
R.

 AchterZwerg meinte dazu am 07.09.22 um 06:00:
Was ich sagen möchte: Das Gute im Menschen "lauert", wird aber zu Gunsten alltäglicher Ängste gern aufgegeben. Mal abgesehen von der Sinnlosigkeit so mancher liebevollen Tat ...

 AvaLiam (20.09.22, 18:52)
Geliebter Achter,

es mag ein wenig lapidar und/oder einfältig klingen: doch genau das macht uns ja zu Menschen.

Immer wieder sprechen wir von und sehnen wir uns nach Menschlichkeit. Doch das was, du beschreibst, ist nichts anderes.

So arbeitet der Tierschutz für jedes Lebewesen - oft über die eigene Belastungsgrenze ... rettet ein Huhn, welches sich im Zaun verfangen hat und versorgt es tagelang unter liebevollen Gesten und Worten.

Und was liegt am Wochenende auf dem Grill??

Manchem dämmert es dann zwischen dem 1. und dem 2. Bier ... mancher davon wird zum Veggie - mancher gibt den Tierschutz auf.
Jeder geht anders mit seiner Menschlichkeit um.
Nicht immer schlau, nicht immer orthodox - aber jeder auf seine, manchmal irrende Weise menschlich.

Nicht immer hat Menschlichkeit, die so hoch bewertet und besungen wird, ein Happy End. So wie deine Zeilen.
Wobei ich noch am Plastikring mit meinen Überlegungen hänge, ob Themenbezüge rein zufällig sind... Plastik und so...
ganz sicher können wir noch viel tiefer gründen.

Am Ende bleibt es - für mich - trotzdem menschlich.
Schlussfolgernd könnte man daher sagen: Der Mensch ist das Problem.

Schön, dass du - wie ich - an das Gute glaubst ... auch ohne Happy End hat es etwas Hoffnungsvolles.

Liebe Grüße
Ava

 AchterZwerg meinte dazu am 21.09.22 um 07:26:
L'Ava,
herzlichen Dank für deinen einfühlsamen Kommentar.
Das schlummernde Gute stranguliert sich oft selbst.
Sei es aus Bequemlichkeit oder aus Resignation. -
Vorhanden bleibt es trotzdem.

Liebe Grüße
der8.

 WinstonSmith meinte dazu am 03.10.22 um 17:41:
Liebe Frau Zwerg von der Acht,

fortan achte ich auf Enten, ich mag sie nun nicht mehr verspeisen. Auch als Riese nicht.
Nun weiß ich, dass auch beim Humor, Respekt gegenüber Tieren wichtig ist.

Herzliche und hochachtungsvolle Grüße
Winston

 AchterZwerg meinte dazu am 03.10.22 um 18:06:
Ich selber versuche möglichst durchgängig, Respekt vor der Natur zu bewahren.
Leider gelingt es mir nicht immer (Silberfischchen, Stechmücken ...)
Der Weg ist das Ziel.

Herzliche Grüße
der8.

(Und danke für meine neue Favoritenrolle in deinem Forenleben :)  )

 Beislschmidt (08.11.23, 15:44)
Um Menschen zu berühren - das weiß jeder Journalist, muss man dem Kommentar ein Gesicht geben und die Bitterkeit des Einzelschicksals darstellen. Nur dann gelingt es die Tragweite des Beschriebenen in die Gemüter der Leser zu tragen.

Ich vermute, dass es bei einer Häufung von Tragik zur Abnutzung von Anteilnahme kommt. Der Tod von Hunderten ist schlimm genug aber der Tod von Hunderttausenden ist für den Verstand schon fast surreal und nicht mehr einzuordnen.
Ganz wie in deiner Geschichte mit dem Entlein. Wer macht sich schon Gedanken über die Boxenhaltung, wenn er Geflügelwurst kauft oder denkt gar an geschredderte Küken.

Der gefährliche Radfahrer mit den Tatoos hätte ein paar Zeilen mehr verdient, denn so einfach schleicht man mit so einem doch nicht durchs Gebüsch. Aber insgesamt hat die Geschichte genau den Tiefgang, den ich mir wünsche.
Beislgrüße

 Mondscheinsonate (08.11.23, 17:12)
:-(  Na geh.

 AchterZwerg meinte dazu am 08.11.23 um 18:10:
Was dem einen der Tiefgang ist, ist dem anderen die Wahrheitsliebe, gell Beisl?
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