Blaise Cendrars über das Leben und den Krieg

Skizze zum Thema Welten

von  eiskimo

Der Schweizer Dichter Blaise Cendrars hätte am 1.9., Geburtstag. Geboren wurde er 1887 in La Chaux-de-Fonds. Er starb 1961 in Paris. 

Über sich und sein Werk befand er einmal: „Schreiben ist das, was meinem Temperament im Grunde am meisten zuwider ist. Ich leide wie ein Strafgefangener, wenn ich zwischen vier Wände eingesperrt werde, um dort Papier zu schwärzen, während draußen das echte Leben abgeht, und ich da die Hupen der vorbeibrausenden Autos höre, das Zischen der Lokomotiven, das Nebelhorn der Dampfer.... und dann an die verlorenen Länder denken muss, die ich noch nicht kenne.“

Dazu passt ein anderes Zitat: „Je ne trempe pas ma plume dans un encrier, mais dans la vie.“ - Ich tunke meinen Federhalter nicht in ein Tintenfass, sondern ins Leben.


Im 1. Weltkrieg wurde er schwer verwundet. Danach schrieb er folgene Zeilen über den Krieg:


Tausende Millionen Individuen haben mir ihr ganze Tagesaktivität, ihre Kraft, ihr Talent, ihr Wissen, ihre Intelligenz, ihre Gewohnheiten, ihre Gefühle, ihr Herz gewidmet. Und siehe da, heute habe ich das Messer in der Hand, dieses Eustache de Bonnot „Es lebe die Menschheit“.

Ich fühle eine kalte Wahrheit auf dieser messerscharfen Klinge blinken. Ich habe Recht. Mit meiner jugendlichen Sportlichkeit werde ich es schaffen. Schon sind meine Nerven auf Anschlag gespannt,

die Muskeln sprungbereit, bereit hinein zu springen in die Realität. Ich habe sie alle überstanden: Die Torpedos, Kanonen, Minen, das Feuer, alle Arten von Giftgas, die Maschinengewehre, diese totale Maschinerie: anonym, dämonisch, systematisch, blind,. Jetzt werde ich auch dem Menschen widerstehen, meinesgleichen. Einem Affen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wir zwei im Nahkampf, mit den Fäusten, mit dem Messer. Ohne Gnade.

Ich springe dem Gegner entgegen. Ich verpasse ihm einen schrecklichen Hieb. Der Kopf ist fast abgetrennt. Ich habe ihn getötet, diesen Boche (Deutschen).

Ich war mehr auf Zack, ich war schneller als er. Direkter. Ich habe als erster zuschlagen können. Ich habe den Sinn für die Realität gehabt, ich, der Poet. Ich habe aktiv gehandelt. Ich habe getötet. Wie einer, der leben will."

Ich habe an anderer Stelle schon mehrfach auf Blaise Cendrars hingewiesen. Er ist in meinen Augen ein ganz Großer.
Die heutige Erinnerung an ihn dient demselben werbenden Zweck, nämlich seine tollen Schriften wieder einmal zu vergegenwärtigen.






Anmerkung von eiskimo:

Ich nehme an, Eustache de Bonnot ist die Bezeichnung für das Bajonett, vielleicht der Name des Herstellers... "Es lebe die Menschheit" ist in diesem Zusammenhang besonders hart.

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Kommentare zu diesem Text


 IngeWrobel (01.09.22, 00:55)
"Ich bin nicht von eurer Rasse. Ich bringe euch eine furchtbare Wahrheit: die Wirklichkeit des Lebens ..." 
Ich hab den Roman "Moloch" Ende der 1960er Jahre gelesen. Zwar kann ich mich heute nicht mehr erinnern, weiß aber, dass er mich sehr beeindruckt hat. 
Zwar gehe ich relativ gelassen mit meinem Altern um – traurig stimmt mich jedoch die Gewissheit, dass ich all die wunderbaren Bücher in meinen Schränken nicht, bzw. nicht ein zweites oder drittes Mal lesen kann. 
Danke dennoch für die Erinnerung an Blaise Cendrars, den ich jetzt aus dem Schrank geholt und durchgeblättert habe. 
Herzliche Grüße 
Inge 
PS: Ich würde das "Schimpfwort" tatsächlich BOSCH schreiben, da ja die Bezeichnung sich auf den Firmengründer und seine industrielle Macht bezog. Ein wenig enthielt die Anwendung des abfällig ausgesprochenen Wortes doch auch den Respekt vor der (typisch) deutschen Gründlichkeit – jedenfalls in den Augen der meisten Franzosen. 

Kommentar geändert am 01.09.2022 um 01:07 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 01.09.22 um 08:32:
Danke für Deinen sachkundigen Kommentar. Du bringst es noch überzeugender auf den Punkt als ich!
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (01.09.22, 06:46)
Umstritten, aber gnadenlos gut. <3
Daran gibt es nichts zu rütteln!

Liebe Grüße und herzlichen Dank für das Kramen in der verschlossenen Kiste

 eiskimo antwortete darauf am 01.09.22 um 08:58:
Noch eine "Kiste", die es sich lohnt zu öffnen: Aus dem Gedicht

Tu es plus belle que le ciel et la mer:

Quand tu aimes il faut partir
Quitte ta femme quitte ton enfant
Quitte ton ami quitte ton amie
Quitte ton amante quitte ton amant
Quand tu aimes il faut partir....


Wenn Du liebst, musst Du gehen
Verlass Deine Frau, verlass Dein Kind
...
Wenn Du liebst, dann musst Du gehen

Bis zu diesem Text dachte ich immer, mann müsse in Besitz nehmen, eine Festung bauen, sich aneinander ketten...

LG
Eiskimo

 Quoth (01.09.22, 08:48)
Ja, ein gutes Gedenken, Eiskimo. Zur Ergänzung: Cendrars wäre als Schweizer eigentlich verpflichtet gewesen, die Neutralität der Schweiz im Grenzdienst zu verteidigen, wie sein Landsmann Robert Walser es getan hat. Um dem zu entgehen und für Frankreich kämpfen zu können, meldete er sich zur Fremdenlegion und wurde 1916 (nach seiner Verwundung) mit der französischen Staatsbürgerschaft belohnt.

 eiskimo schrieb daraufhin am 01.09.22 um 09:00:
Du weißt mehr als ich - Danke für die Ergänzungen zu seinem heutigen Geburtstag.
LG
Eiskimo

 Quoth äußerte darauf am 01.09.22 um 13:11:
Und dieser Abenteurer hatte einen supertüchtigen und grundsoliden Schweizer Juristen als Bruder:
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015772/2012-01-13
Mich fasziniert immer, wie unterschiedlich Geschwister sein können!
Ein richtiger Eidgenosse ist Cendrars für die Schweizer nicht, eher ein Franzose.
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