(Paket-Service mit Haken)
Teil 1
Ich war bei der Jobvermittlungsplattform Upwork angemeldet, die weltweit tätig war, als mir ein Job angeboten wurde, bei dem ich Pakete zugeschickt bekommen sollte, die ich umfrankieren und weiterleiten sollte. Der Job nannte sich Parcel-Forwarding. Die Pakete beinhalteten Produkte, die zwar auf dem westeuropäischen Markt verkauft, jedoch nicht nach Osteuropa und anderswohin geliefert wurden. Ich war zunächst skeptisch, da ich vermutete, der Job könnte einen kriminellen Hintergrund haben. Also schickte ich eine E-Mail an die Polizei, um mich zu erkundigen. Doch die Polizei antwortete nicht auf die E-Mail. Als nächstes schickte ich eine E-Mail an den Weißen Ring. Auch der Weiße Ring antwortete nicht auf die E-Mail. Schließlich schickte ich eine Mail an die Arbeitsagentur. Da antwortete ein Mitarbeiter, der sagte, sie können den Job nicht beurteilen, aber es könne nicht schaden, ihn mal auszuprobieren. Später könne man immer noch kündigen, wenn an der Sache ein Haken sei. Da fühlte ich mich auf der sicheren Seite und ging das Arbeitsverhältnis mit der englischen Firma ein. Es wunderte mich zwar, dass der Firmenchef einen arabischen Namen hatte, doch das kann in der Metropole London etwas ganz Normales sein. In der Folgezeit bekam ich täglich Pakete zugeschickt, mal mit vergoldeten iPhones, mal mit Tablets, ganze Notebooks oder einmal sogar ein großes Paket mit einem Kinderwagen. Ich erhielt Pakete von all den großen Elektronikfachmärkten wie Mediamarkt, Saturn, Euronics, Medimax und wie sie alle hießen. In meinem Zimmer stapelten sich bald die Pakete, dazu sendete mir mein Chef aus London täglich Paketlabels zu, die ich systematisch auf die angelieferten Pakete aufkleben und die Pakete zum nächsten Paketshop bringen sollte. Zwischendurch kamen Zweifel auf, und ich dachte einen Moment, dass der ganze Aufwand einen terroristischen Hintergrund haben könnte, dass so Terrorismus finanziert würde oder sogar in einem einzigen der Paket eine Bombe eingebaut sein könnte oder was auch immer. Doch diese Gedanken verwarf ich sogleich und dachte mir weiter nichts dabei, bis ich nach ein paar Tagen eine E-Mail aus Österreich bekam von einem Mitarbeiter des Mediamarktes. Er erzählte mir, dass auf meinen Namen ein Kundenkonto eingerichtet sei, für dass eine gestohlene Kreditkarte verwendet wurde. Der Mann wies mich darauf hin, dass ich deshalb in nächster Zeit Probleme mit der Polizei bekommen würde. Als ich sagte, dass ich das Konto nicht eröffnet hätte und nur einen Job als Parcel-Forwarder ausübte, empfahl er mir, umgehend eine Selbstanzeige zu erstatten, um mich vor einem möglichen Zugriff der Polizei zu schützen. Das tat ich direkt am nächsten Tag mittels Online-Anzeige. Wenig später bekam ich, wie von dem Österreicher vorausgesagt, eine Vorladung zu einem Polizeirevier für Cyberkriminalität in der Hopfenstraße.
Teil 2
Ich fühlte mich abgesichert, da ich ja bereits die Selbstanzeige erstattet hatte. Der Polizeibeamte verhörte mich fast eine Stunde, und ich versicherte ihm mehrmals, dass ich nur eine Kette im Glied sei und lediglich die Pakete zugeschickt bekam genauso wie die Labels, die ich mit dem neuen Bestimmungsort auf die Pakete kleben sollte. Mir war ebenso aufgetragen, kurz in die Pakete zu schauen, um zu überprüfen, ob sie den gewünschten Inhalt enthielten, und ich sollte den Inhalt kurz abfotografieren, sodass das Produkt erkennbar war. Die Fotos schickte ich zu meinem Arbeitgeber nach London. Der Polizist war sehr skeptisch. Schließlich offenbarte er mir, dass der Hausdurchsuchungsbescheid für meine Wohnung bereits ausgefüllt und von einem Richter unterschrieben sei, es bloß deshalb noch nicht zu einer Durchsuchung gekommen war, weil er den Bescheid auf seinem überfüllten Schreibtisch unter anderen Akten verlegt hatte. Ich fühlte mich von dem Polizisten etwas bedroht und in die Mangel genommen. Er erzählte, dass die Waren, die ich in Staaten wie Polen, Weißrussland, Russland und in die Ukraine weiterschicken sollte, mit gestohlenen Kreditkarten eingekauft wurden, und das sei Schwerstkriminalität. Als ich sagte, ich hätte doch extra die Selbstanzeige erstattet, um zu demonstrieren, dass ich nur ausführendes Objekt des Chefs in London war, wie der Mitarbeiter des Mediamarktes in Österreich es mir empfohlen hatte, da flippte der Polizist gänzlich aus, fing an zu schreien, weil ihm nie diese Selbstanzeige vorgelegt wurde.
„Das kann doch nicht sein. Was ist das denn für ein schlampiger Laden hier?“
Er telefonierte hochaggressiv innerhalb des Reviers, um zu klären, auf wessen Rechner sich jetzt meine Selbstanzeige befand. Doch er konnte sie in der kurzen Zeit nicht lokalisieren. Ich fühlte mich eingeschüchtert und war mir nicht im Klaren, ob der Polizist nur eine Show abzog, um mich zu verunsichern. Schließlich führte er mich aus seinem Büro im ersten Stock des Gebäudes, in dem auch Büros des Finanzamts untergebracht waren, und brachte mich zum Ausgang. Dort musste ich noch eine Weile beim Pförtner warten, während der Polizist der Cybereinheit mich weiter vollschwatzte. Er sagte, er gehe davon aus, dass keine weiteren Probleme auf mich zukämen, da offensichtlich sei, dass ich nur ausführendes Element war, während die Cyberkriminellen in London säßen. Auf meine bitte hatte ich sogar eine Kopie des Vernehmungsprotokolls ausgedruckt bekommen, als ich ihm sagte, ich sei ein Student, der sich für die Form und die Sprache der Polizeiprotokolle interessierte. Ich hätte nur ein rein sprachwissenschaftliches Interesse daran. Jetzt ließ mich der Polizist gehen und sagte noch, ich würde in den nächsten Tagen ein Schreiben erhalten, in dem mit hoher Wahrscheinlichkeit die Einstellung des Verfahrens gegen mich mitgeteilt würde, wenn sich der von mir geschilderte Sachverhalt bestätigen sollte. Erleichtert ging ich zum Fahrradständer an der Hopfenstraße und führ via Königsweg nach Hause.
Teil 3
Ich war ziemlich wütend, da ich mir das ganze Theater hätte sparen können, wenn die Polizei meine Anfrage beantwortet hätte, ob das Jobangebot vertrauenswürdig sei. Und dabei schrieb ich ja immerhin die Pressestelle der Polizei in der Gartenstraße an. Auch der Weiße Ring, der ja Kriminalitätsopfern zur Seite stehen sollte, ließ mich ins offene Messer laufen. Und zu allem Übel empfahl mir sogar der Mitarbeiter der Arbeitsagentur, den Job einfach mal auszuprobieren, obwohl er vielleicht hätte wissen müssen, dass ich dabei im Knast hätte landen können. Ich schluckte das, denn ich hoffte, unbeschadet aus dieser Nummer rauszukommen. Ich teilte dem Auftraggeber in London mit, dass ich den Job nicht weiterführen werde, da klar sei, dass es sich um einen unredlichen Hintergrund handelte, und bat darum, dass er mir das bisher verdiente Geld auszahlen möge. Ich hatte da seine Antwortemail noch nicht und stieß noch schnell die letzten Pakete ab und überlegte, ob ich nicht eins der vergoldeten iPhones einfach einbehalten sollte, dass für eine anscheinend reiche russische Dame bestimmt war. Mir war da zwar klar, dass der Mann aus London die Ware mit gestohlenen Kreditkarten einkaufte und offensichtlich überall Kundenkonten unter meinem Namen angelegt hatte. Doch mir war nicht ganz bewusst, dass die belieferten Personen aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und Polen die Produkte ja noch irgendwie bezahlen mussten und sicherlich horrende Summen an Zusatzkosten zu entrichten hatten. Ich hatte am bisherigen Emailverkehr erkannt, dass der Boss kein englischer Muttersprachler war, und mein erster Gedanke war auch, dass es ein Araber sein musste. Das suggerierte mir die sonderbaren grammatikalischen Fehler, auch wenn die Orthografie astrein war. Sein Vorname war auch John, also ein typischer englischer Name, aber es tauchte auch einmal ein arabischer Zweitname auf, der mich stutzig machte. Nach der nächsten E-Mail ging es Schlag auf Schlag. Zunächst befahl er mir, mit dem Job fortzufahren, da noch eine große Menge an Paketen mit Luxusgütern auf dem Weg an meine Adresse war und er die Auslieferung nicht mehr stoppen konnte. Daraufhin sagte ich ihm, dass ich keine Pakete mehr entgegennehmen und dem Paketfahrer sagen würde, dass ich die Annahme verweigere. Ich hängte auch in den nächsten Minuten einen Zettel unten an die Haustür mit dem Hinweis „Pakete an mich bitte nicht zustellen sondern zurück an den Absender, der ja ein Elektronikmarkt war. Als ich wieder hoch in die Wohnung kam, hatte ich die nächste E-Mail im Postfach. Es war eine Morddrohung.
„I will find you and you will die!”
Ich war ehrlich gesagt ein wenig amüsiert, denn ich wusste ja, dass der Auftraggeber aus London stammte, wenn das nicht eine weiter Falschinformation war. Ich erhielt weiter E-Mails mit der Aufforderung weiterzuarbeiten und die Pakete entgegenzunehmen, bis der E-Mailverkehr zum Erliegen kam. Doch was jetzt tun? Ich rief mehrere Elektronikmärkte an und fragte, ob die ein Kundenkonto mit meinem Namen hätten. Meistens scheiterte die Auskunft mit der Begründung Datenschutz. Wenige Tage später erhielt ich das Schreiben von der Polizei, dass die Anzeige gegen mich eingestellt wurde, ohne dass erwähnt war, dass ich zuvor eine Selbstanzeige erstattete. Doch was wäre, wenn ich dem aggressiven Polizisten jetzt mitteilte, dass der Auftraggeber aus London mir gerade eine Morddrohung zugesendet hatte. Dann würde er mich in den nächsten Tagen erneut aufs Polizeirevierladen. Das war mir dann doch ein wenig zu heikel, und ich behielt die Morddrohung für mich.
Teil 4
In den nächsten Tagen sprach ich mehrmals mit dem Fahrer des Paketwagens, der immer noch täglich Pakete im Auto hatte, die an mich adressiert waren, zumeist Laptops, Handys und Tablets, das könne er an den Paketen erkennen. Der Fahrer war mir inzwischen vertraut wie ein guter Freund, da er inzwischen weitestgehend eingeweiht war durch meine Fragen und meine Antworten auf seine Gegenfragen. Er sehe keine Möglichkeit, diese Pakete von vornherein auszusortieren, da sie so ins Auto geliefert und nur nach Straßennamen vorsortiert würden. Doch irgendwann kam die frohe Botschaft, es seien keine weiteren Pakete mehr an mich dabei. Da war ich erleichtert, dass diese Paketflut endlich zum Erliegen gekommen war. Das war schon ein dicker Hund. Die Sache hatte mir doch ganz schön Angst eingejagt.
Doch was sollte ich jetzt mit dem E-Mailverkehr mit dem Auftraggeber machen, mit der Morddrohung, den vielen auszudruckenden Labels und den vielen Fotos, die ich von den halbgeöffneten Paketen schoss. Ich entschied mich dazu, die Dateien weitestgehend zu löschen, und den E-Mail-Account nicht mehr zu nutzen. Nach ein paar Wochen schier endlosem Stress und der Angst, dass der Auftraggeber seine Morddrohung wahrmachen könnte, fühlte ich mich endlich in sicheren Gewässern, und der Spuk schien vorüber.
Als ich das nächste Mal im Mediamarkt im Saturnmarkt im Stadtzentrum war, um mir etwas zu kaufen, wurde ich beim Kauf von dem Mitarbeiter nach meiner Postleitzahl und der Straße gefragt, als er die Rechnung erstellen wollte. Ich sagte, dass ich bereits ein Kundenkonto bei Saturn habe. Er suchte im System und sagte
„Sie haben ja sogar zwei Kundenkonten.“
„Wie kann das denn sein?“
fragte ich.
„Da sind wohl versehentlich zwei Konten für sie angelegt worden.“
Plötzlich sagte der Verkäufer
„Hier ist auch eine Kreditkarte hinterlegt.“
Er las den Namen vor und voila, es war ein arabischer Name. Ich sagte gleich
„Das kann doch nicht sein. Können Sie bitte sofort das Konto löschen, hier ist mein Personalausweis.“
„Ja gerne“
sagte der Verkäufer. Es war sogar meine derzeitige Wohnadresse angegeben. Ich war sehr beunruhigt, hatte einen ziemlichen Flatter.
„Können Sie erkennen, von wo aus das Zweitkonto eingerichtet wurde?“
Tut mir leid, das kann ich nicht erkennen. Theoretisch kann das Konto vor Ort direkt hier in der Filiale eingerichtet worden sein.“
Da erfror mir das Blut in den Adern.
ENDE