Der Schnitzer

Gedicht

von  JohannPeter

 

Namenloses Lindenscheit; die Hand, von fern dir ähnlich

wählt noch untern Messern -. Gibt sie dir Ungestalt

wird sie dich bessern? - Jetzt prüft der Mann den Stahl

am Daumennagel, weiße Spur, jetzt wendet er das Scheit.

Das Holz - fünf Alter seines Alters - wuchs ihm zu

ganz ahnungslos, dreihundert Jahre lang.

Das war gepflanzt zum Osnabrücker Frieden

das sah den Alten Fritz, den Bonaparte. Sah Heine

außer Landes gehen, Marx, und wuchs und wuchs, je weiter

Dichter flohen, Denker, um so höher, gleichsam als wüchs´ es

ihnen nach, sie einmal heimzuführen, mehrte Ring um Ring

unter den Rinden, mächtig, und wie´s überm Stamme rauschte

grub sich´s schweigsam in die Erde, tief. Wetter zogen

Vögel, vor den Kriegen her, dann schwirrte Eisen, spellte Holz...

Die Krone wie ein Stürzender, die Arme himmelwärts. Allein

das Dorf ertrug nicht diesen Schrei von Baum. Der Schäfer

ein ganz unbescholtner Mann, rollte zur Nacht

den Stamm in seinen Teilen auf die Tenne, häufte Stroh

darüber, daß in Stille reifen konnte

Baum, der nur mehr Holz, ganz namenlos. Verschwiegen

blieb alle Vor-Geschichte: Stoff, schon anonym, trocknete

Wasser aus sich, zwei Jahrzehnte, drei. Der Stumpf

gerodet beinah und verbrannt - beinah nur, weil ein Mann

kundig der Schärfe Stahls, der Maser Holzes

den Stubben kauft für wenig Geld und schlägt mit Axt und Eisen

draus die eheliche Schlafstatt des Odysseus, der Penelope:

gemütlich nicht, doch unverrückbar.

 

Als dies getan, um keinen Silberling, nur zur Genugtuung des Dorfs

drang in des Schnitzers Sinn die Frag´ nach dem Verbleib

des Stamms. Es fand sich noch ein Stück, beachtlich

von Gewicht, von Ebenmaß im Wuchse, übersieht man

eine fast verwachsne Narbe, wie von einem Axthieb, doch nicht glatt.

Nunmehr dies Stück genau liegt vor dem Mann, der führt

den ersten Schnitt, der Maser folgend, unklar

wohin zweiter Schnitt das Messer lenkt, doch ganz allmählich

wird Kontur, was vorher Stoff: der Hals, der Nacken, Stirn

und Mund, ein Auge, wie gesenkt, da stößt der Stahl

knirschend auf Stahl, die Klinge springt, das Holz

entblößt den Splitter Eisen, den es lang verbarg

wie ein Geschwür, zerstörend alle Helle Holzes, störend die Gestalt.

 

Erblassend fährt der Mann zurück: unfaßbar, das da blickt

wie nie er ein Gesichte sah, so geht er unberaten

sieben Tage durch den Ort. Auf seiner Schnitzbank

dieses Wesen Holz, unfertig, dennoch nichts erwartend scheinbar

als daß man´s betrachte: ein Augenpaar, ungleich in sich

das eine scheint zu weinen übers andre, wo der Splitter blockt

den Schnitzer hindernd, das Gesicht zu formen eines Kindes -

Unschuld oder Scham - so nimmt er seinen Platz erneut

das, was ihm zugewachsen, zu vollenden: die Falte

nah am Mund zieht diesen tief in Schmerz, wogegen

unberührt die Stirn bleibt, nur der Hals spannt Sehnen

daß der Kopf wie nach Zurück geworfen scheint - so nimmt

am achten Tag der Mann sein Werk zwischen die Hände, schwankend

ob eines Namens, da nennt er es: ABEL -. Schweigend

wie unverhofft erinnert eines Frevels, sieht es die Gemeinde.




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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (21.05.23, 23:03)
Dass er seine Figur ABEL nannte ist für mich sehr bedeutend.
Der Mensch ein KAIN.

Ein sehr reicher Text.

Liebe Grüße
Alma Marie

 JohannPeter meinte dazu am 21.05.23 um 23:36:
Danke, ja, das war angesichts des Geschehens - der Text geht auf eine tatsächliche Begebenheit dieser Art zurück - nicht anders auszudrücken.
LG - JohannPeter.

 AchterZwerg (22.05.23, 06:53)
GroßArtig!
Aus meiner Sicht agieren Kain und Abel hier als eine Person, als konkurrierende und verräterische Kräfte.
Der Mensch betrachtet seine eigene Unfertigkeit und den Verrat, den er an anderen, vor allem aber an sich selbst begangen hat.
Er sieht die "Unschuld und die Scham", trial and error - und das ewig währende Versagen.
In anderer Lesart betrachtet Gott selbst sein trügerisches Werk.

Wie gesagt: GroßArtig.

Kommentar geändert am 22.05.2023 um 06:55 Uhr

 JohannPeter antwortete darauf am 22.05.23 um 07:25:
Danke für das große Kompliment. Zwar erkläre ich eigene Texte i.d.R. nicht, aber du hast hier schon die wesentlichen Momente des Textes erfaßt, wobei mir in der zugrunde liegenden Begebenheit bereits alles an Bild/Metapher geboten war, was auch ich dazu zu sagen hatte. Es war, wie schon Dürer meinte: "Die Kunst steckt in der Wirklichkeit, wer sie heraus kann reißen, der hat sie."
Der heute wesentlichste, weil aktuellste Aspekt, den du auch formulierst, besteht für mich im vermeintlich (!) "ewig währenden Versagen". Damit kann und werde ich mich nicht abfinden. Solange Gewalt mit Gewalt begründet und beantwortet wird, werden noch viele Bäume von Granaten zerfetzt, werden noch viele Schnitzmesser auf Stahlfetzen treffen, werden noch viele Leute vor dem Bildnis Abels stehen und nicht begreifen, welchen Anteil sie selbst am zu Beklagenden haben. Sollte das nicht ein Ende haben?

 EkkehartMittelberg (22.05.23, 12:42)
Etwas Besonderes: packend und berührend.

LG
Ekki

 JohannPeter schrieb daraufhin am 22.05.23 um 21:18:
Das hatte ich gehofft.  :)

 TassoTuwas (22.05.23, 20:47)
Schade, Augenpulver kann ich nicht lesen!

LG TT

 JohannPeter äußerte darauf am 22.05.23 um 21:15:
??? - Was ist Augenpulver?
Habe mal die Schriftgröße geändert. War es das?

Antwort geändert am 23.05.2023 um 07:39 Uhr

 TassoTuwas ergänzte dazu am 24.05.23 um 10:22:
Danke,

groß - artig!

LG TT
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