1. Der Abend

Text

von  Elisabeth

Hebit hörte plötzlich gedämpfte Stimmen durch die massive Tür des Andachtsraums, die der Novizinnen, aber auch eine Männerstimme. Das war Taribit, die Handelssprache, die der Mann sprach, und trotz der späten Stunde wollte er der Hawat noch ein großes Opfer bringen. Sie erhob sich, um hinaus zu gehen, aber der vorwurfsvolle Blick ihrer geliebten Haschal, der Mutter des Tempels, ließ sie innehalten.

"Er wird die Abweisung verstehen", sagte Haschal leise. Natürlich, die ungeweihten Dienerinnen der Göttin hatten sich bereits für die Nacht nach Hause begeben. Und die Priesterinnen sollten angesichts des bevorstehenden Festtages des Helden meditieren, um am Morgen der Göttin näher zu sein.

"Du weißt, wie ich die Nähe der Göttin am ehesten finde", erinnerte sie Haschal ebenso leise, um die anderen nicht mehr als nötig zu stören.

In Haschals noch immer schönem, aber schon merklich gealtertem Gesicht entstand die typische senkrechte Falte zwischen den Augenbrauen. So oft schon hatten sie darüber geredet, diskutiert und gestritten, aber auch Haschal hatte die Gabe und wußte, daß Hebit sich tatsächlich in der Vereinigung mit einem anderen Menschen der Göttin am nächsten wußte. Haschal dagegen empfand die größte Nähe zu Hawat in der Zuneigung zu und von ihren leiblichen Kindern und den Novizinnen, die im Tempel aufgewachsen waren und von denen eine noch immer mit dem Mann vor der Tür diskutierte.

"Du bist ein Gefäß der Göttin", flüsterte Haschal, fast resignierend, aber dabei lächelte sie Hebit an, denn sie wußte, daß ihre Geliebte wirklich Ka'awat war. Und mit einem Nicken erlaubte sie ihr, hinaus zu gehen.

*



Einige Schritte von der Tür entfernt sprach die erst seit drei Jahren im Tempel lebende, rothaarige Awrani-Novizin, Avilah, mit einem angesichts seiner fast sandfarbenen Haut offensichtlich ebenfalls aus dem Osten stammenden, dunkelhaarigen Mann, bei dem sich jugendlicher Bartflaum auf den Wangen lockte. Bei den Stämmen wäre ihm wohl vor kurzem erst die Stirnlocke geschoren worden. Avilah erklärte ihm noch einmal, daß es an diesem Tag zu spät sei, die Dienerinnen der Göttin aufzusuchen, aber der Jüngling bewegte sich nicht von der Stelle.

Hebit kam näher. Er wollte wirklich unbedingt heute der Göttin opfern. "Warum muß es gerade heute sein", fragte sie Avilah auf Ne'ti'km.

"Die Göttin will es, Herrin", antwortete der junge Awrani darauf, ebenfalls auf Ne'ti'km - nicht fehlerfrei, aber die wichtigsten Grundlagen der Sprache schienen ihm vertraut zu sein. Und er war überzeugt von dem, was er sagte. Hebit sah, daß er der Göttin vor kurzem nach der Art der Awrani Getreide geopfert und im Rauch der Flammen gesehen hatte, daß er den Tempel für ein großes Opfer aufsuchen solle. Dabei schien er nicht einmal die Gabe zu besitzen.

"Nun, dann werden wir dem Willen der Göttin gehorchen", entschied Hebit auf Taribit, und erleichtert trat Avilah ein paar Schritte von dem Jüngling zurück. Natürlich war Hebit nicht auf den Dienst an der Göttin vorbereitet, doch das war eine Sache von Augenblicken. Sie bat die Novizin, ihr nicht nur Räucherzeug und den Willkommenstrunk, sondern auch die rote Farbe zu bringen und führte den jungen Mann hinaus zu den Lauben in Hawats Garten.

Die über dem Westmeer untergehende Sonne übergoß inzwischen die ganze Stadt mit quittenblütenfarbenem Licht, als diene auch die Himmelskönigin am Vorabend des Festtages Hawat. Die Polster in den Lauben zwischen den blühenden Quittenhecken waren für die Nacht zusammengelegt worden, aber mit wenigen Handgriffen war alles wieder bereit, und da kam auch schon Avilah mit dem Korb. Sie half Hebit, ein frisches Laken über die Polster zu legen und fachte die Holzkohle in der Räucherschale an, dann erbat sie von dem jungen Mann das Silberstück für den Weihrauch und verabschiedete sich wieder.

Hebit legte ein paar goldgelbe Weihrauchkörner zu der glimmenden Holzkohle, dann schenkte sie zwei Becher des Willkommenstrunk ein und reichte einen davon dem jungen Mann, der ihn mit errötenden Wangen und plötzlich schüchtern gesenktem Blick entgegen nahm. Hebit sah in seinen Gedanken einen etwa gleichaltrigen Geliebten in seiner Heimat. Der Jüngling hatte auf das Opfer bestanden, aber Erfahrungen hatte er bisher erst mit einem Mann.

Hebit bediente sich eines Echos der ihm bekannten Gefühle, um ihn in die richtige Stimmung zu bringen und erklärte: "Laßt uns mit diesem Trunk die Göttin willkommen heißen. Wenn ich meinen Leib der Hawat geweiht habe, können wir beginnen."

Der Jüngling nickte, nahm den Becher eher zögernd entgegen, trank aber daraus, als Hebit ihren Becher an den Mund hob. Er war erstaunt über den Geschmack, er hatte mit einem berauschenden Getränk wie dem Oinos der Awrani gerechnet, nicht mit einem kalten Kräuteraufguß.

Auch wenn durch die von Hebit gespiegelten Gefühle seine Erregung schon wuchs und sich der letzte Rest seiner Befangenheit binnen Kurzem legen würde, war sie angesichts seiner noch immer vorrangig um den Geliebten kreisenden Gedanken für einen Moment versucht, sich ihm im Schatten der Laube in ihrer wahren Gestalt zu zeigen. Doch dann behielt sie doch die Illusion bei, ein Weib der Sa'atik zu sein und enthüllte ihren Körper, kaum weniger jugendlich als der, mit dem sie sich vereinigen würde, denn durch die Gnade der Göttin alterte sie nicht in der gleichen Weise wie andere Menschen.

Sie roch die Erregung des jungen Awrani, als er neugierig verfolgte, wie sie den Finger in die rote Paste steckte und damit unterhalb ihres Bauchnabels ein Gebet an Hawat in den heiligen Schriftzeichen auf die dunkle Haut schrieb, den beschließenden Strich des letzten Zeichens gerade oberhalb ihrer enthaarten Scham.

"Damit weiht ihr euren Leib der Göttin, Herrin?" fragte der Jüngling, ohne den Blick von dem letzten, auf der warmen Haut bereits nahezu getrockneten Schriftzeichen zu wenden.

"Ja", antwortete Hebit, "und ich bitte mit diesen Zeichen die Göttin, unser Opfer wohlwollend anzunehmen."

"Wollen wir ihr dann mit der gebotenen Ehrfurcht opfern?" fragte er darauf mit einem nervös wirkenden Lächeln, obwohl der Willkommenstrunk inzwischen seine Wirkung entfaltete.

Es gelang ihr, ihn sich mehr am rechten Platz fühlen zu lassen während sie ihn entkleidete, er wagte zunächst jedoch trotzdem nur flüchtige Berührungen ihres Leibes, aber endlich erwiderte er ihre Liebkosungen und gab sich der Macht der Göttin hin. Bei der ihm noch unbekannten Art der Vereinigung war er so überaus hingebungsvoll, als sei er sich wirklich in jedem Augenblick bewußt, daß sie ein Opfer an Hawat vollzogen und der Großen Göttin ihre Lust schenkten. So waren viele Awrani-Männer, aber selten, wenn sie noch so jung waren.

Hebit genoß, wie das Feuer in dem jungen Mann immer weiter wuchs und auch sie mittrug, ihre eigene Lust vervielfachte und sie beide dem Erkennen der Göttin entgegen trieb. Sie schrieb es ihrem mütterlichen Erbteil zu, daß sie sich im Moment des Erkennens der Göttin der ganzen Welt verbunden fühlte, nicht nur dem Menschen, mit dem sie sich in dem Moment vereinigte. Doch auch als sie beide wenig später befriedigt auf das Lager sanken, nahm sie noch die in sich ruhenden, im Andachtsraum des Tempels meditierenden Priesterinnen wahr, fühlte die Vorfreude auf den Festtag in ganz Ma'ouwat, Zuneigung und Liebe von überall, zu Geliebten, zu Kindern, Geschwistern, Eltern oder Nachbarn, ein ganzer wunderbarer Ozean der Gefühle, so deutlich, wie sie zuvor die Ekstase des Jünglings wahrgenommen hatte, die Hitze seiner Haut, die Spannung und endlich die Entspannung. Und sie merkte, daß ihr eigenes Herz noch immer im Takt mit dem seinen schlug.

*



Die Sonne ging unter und die ersten Sterne zeigten sich am Himmel. Daß sie die Verbundenheit mit den Menschen noch immer erfüllte, erstaunte Hebit. War es das Echo der Gefühle dieses hingebungsvollen Jünglings, oder war es die Göttin, die ihr so ihre Zufriedenheit mit dem Opfer am Vorabend des Feiertages zeigte? Denn Hawat hatte ihr diesen Jüngling doch geschickt.

Plötzlich erinnerte Hebit sich an andere Gelegenheiten, bei denen sie so im Einklang mit der Welt gewesen war. Das erste Mal war etwa vierzig Jahre her, damals, bei den Yoshany, als sie das höchste ihr bis dahin bekannte Glück mit der hübschen Sarit gefunden hatte. Damals ahnte sie noch nicht, daß die Menschen des Südens einen Namen für die leiblichen Kinder der Göttin hatten, daß sie nicht so allein war, wie sie dachte. Mit ihrem weißen Haar hatte Hebit als Kind einer Unirdischen gegolten, war zunächst wie die Tochter eines Fürstengeschlechts behandelt worden. Doch kaum war sie herangewachsen, kaum daß ihre Gelüste erwachten, mußte sie lügen und betrügen, um zu bekommen, was sie wollte. Und ihre Liebste mußte ebenso lügen, denn niemand konnte oder wollte es verstehen. Später hatte sie die Menschen nur sehen lassen, was sie sehen sollten, und doch war auch ihre zweite Liebe bei den Stämmen daran zerbrochen, daß sie ein Gefäß der Göttin war. Und erst als sie im Tempel von Ma'ouwat vor Hawats Bildnis gestanden hatte verstand sie, daß diese angebliche Unirdische, die ihren Vater zwei Mal aus dem Mondlicht kommend besucht hatte - einmal um seinen Samen zu empfangen und einmal um ihm sein Kind in den Arm zu legen, damit es bei den Menschen aufwuchs - in Wahrheit die Göttin gewesen sein mußte.

Hebit erlaubte sich für einen Moment, in das Bedauern darüber einzutauchen, daß sie ihre beiden Söhne nicht selbst aufgezogen, oder zumindest aufwachsen gesehen hatte, wie es ihr bei ihrer Tochter vergönnt gewesen war. Zu oft hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen. Sie dachte viel zu selten an ihre Söhne und sprach noch seltener von ihnen, im Gegensatz zu Haschal, die sogar regelmäßig Besuch von ihren vier nicht mit dem Tempel verbundenen, längst erwachsenen Kindern und deren Kindern bekam. Ob ihr ältester Sohn inzwischen selbst einen Sohn hatte? Dieser konnte dann schon älter sein als dieser zärtliche Jüngling.

Sie dankte der Göttin, daß sie, nachdem sie den Yoshany den Rücken gekehrt hatte, in Letran Priesterinnen der Hawat kennenlernen durfte. Eine Zeitlang war sie bei ihnen geblieben, hatte gelernt, daß Ama und Hawat sich in vielem entsprachen, doch in ebenso vielen Punkten unterschieden. Damals war sie noch zu jung gewesen, um zu verstehen, was das für sie selbst bedeutete. Doch als sie Jahre später die Temhaly, ihren geliebten Barhan mit der wunderbaren Stimme und ihren gerade geborenen zweiten Sohn verließ, besann sie sich wieder der Hawat, verstand, daß die Ama der Stämme nur ein schwacher Widerhall der wahren Göttin war und ging nach Ma'ouwat. Im Angesicht der Statue der Großen Mutter hier in der Tempelhalle, aus deren Schoß die Schlange kroch, erkannte sie damals ihr Erbe, fühlte sich endlich zuhause und beschloß, selbst Priesterin zu werden.

Vor fünfundzwanzig Jahren war das gewesen und wenig später wurden sie und Haschal, die jetzige Mutter des Tempels, Liebende. Wie früher verbarg Hebit beim Dienst an der Göttin ihr wahres Aussehen meist hinter einer Illusion, da die Menschen in Ma'ouwat, vor allem die Opfernden, aber vielleicht auch die ungeweihten Dienerinnen der Göttin, verstört auf ein Gefäß der Göttin mit der Hautfarbe der Tarib reagieren mochten. Doch Haschal und natürlich auch ihre Tochter Na'aschel, die inzwischen ebenfalls Priesterin der Hawat war, sowie die anderen Priesterinnen und fast alle Novizinnen des Tempels, wußten darüber Bescheid. Vielleicht war diese Offenheit gegenüber ihrer in Ma'ouwat gefundenen Familie der Grund dafür, daß ihr Verhältnis zu Haschal bis heute ungetrübt war.

Hebit richtete sich endlich auf, legte ihr Gewand um und entzündete ein Wachsstäbchen an der noch immer glimmenden Holzkohle der Räucherschale, um die Lampen um das Liebeslager zu entzünden. Und der junge Mann stand auf einmal fertig angezogen neben ihr.

Hebit wollte nicht, das es so schnell vorbei war, also erhob sie sich ebenfalls und brach einen blühenden Zweig von einem der Quittenbüsche, um ihn ihrem zeitweiligen Geliebten zu schenken.

"Wofür ist der Zweig?" fragte er langsam, aber in fast fehlerfreiem Ne'ti'km. Sie sah, daß er mit seinem Lehrer nach Ma'ouwat gekommen war, um die Gebräuche und Sitten des Südens zu studieren. Mit dem Erlernen der Sprache hatte er sich darauf vorbereitet.

"Hier in Ma'ouwat schenkt man am Festtag des Helden seinem Liebsten einen Zweig mit Blüten", erklärte Hebit.

Er wechselte wieder ins Taribit: "Aber der Festtag beginnt doch erst bei Sonnenaufgang, und wir sind keine Liebenden. Wir haben heute nur gemeinsam der Göttin geopfert und werden uns wahrscheinlich nie wieder sehen."

Er war viel zu sachlich für sein Alter und natürlich hatte er recht, aber jetzt gerade fühlte Hebit sich der ganzen Welt in Liebe verbunden. Wie sollte sie das diesem unerfahrenen, jungen Mann erklären? Es überkam sie, ihn zu umarmen.

Der Jüngling erwiderte die Umarmung recht zurückhaltend. "Was genau feiert ihr Sa'atik am Festtag des Helden?" fragte er dann, als wolle er Hebit ablenken, doch tatsächlich hatte er überraschend großes Interesse an einer Antwort.

Also tat Hebit ihm den Gefallen: "Am Tag des Helden feiern wir, daß die Göttin durch den Helden und seine List, den Vater der Dämonen betrunken zu machen, gerettet wurde und ihrem Retter dafür ihre Lust schenkte."

"Ach... das klingt ähnlich wie die Geschichte unseres Rauschfestes, bei dem die Tat des Helden Buhachan gefeiert wird, der den Weltenverschlinger betrunken machte und erschlug und so die Göttin rettete, die ihm dafür eine Nacht lang ihre Gunst schenkte."

Es fiel ihr schwer, nicht noch einmal über sein seidiges, dunkelbraunes Haar zu streichen, den Blick in seine schönen, braunen Augen zu versenken. "Unser Held hat keinen Namen", erklärte Hebit in dem Versuch, sich selbst von ihren zärtlichen Gefühlen ihm gegenüber abzulenken. "Aber es heißt, die Ereignisse, derer wir uns am Festtag erinnern, seien genau hier, auf diesem Hügel, in diesem Garten geschehen, kurz nachdem die Göttin dem Meer entstiegen war. Außerdem wird erzählt, die Göttin habe dem Helden nach dem Genuß ihres Körpers auch noch einen Quittenzweig geschenkt."

"Daher heißt die Stadt wohl auch 'Ankunft der Großen Göttin'", mutmaßte der junge Mann. Inzwischen war sein ganzes Denken nur noch auf seine aus tiefstem Herzen kommende Wissbegierde gerichtet.

"Ja, das ist der Grund für den Namen 'Ma'ouwat'", bestätigte Hebit.

"Sag, kam die Göttin eurer Überlieferung nach auch in einer Muschel über das Meer, die von Delphinen gezogen wurde?" fragte er nun sehr eifrig, dieses Thema war ihm offenbar eine Herzensangelegenheit. War diese Wißbegierde über die Gründe lange zurückliegender Ereignisse ein typisch awranischer Charakterzug? Nun, Avilah war in der Hinsicht anders, sie hatte die Gabe und ging auf im Dienst an die Göttin, aber ihr Bruder und die kleine... nein, inzwischen groß gewordene Ramilla, bereits an der Schwelle, selbst ein Priesterinnenamt zu übernehmen... vor über einen Jahr war sie schon in den Norden gezogen dafür... sie wäre hingerissen davon gewesen, mit diesem Jüngling die ganze Nacht hindurch die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen der Großen Göttin der Sa'atik und der Großen Mutter der Awrani zu erörtern. Vielleicht blieb er noch ein Weilchen, wenn Hebit sich ganz auf dieses Gespräch einließ. Sie war neugierig, wie sich noch größere Begeisterung des jungen Mannes für einen Gesprächsgegenstand anfühlte. "Der Überlieferung nach kam Hawat auf einem Weg aus Mondlicht über das Meer und stieg gerade dort an Land, wo heute der Westhafen der Stadt ist. Dort liegt ein großer Fels, der 'Hawats Leiter' heißt, weil sie von der Wasseroberfläche an ihm emporgestiegen ist, um das Land zu erreichen. Wieso interessiert es dich so sehr?"

"Weil ich in der königlichen Bibliothek hier in Ma'ouwat bisher nicht viel darüber erfahren konnte, inwieweit die Große Mutter und Hawat sich ähneln. Aber angesichts des Geheimnisses muß es doch Gemeinsamkeiten geben."

Von dem 'Geheimnis' hatte Hebit die Awrani schon mehrfach sprechen hören. Doch nach dem, was sie in den Gedanken der Eingeweihten dazu bisher gesehen hatte, war für sie daran nicht viel Überraschendes oder Geheimnisvolles. Sicher ähnelten Hawat und die Große Mutter einander mehr, als Ama der Hawat ähnelte. Aber wenn stimmte, was Ramilla gelegentlich erzählte, würde der junge Mann in der Bibliothek der Königin dazu nicht viel finden. "Besuche die Bibliothek des Tempels", riet sie ihm. "Soviel ich weiß, gibt es dort einige Bücher zur Geschichte der Feste der Hawat - und ebenso Werke, die unsere Große Göttin und ihren Widerschein im Glauben anderer Völker untersucht. Alles, was nicht den Priesterinnen vorbehalten ist, ist in der Volksschrift abgefaßt. Wenn du die Bücher der königlichen Bibliothek lesen kannst, solltest du die des Tempels auch lesen können." Diese Wärme und Vorfreude... die Augen des Jünglings leuchteten geradezu. Es war fast so erquickend wie der Liebesakt.

"Ich danke dir, Herrin", er sagte er dann auf Ne'ti'km und verbeugte sich, wie er sich vor seinem Lehrer verbeugen mochte. "Dank dir weiß ich nun, daß das Rauschfest und der Tag des Helden anscheinend auf das selbe Ereignis zurückzuführen sind, und wo ich noch mehr Informationen zu Hawat finde. Damit habe ich von der Begegnung mit dir gleich dreifach profitiert."

Hebit mußte darüber lächeln. Es war offensichtlich ein Abschied. "Dann geh mit dem Segen der Göttin", sprach sie die übliche Abschiedsformel. Und der junge Awrani verschwand zwischen den Quittenhecken in der Dunkelheit.

Hebit löschte die Lampen wieder und legte sich zurück auf das Lager, um die Verbundenheit mit der Göttin noch eine Weile zu genießen.

* * *



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