2. Eine Muse?

Text

von  Elisabeth

"Was wären denn meine Aufgaben?" fragte meine schöne Jungfer.

"Bisher hatte ich mit meinen Musen nicht viel Glück. Folgen sie einfach ihrer Eingebung, ich werde ihnen sicher keine Vorschriften machen." Nein, Reneé hatte weder vor noch während unserer Ehe als Muse getaugt. Und die Talente von Chantal aus dem 'Château Rouge', die eigentlich Sabine hieß und gelegentlich meine Glieder wärmte, lagen definitiv nicht auf intellektuellem Gebiet. Nach Lesungen gab es manchmal Krimi-Groopies, die mit mir ins Bett gingen, aber die hatten nicht nur bei Autogrammen eine Trophäensammlermentalität und waren wenig an Konversation interessiert. Einzig meine Verlegerin zeigte telefonisch wirklich Engagement, wenn ich mich Schreibproblemen gegenübersah, aber wahrscheinlich auch nur, weil sie um ihre Investition fürchtete.

Überraschend legte mir meine Jungfer die Lippen auf die Wange. "Laufen sie nicht weg", bat sie flüsternd dicht neben meinem Ohr. Dann entzog sie mir ihre Hand, erhob sich, und verschwand in Richtung Toiletten.

"Die Dame hat ihre Handtasche und ihr Buch am anderen Tisch liegen gelassen", sagte der Kellner plötzlich und legte ein blauledernes Unterarmtäschchen und ein etwas zerknautschtes Taschenbuch, das mit Mühe wohl in das Täschchen paßte, auf ihre verlassene Seite des Tisches. Dieses Buch kannte ich: Justus M. Wintermann, 'Bollwicks letzte Reise', Gärtner Taschenbuch. Saß ich also einem Fan gegenüber? Hatte sie mich bei einer Lesung gesehen und daher erkannt? Auf meinen Wunsch verzichtete Frau Gärtner darauf, das Autorenportrait auf der hinteren Umschlagseite mit einem aktuellen Foto abzudrucken. Wir hatten uns für ein Bild aus dem ersten - und einzigen - glücklichen Jahr mit Reneé entschieden, mein Haar war damals noch nicht grau gewesen, und auf dem Bild trug ich meine Brille nicht.

Neugierig, ob sie sich vielleicht ein Autogramm hatte geben lassen, nahm ich das Buch zur Hand. Ein zerfleddertes Lesezeichen, Werbung für einen anderen Verlag, steckte im hinteren Drittel des Bandes. Und vorne, auf der Titelseite, auf die ich Widmungen zu schreiben pflegte, stand oben in der linken Ecke nur 'Liane Paulsen', in nicht besonders ordentlicher Schrift, mit blauem Kugelschreiber. War das also ihr Name? Oder hatte sie sich das Buch vielleicht ausgeliehen?

"Oh, sie haben meine Tasche geholt? Herzlichen Dank, ich hätte sie vermutlich vergessen", rief meine Jungfer in dem Moment aus.

Zögernd legte ich das Buch zur Tasche und schüttelte den Kopf. "Das Lob gebührt nicht mir. Der Kellner war so aufmerksam, Tasche und Buch hierher zu bringen. Sie heißen Liane Paulsen, richtig?" fragte ich dann vorsichtig.

Liane nickte nur und rutschte wieder auf die Bank. "Der Krimi ist wirklich allererste Klasse", schwärmte sie dann. "Sie müssen unbedingt...", doch dann hielt sie inne, errötete plötzlich, griff hastig nach dem Buch und stopfte es so heftig in die Tasche, daß es mir beim Zusehen fast wehtat.

Den Vertreter Bollwick hatte seine letzte Reise in sein Lieblingsbordell geführt, für das ich einige Anleihen beim 'Château Rouge' gemacht hatte. Außerdem hatte ich den Handlungsort genutzt, die Aufklärung des Mordes mit erotischen Szenen zu garnieren. Hatte sie eben an die grafisch beschriebenen, expliziten Szenen des Buches gedacht, daß sie so erröten mußte? "Lesen sie viele Kriminalromane?" fragte ich, damit sie mich wieder aus ihren schönen, großen Augen ansah.

Und Liane schaute wirklich auf, ihr Blick traf wieder meinen. "Ja, fast ausschließlich Whodunit's. Ich liebe es, selbst die Spuren zu verfolgen, um vor dem Detektiv auf die Lösung zu kommen. Aber Wintermann macht es einem nicht leicht." Sie lachte glücklich.

Hatte sie mich wirklich nicht erkannt, oder wollte sie mir schmeicheln? "Was würden sie machen, wenn Wintermann jetzt in dieser Bar sitzen würde?" fragte ich dreist.

Sie schien tatsächlich nachzudenken. "Wahrscheinlich würde ich ihn um ein Autogramm bitten, auch wenn ich eigentlich keine Autogramme sammele. Ein Krimiautor, der noch eine Muse sucht interessiert mich viel mehr", sagte sie dann mit verträumtem Blick und einem verheißungsvollen Lächeln. "Wie heißen sie denn eigentlich?"

"Wie wäre es mit dem du?" schlug ich vor. Und um weiterhin ihres Interesses teilhaftig zu werden entsann ich mich meines selten benutzten, zweiten Vornamens: "Ich heiße Michael."

Sie legte ihren auf die Hand gestützten Kopf schräg. "Michael ist ein so schöner Name", seufzte sie.

"Liane finde ich auch sehr schön", beeilte ich mich zu erwidern. Ob ich wagen konnte, sie einfach zu küssen? Ihr Gesicht war so dicht vor meinem, daß ich mich ihr nur noch ein winziges Stück entgegenneigen mußte. Und sie hatte mich doch eben selbst fast geküßt.

Erwartungsvoll sah sie mich unter den langen Augenwimpern hervor an. Was ging ihr wohl gerade durch den Kopf? Aber es war doch müßig, sich dazu Gedanken zu machen. Ich folgte einfach dem Impuls und legte meine Lippen auf ihre, die den Kuß sanft erwiderten, einen Moment auf den meinen liegenblieben, sich dann langsam lösten. "Wohnst du eigentlich hier im Hotel, Michael?" fragte Liane leise.

"Ja", bestätigte ich, stand auf und reichte Liane die Hand, um ihr aus der Bank zu helfen. Mit der freien Hand griff ich nach meinem Ordner.

Liane nahm zwar meine Hand, bewegte sich aber zunächst nicht. "Denk nicht, daß ich mit jedem...", begann sie leise, verstummte dann, senkte, wieder errötend, den Blick. Dann erhob sie sich doch. "Ich glaub, ich bin betrunken", flüsterte sie, kicherte, griff fahrig nach ihrem Handtäschchen.

"Ich sollte dich lieber nach Hause bringen", sagte der Kavalier in mir, während der Lüstling mich dafür ohrfeigen wollte. Aber ich konnte doch Lianes Enthemmung durch den Alkohol nicht einfach schamlos ausnutzen!

Liane hakte sich unter, schmiegte sich an mich und legte ihren Kopf an meine Schulter, so daß mich ihre langen Haare an der Wange kitzelten. "Ich wohne auch im Hotel", eröffnete sie mir. "Zimmer 204."

"Dann bringe ich dich jetzt mal ins Bett", entschied ich, und ließ Liane darüber kichern.

Unsere fast vollen Gläser blieben stehen und wir wankten gemeinsam zum Fahrstuhl, fuhren in den zweiten Stock, fanden die Tür von Zimmer 204 und den Schlüssel in Lianes Handtäschchen. Das Aufschließen gelang ihr noch selbst, aber anstatt die Tür aufzudrücken, ließ sie sich nach hinten gegen meine Brust fallen. "Bitte, hilf mir mit dem Kleid, ich glaube das bekomme ich nicht mehr selbst auf."

Auch wenn sie es nicht sah, nickte ich, griff an ihr vorbei, um die Tür doch endlich zu öffnen und stützte meine beschwipste Jungfer, bis sie sich schwer auf ihr Bett plumpsen lassen konnte. Und die Tür klickte ins Schloß, anscheinend hatte ich ihr ganz automatisch nach dem Durchschreiten einen Tritt gegeben.

Liane hob den Arm und zeigte mir einen verborgenen Reißverschluß der an ihrer Seite von der Achsel bis zur Hüfte reichte. Mit zitternden Fingern griff ich nach der kleinen, blauen Metallasche und zog den Reißverschluß vorsichtig auf. Als der Stoff auseinanderklaffte war darunter nur nacktes Fleisch zu sehen, schönes, duftendes Frauenfleisch, das mir die Sinne zu umnebeln schien. Lange würde der Kavalier den Platz nicht mehr behaupten.

Liane hatte schon begonnen, sich aus den Ärmeln zu winden und das Libellenkleid wie eine zu enge Haut abzustreifen. Bis auf ihre Feinstrumpfhose, die sie von der Taille bis zu den Zehenspitzen schwarzschimmernd umhüllte, war sie nun nackt. Liane war keine Zwanzig mehr, sicher nicht, aber ihre Brüste, um die man den Kulturstreifen eines Bikinis erkennen konnte, waren noch immer sehr schön.

"Ich sollte jetzt gehen", sagte ich.

Liane schienen schon die Augen zuzufallen. "Ja, solltest du, aber bitte, bleib einfach hier." Sie streifte die Strumpfhose ebenfalls ab, ließ sie zu dem achtlos auf den Boden liegenden Kleid fallen und kuschelte sich nackt unter die Decke. Ihre Augenlider flatterten, als sie versuchte, meinen Blick zu erhaschen. "Bleib, Michael, bitte. Komm zu mir." Und sie hob die Ecke der Decke an, so daß ich eine ihrer Brüste sah, erkannte, daß ihre Beine leicht gespreizt waren, als erwarte sie noch etwas von mir.

Der Anblick erregte mich sehr, aber auch ich hatte anscheinend schon zu viel getrunken, denn ich merkte, daß ich in dieser Nacht wohl nicht mehr zu Ausschweifungen sexueller Art fähig war. Trotzdem nahm ich Lianes Einladung an, entkleidete mich ebenfalls ganz und rutschte zu ihr unter die Decke. Sofort kuschelte sie sich an mich und ich mußte einen Arm um ihre schmalen Schultern legen, damit ich halbwegs bequem liegen konnte. Ich fühlte ihr Schamhaar an meiner Hüfte, ihre Beine an meinen, dann ihre Hand ganz sanft auf meiner Brust. "Michael, versprich mir, daß du dich morgen früh nich einfach heimlich ausm Staub machst", nuschelte sie neben meinem Ohr.

"Ich habe mittags eine Verabredung", erinnerte ich mich an die bevorstehende Trauung meines Sohnes auf dem eindrucksvollen Dreimaster, der nur etwa hundert Meter von dem Hotel entfernt im Wasser lag.

"Versprich es mir", insistierte Liane. "Bitte."

"Ich verspreche dir, morgen früh nicht ohne Verabschiedung zu gehen", flüsterte ich ihr ins Ohr. Und meine letzten wachen Gedanken galten ihrer zart streichelnden Hand, die sich langsam über mein Brusthaar und meinen Bauch in Richtung meiner Scham vorarbeitete.

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