Aaron

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Saira

Während eines Waldspazierganges mit meiner kleinen Wilma erkannte ich Rita schon von weitem.  An ihrer Seite lief Aaron, ca. 70 cm groß und um die 40 kg schwer. Aaron ist ein verspielter, lammfrommer Rhodesian Ridgeback. Ich bin über ihn, sein Frauchen, Herrchen, über die Eltern von Herrchen und Frauchen, kurz gesagt: über sein Umfeld bestens informiert. Nein, ich bin nicht mit Rita befreundet. Man sieht sich ab und zu während eines Spazierganges und Rita erzählt dann gerne und viel von sich.

 

Sie hat kein leichtes Leben. Vor fünf Jahren, sie war Ende vierzig, erhielt sie die Diagnose Multiple Sklerose. Nur sechs Monate zuvor hatten sie und ihr Mann sich Aaron zugelegt. Rita braucht starke Medikamente und diese haben schwere Nebenwirkungen. Sie wiegt gerade mal 8 kg mehr als Aaron, ihre Haut ist durchscheinend und ihre Haare sind glanzlos und dünn. Aaron an der Leine zu führen, ist für sie nicht einfach, da er ab und zu spontan nach vorne springt. Bisher schafft sie es noch, ihn einmal am Tag auszuführen. Morgens und abends macht ihr Mann die Runde mit ihm. Wenn wir uns begegnen, dann ist es, als hätte sich bei Rita immer ganz viel angestaut und es bemächtigt sich ihrer ein unglaublicher Redefluss. Es gibt auch Tage, an denen es ihr so schlecht geht, dass sie sich kaum auf den Beinen halten kann. Ein Stehenbleiben geht für sie dann gar nicht, erklärte sie mir mal. Dann macht sie ein Handzeichen und geht ohne Pause weiter.

 

Aaron liebt meine Wilma und Wilma liebt Aaron. Er legt sich, sobald wir kommen, flach auf den Boden, damit die Kleine seinen Kopf erreichen kann und beide lecken sich gegenseitig erfreut übers Gesicht. Es ist ein festes Begrüßungsritual. Wilma hält ihm hinterher dankbar oder eben einfach, weil er so ein Süßer ist, ihr entzückendes Hinterteil hin. Mein Mann meint, Wilma sei eine kleine Schlampe. Das höre ich gar nicht gerne. Es stimmt auch nicht. Schließlich gewährt sie nur ausgesuchten Hunden dieses Erlebnis.

 

Da Aaron zu stürmischen Freudenausbrüchen neigt, wie mir Rita gleich Anfangs unseres Kennenlernens verraten hatte, warnte sie mich davor, ihn zu streicheln. Doch es kam der Tag, an dem mich Aaron so herzallerliebst anschaute, dass ich nicht anders konnte, als zärtlich seinen Kopf zu berühren. Ich rief noch verzückt: „Hallo Aa…!“ … als er bereits einen emotionalen Höhenflug erlebte und an mir hochsprang. Auge in Auge mit ihm fand ich mich auf dem Rücken liegend auf dem Waldboden wieder. Wilma wollte auch auf mich springen, aber es war kein Platz mehr für sie. Rita versuchte zunächst vergeblich, mich von Aaron zu befreien. Erst nachdem er mir herzhaft übers Gesicht geschlappert hatte, bekam sie ihn in den Griff. Nun war es ja nicht das erste Mal, dass ich unfreiwillig auf dem Waldboden lag, aber ehrlich, noch nie zuvor hatte ich so distanzlos in ein so großes Hundegesicht, das vor Freude zu lachen schien (an den hochgezogenen Lefzen zu erkennen), geblickt. Seither grüßen Aaron und ich uns aus sicherer Entfernung, aber die Herzchen fliegen hin und her.

 

Rita weiß über Wilma und mich nur sehr wenig. Ich komme nicht dazu, etwas über uns zu erzählen. Immer, wenn sie mal eine Sprechpause einlegt und ich mit einem Satz beginne, beendet sie ihn, denn zu jedem Thema hat sie eigene Gedanken, die raus müssen. Ich habe mir angewöhnt, nur zuzuhören, ohne den Anspruch zu haben, selber zu reden.

 

Allerdings fragt sie stets, bevor wir uns trennen, wie es mir gehen würde und ob es etwas Neues gäbe. Dann antworte ich ihr immer: „Uns geht es gut, nö, Neuigkeiten gibt’s nicht.“

 

 

 

© Sigrun Al-Badri/ 2023




Anmerkung von Saira:


Rhodesian Ridgeback




Wilma

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (02.11.23, 09:27)
Eine sehr spannende Erzählung, Sigi.
Es ist bedauerlich, wenn man aus Respekt Zuneigung nicht ausleben kann.

Herzliche Grüße
Ekki

 Saira meinte dazu am 03.11.23 um 07:27:
Guten Morgen, lieber Ekki,
 
das stimmt zwar, aber da ich nicht riskieren möchte, abermals auf dem Waldboden zu landen, halte ich Aaron lieber auf Abstand. Es wäre auch gesundheitlich nicht ratsam, da ich bereits bei dem einen Mal mehrere blaue Flecken davongetragen habe :dizzy: .
 
Herzliche Grüße
Sigi

 AchterZwerg (02.11.23, 11:02)
Das mit der "Schlampe" nimmt dein Mann sofort zurück, Sigi! Sonst ... weiß ich auch nicht ... :D
Wilma ahnt schon, wen es zu lieben gilt; es kommt halt auf die Intensität an! Und Aaron (nicht zu verwechseln mit unsärm Aron!) scheint ein strammes Kerlchen zu sein ...

Ich saach nur: Glück auf! und bin auf die entzückenden Nachkommen gespannt.

Heidrun

 Saira antwortete darauf am 03.11.23 um 07:28:
Mein Reden, liebe Heidrun! Ich habe meinem Mann schon mit der Bratpfanne gedroht, sollte er die Kleine noch einmal als „Schlampe“ bezeichnen :angry:
 
Wilma weiß genau, wem sie ihr Hinterteilchen zeigt, aber das sind auch durchweg prächtige Jungs unterschiedlicher Größe und Rasse.
 
Allerdings in Bezug auf Nachkommen achte ich schon darauf, wer ihr während der Läufigkeit näherkommen darf :P .
 
Herzliche Grüße
Sigi
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