Die Ohrwurmsängerin

Erzählung

von  uwesch

Seine ehemalige Klassenkameradin, damals ein hübsches Mädel, das von allen Mitschülern begehrt wurde, hatte sich der Torheit ergeben zu früh zu heiraten. Die Ehe mit ihren Anforderungen verkraftete sie nicht, so dass sie sich nach kurzer Zeit wieder scheiden ließ.

Heute wird er sie nach vielen Jahren bei ihrem Auftritt in der Ernst-Merck-Halle das erste Mal wiedersehen. Sie war inzwischen eine sehr bekannte Sängerin geworden. Fast alle ihre Lieder wurden zu Ohrwürmern und verkauften sich hervorragend. Doch die Kritiker schrieben gegen sie an, sie produziere nur gängigen Massengeschmack.

Bei seinen Freunden wollte er damit nicht angeben, dass er sie aus der Schulzeit kennt. Deshalb besucht er das Konzert allein und stellt sich im Verlauf so weit nach vorn, dass er sie sehen kann. Einmal fängt er sogar ihren Blick auf, wie er sich einredete.
Aus Presseinterviews, die er alle las, wusste er, dass sie sehr unter den Kritiken litt. Sie war inzwischen dreimal geschieden, gefiel sich allerdings auch in ihrem Selbstmitleid, diesem großen tragischen Gedanken, den sie in einem ihrer Songs verarbeitet hatte.
In den Jahren ihrer gemeinsamen Schulzeit war sie im vornehmen Hamburg-Wellingsbüttel in einer großräumigen Villa mit Blick auf die Alsterwiesen aufgezogen worden. Von ihren wohlhabenden Eltern wurde sie mit einer täglichen Kost aus Politik und anderem Tagesgeschehen konfrontiert. Ihr Vater besaß eine kleine Spedition und hatte wie alle anderen in der Nachkriegszeit schwer zu kämpfen. Dennoch setzte sich die Familie allabendlich gemeinsam an den Tisch um sowohl über Vorkommnisse in der Schule als auch die aktuelle Stadtpolitik zu reden. Seit ihrem zwölften Lebensjahr las sie die WELT, wie alle Familienmitglieder, einschließlich der Leitartikel. Keine andere Zeitung war im Haus erlaubt. Nur in der U-Bahn lugte sie manchmal mit einem latenten Schuldgefühl über die Schulter eines Lesers, der sich in die BILD-Zeitung vertiefte.
Heute im Konzert kann sie ihr Alter trotz der Schminke vor ihm nicht verbergen. Sie ist inzwischen eine sichtbar leicht gebückte Frau, die nach einer längeren Auftrittspause sich dazu entschlossen hatte wieder auf Tour zu gehen. Doch ihre Songs gefallen ihm und er empfindet die Portion Selbstmitleid, die in einigen Stücken durchklingt, sogar als ein Markenzeichen von Reife. Von einem Song wusste er aus der Presse, dass sie ihn aus der Angst ihr Mann könnte sie verlassen schrieb. Ihm war zum Mitheulen als sie den singt. In einem anderen Song beschreibt sie das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater als jüngste Tochter, der nie wollte dass sie Sängerin wird.
Er bekommt im Verlauf des Konzertes immer mehr das Gefühl, dass die Kritiker ihr Unrecht tun, denn er findet die Texte ansprechend reif.



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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (05.03.24, 09:56)
Ein interessanter Blick auf das Leben eines Stars - scheinbar dauerglücklich auf der Welle des Erfolgs reitend.
Dabei werden Stars und Sternchen zu Ohrwurmgrösse reduziert....Abziehbildchen, die man nach eingespieltem Schema vermarktet.
Was ihr privates Glück angeht, das zeigst Du ja auch. Da ist das Scheitern programmiert.
LG
Eiskimo

 uwesch meinte dazu am 05.03.24 um 11:04:
In der Tat läuft es oft so ab. Aber es gibt sicher Ausnahmen.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung.
Liebe Grüße von Uwe

 franky (05.03.24, 11:38)
Hi lieber uwe 

Diese armen Seelen greifen dann immer mehr zu Drogen und Alkohol, 
was sie immer wieder mehr nach unten zieht. 

Grüße von Franky

 uwesch antwortete darauf am 05.03.24 um 13:46:
Das ist leider oft so. Dank Dir für Kommi und Empfehlung. LG Uwe

 harzgebirgler (08.03.24, 12:08)
heute ist der wurm in deutschland drin -
MADE IN GERMANY macht da echt sinn
zumal den scholz der putin madig macht
der sich im kreml eins ins fäustchen lacht! :( lg vom harzer

 uwesch schrieb daraufhin am 08.03.24 um 14:15:
Klar. Dank Dir für Kommi und Empfehlung.
LG Uwe
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