Coban

Kurzgeschichte zum Thema Leben/Tod

von  RainerMScholz

Es war nur eine Kurzmeldung irgendwo unter Vermischtes auf der vorletzten Seite der regionalen Tageszeitung. Niemand machte scheinbar großes Aufhebens darum. Warum auch, außer ihren Nachbarn und Kollegen kannte sie ja keiner. Hiltrud wurde bei ihrem verwahrlosten, unkrautüberwucherten Häusschen, das etwas nach hinten verrückt von der Toreinfahrt liegt, zwischen den verfallenden Schuppen tot aufgefunden; tote Igel aus ihrer eigenen Aufzuchtstation, ihre kleinen Gittertürchen waren alle geöffnet, lagen um sie herum; Hiltruds ohnehin schon ausgemergelter Körper war an verschiedenen Stellen angenagt worden, vielleicht von den Igeln, oder von anderem Getier.

Wir arbeiteten sporadisch bei diesem Zulieferer für Werbeartikel, die wir in Pakete und Container zu verpacken hatten und eigentlich kannte ich sie nur von den Zigarettenpausen, in denen wir ein oder zwei Worte sprachen, um die Stille zu füllen; eine kleine, zierliche Person, die, wie sie mir erzählte, nachts Zeitungen in den Straßen austrug, um dann hier im Gewerbegebiet tagsüber weiter zu arbeiten.

Sie sei siebzig Jahre alt, kam eines Tages zur Sprache, wir konnten es gar nicht recht glauben, die kleine, grauhaarige Person, die kein Fleisch aß und nie von ihrer Familie gesprochen hatte; doch wenn es um Tiere ging, blühte sie auf, sie redete von ihren Katzen und ihren Igeln und dass ihre Nachbarin auch Igel habe und sie pflegten sie und halfen ihnen über den Winter und brachten sie zur Entwurmung und bei Schnupfen zur Tierärztin. Ich bin bei dieser Nachbarin gewesen, um, durch Hiltruds Vermittlung, den Garten aufräumen zu helfen; eine einzige Wildnis, im Hof standen leere und halbvolle Eimer mit Handwaschpaste von 1973, zwischen all dem Gerümpel in den Schuppen verwahrloste ein Schaukelpferd, anscheinend aus der Zeit des zweiten Weltkrieges, unter einer dicken Spinnwebschicht, und der Igelstall, in dem die Tiere hinter Maschendrahtgitterchen huschten, stank bestialisch. Doris, die Nachbarin, konnte kaum an ihren Krücken gehen, ihr linkes Bein war violett und dick geschwollen; sie bot mir etwas zu trinken an, Kaffee oder Bier, aber ich machte mich lieber an die Arbeit. Sie war sehr nett, das war sie.

Hiltrud zeigt mir ein Bild von ihrem vor Jahren oder Jahrzehnten verstorbenen südanatolischen Schäferhund. Ich weiß nicht, wie wir dazu gekommen sind, vielleicht habe ich ein Bild meiner Tochter gezeigt, woraufhin sie ihre dicke braune Brieftasche aus ihrer Tasche hervornimmt und mir dieses Bild präsentiert. Ein prachtvoller Kerl. Ein Hund eben. Ich bin verblüfft und bekunde meine Bewunderung für dieses Bild eines Hundes. Auf dem Foto ist nur der Hund zu sehen, im Hintergrund Wiese. Ich nehme einen Schluck Kaffee aus dem Becher meiner Thermoskanne.

Sie hatte diesen Ausschlag an den Händen, die ohnehin schon von Rheuma gezeichnet waren, dicke Knöchelgelenke, rot und blau, und dann dieser ekzemartige Ausschlag, der sich nun auch auf die rechte Hand ausgebreitet hatte. Es sah schlimm aus. Und am nächsten Tag trug Gerda, meine Kollegin, Arbeitshandschuhe, die Reste des Kuchens, den sie wegen ihres Geburtstages mitgebracht hatte und den Hiltrud mit Appetit gegessen hatte, warf sie in die Mülltonne. Ich trug dann auch Handschuhe.

Von den Igeln hatte sie den Ausschlag, wie nach Wochen vergeblicher Behandlung herauskam, ein Pilz, der angeblich nicht ansteckend war; sie nahm Cortison dagegen, aber irgendwie wurde es gar nicht besser.

Wahrscheinlich konnte sie Tiere einfach besser leiden, möglich, dass es auch allen Grund dazu gibt.

Für uns geht das Schrieken des Abrollens der braunen Packkleberollen weiter, welches das Verschließen der Kartons begleitet und das die Monotonie der technischen Abläufe unterlegt.

Die Beisetzung haben wir verpasst. Es hat sich auch keiner darum gekümmert.



© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (14.06.24, 17:00)
Sog. Gutmenschen sind halt nicht sonderlich beliebt,
selbst wenn sie sich nur um kleine Igel kümmern

 RainerMScholz meinte dazu am 16.06.24 um 11:00:
Und je mehr sie sich kümmern, umso unbeliebter werden sie.
Gruß + Dank,
R.

 FrankReich (14.06.24, 17:22)
Gesellschaftskritische Hommage auf den Igel als Wildtier des Jahres? Egal, 😎.

Ciao, Frank

 RainerMScholz antwortete darauf am 16.06.24 um 10:59:
Die wirklich Wilden sitzen ganz woanders.
Gruß + Dank,
R.
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