Reiz

Text

von  Mondscheinsonate

Und als ich im Papierdiscount stand, Papiergeschäfte gibt es in Wien kaum noch, schon gar nicht in den Außenbezirken, dort, zwischen Zirkeln und Scheren, auf die Kugelschreiber sah, mir einen aussuchen wollte, einige probierte, so fiel mein Blick plötzlich nach rechts unten, unter die Malkästen, keine Ahnung wieso, vielleicht wegen meiner kleinen Nichte, auf die Zeichenblöcke, die neu waren, aber im Retro-Look, genauso wie damals produziert wurden, nämlich mit dem Dürer- Feldhasen auf dem Cover (ich zeichnete diesen damals nach und die Zeichnung kam in den Schaukasten der Schule, das Talent ließ ich fallen wie so vieles) und das machte etwas mit mir, der Anblick des Feldhasens veränderte meine Gefühlslage drastisch, ich begann zu lächeln, fühlte eine unglaubliche Erregung und Sehnsucht, dachte plötzlich, aus dem Nichts heraus an ihn, überlegte gleichzeitig, was der Feldhase mit ihm zu tun haben könnte, da waren nur Schulgegenstände, die hätten genauso erinnern können, taten es aber nicht, nein, es war der Feldhase, gerade der, ja, so kam ich zu dem einzig sinnvollen Schluss, dass wir nicht in derselben Klasse waren, jedoch ich stets, wenn wir Zeichnen hatten, an seiner Klasse vorbeigehen musste, den Zeichenblock und das Malköfferchen in den Händen, und er stand immer vor seiner Klasse, der Herrscher hatte alles im Blick. Ich lächelte, dachte, das ist lange her, lächelte ihn an. Und dann sah ich nach, was mein Feldhase, der immer auf dem Sprung war, nicht haltbar, wohl heute so macht und ich wurde stolz, aber gleichzeitig traurig. Ich dachte nur: "Scheiße".

Dennoch, ich kaufte den, für mich unnützen Zeichenblock tatsächlich, sah auf den Feldhasen und begann einen Brief zu schreiben, diesen schrieb ich die halbe Nacht, aber ohne den Feldhasen hätte ich diesen Brief nie geschrieben, das ist sicher, denn, er begleitete mich schon mein ganzes Leben, immer wieder blitzte er auf, er war immer da, der Brief bewies das, es sprudelte heraus, alles, was mir einfiel, was ich ständig sagen wollte, nein, längst nicht alles, das Alles wäre zu viel gewesen, aber viel, 30 Jahre sind lang und ich sah immer wieder auf, den Blick dem Feldhasen zugewendet, dann schrieb ich weiter bis ich zum Ende kam, ich hatte nichts zu verlieren. 

Und so lag der Feldhase auf meinem Küchentisch bis er sich meldete, das dauerte, er ist immer dort, wo man ihn nicht vermutet, aber als er sich meldete, schenkte ich den Feldhasen-Zeichenblock meiner Nichte, denn ich brauchte keine Erinnerung mehr, nun waren wir in der Gegenwart, die dieselbe ist.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (10.07.24, 08:58)
Papierdiscont? Was ist denn das?

Ich nehme an, der Schriftartwechsel war unbeabsichtigt? Ich habe auch immer wieder Probleme mit den Formatierungen hier...

 Mondscheinsonate meinte dazu am 10.07.24 um 09:01:
Ernsthaft jetzt? Ein Papiersupermarkt.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 10.07.24 um 09:08:
Achso, ein "Papier-Discount", dem quasi das "u" abhanden gekommen ist. Nein, diese Bezeichnung ist in Deutschland nicht geläufig.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 10.07.24 um 09:18:
Danke für deinen wertvollen Beitrag an dem Text.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 10.07.24 um 09:26:
Bitte, gerne geschehen. 

P.S.: Ein Österreicher sagte kürzlich zu mir, er finde die deutsche Brotbezeichnung "Pumpernickel" sympathisch.

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 10.07.24 um 09:31:
Hat aber auch nichts mit dem Text zu tun.

 uwesch (10.07.24, 09:10)
Sehr nachvollziebar und gut geschrieben. LG Uwe

 Mondscheinsonate meinte dazu am 10.07.24 um 09:17:
Dankeschön.

 AchterZwerg (11.07.24, 07:00)
Liebe Cori,
aus meiner Sicht ist dir in jüngster Vergangenheit ein großer Sprung nach vorn gelungen (diese "Wertung" ist keineswegs arrogant gemeint ;)  ).
Du packst nicht mehr so viele Beispiele in deine Texte und erlaubst den Lesern ihre eigenen Interpretationen.

Vielleicht hättest du im vorliegenden Text sogar nach "nichts zu verlieren" enden können.

Schöne Grüße

Und ja, der Feldhase ziert seit eh und je meine wechselnden Küchen - und ich liebe ihn unverbrüchlich.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 11.07.24 um 07:04:
Und ja, der Feldhase ziert seit eh und je meine wechselnden Küchen - und ich liebe ihn unverbrüchlich.
Ad Feldhase, als das Original in der Albertina ausgestellt wurde, war die Schlange vor dem Museum bis zum Hrdlicka-Denkmal. Weit, das täglich. Sonst haben wir nur die Kopie, weil Wanderausstellungen. 

Dank dir!

Antwort geändert am 11.07.2024 um 07:06 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 11.07.24 um 07:09:
Anmerkung zur Albertina:
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