Analog

Text

von  Mondscheinsonate

Natürlich, wie schon früher als ich jung war, fast noch klein, durchwühlte mein Vater alles, mein Handy war anscheinend sein größtes Interesse, er spielte meine Sekretärin und nahm ab, lud es extra auf, sah sich meine What's App- Chats an, die nicht wirklich geheim sind, also wenig prekär, dennoch nicht für den Vater bestimmt, alles las er, selbst, dass mein Herz an jemanden hängt und deshalb schrieb er auch seinen Anruf in Blockbuchstaben auf einen Zettel. Wenn er noch einen Funken Anstand gehabt hätte, hätte er mich im Spital im Zimmer angerufen und hätte mir die Nummer durchgegeben, ich hätte sofort zurückgerufen, aber er kam nicht einmal auf die Idee, kein einziges Mal, fragte nicht einmal wie es mir geht. Sehr seltsam das ganze Verhalten, einerseits in meinem Privatleben wühlen, andererseits die Person, die daranhängt ignorieren und sogar dem Glücklichsein im Wege stehen. Aber, witzigerweise, den um ein paar Minuten zeitversetzten Anruf Katjas hat er angenommen und mit ihr geredet. Kann man nicht erfinden. Das Thema "Väter und ihre Töchter sowie deren Männer" ist wie "Mutter und Sohn", immer mit Missgunst und Eifersucht verbunden. 

Er verbaute mir also das Glücklichsein im Unglücklichsein. Das hatte ich von "Vertrauen" und Code- Hergabe. Auch war er auf Plattformen online, die ich benütze, natürlich sah ich es, schwieg. 

Ehrlich, ich kam mir vor wie ein Teenager. Sehr ungut. 

Nichtsdestotrotz, obwohl meine Befürchtungen genauso eingetreten sind, wie ich befürchtet hatte, die Schmerzen waren eine Nacht lang derart unerträglich, dass ich wahrlich alle meine Sünden büßte, war eine Sache doch interessant und angenehm: das analoge Dasein, ich ging nicht mehr ins Ärztezimmer, war spannend. Den ersten Tag wurde ich nervös, hatte das Gefühl etwas zu verpassen. Dann, am nächsten Tag wurde ich in der Früh vorbereitet, war also "komplett drauf" wie ein Junkie, aber das ließ zu Mittag nach, ich wartete auf die Operation wie bestellt und nicht abgeholt. Durfte nur in der Station bleiben, ging auf und ab, gerade kleine Schluck Wasser, kein Kaffee, kein Essen, es war so schlimm, dass das "in Selbstmitleid baden" und der Hunger mich mehr beschäftigten als die Außenwelt. Jede Stunde hieß es: "Bald!" 

Nach dem vierten "Bald!" legte ich mich ins Bett und schlief, erwachte um 17 Uhr, da hieß es wieder "Bald!", bis um 18:15 die Schwester mit einer erneuten Dosis Tablette kam, die ich gottergeben schluckte, ich war dann 10 Minuten in Angst und Panik, hatte Herzrasen, dann wirkte diese. Ich entspannte mich. Um 18:45 kam ein Pfleger, den ich zuvor noch nie gesehen hatte, brachte mich in den OP-Saal. Sie hoben mich aus dem Bett, schoben mich auf den OP-Tisch. Der Anästhesist, der am Vorabend ein Gespräch mit mir führte, sagte: "Zählen sie von 10 rückwärts." Ich glaube, ich kam nicht einmal bis drei. Mehr bekam ich nicht mehr mit.

Am Vorabend sagte ich ihm, dass ich keine Einstiche in der Hand haben möchte, da kotze ich, das finde ich ganz schlimm. Er hielt sein Versprechen, die Nadel war im Unterarm als ich wieder im Aufwachraum erwachte. Eine Schwester lächelte mich an. Ich schwebte, so glaube ich. 

In der Nacht fingen die Schmerzen um ca. 21 Uhr an, steigerten sich ins Unermessliche. Ich klingelte, es kam eine unfreundliche philippinische Krankenschwester, das Detail ist nicht ganz unwichtig, denn eines ist Erfahrung, diese Krankenschwestern sind prinzipiell äußerst kompetent, allerdings niemals freundlich gewesen und nach jahrelangen Erlebnissen kann ich das für mich konstatieren, jedenfalls sagte ich, schweißgebadet, sie soll mir etwas geben. Sie biss mich an, dass sie das nicht darf ohne die diensthabende Ärztin. Sie ging, ernsthaft, sie ging einfach. Um 0:00 läutete ich wieder, schrie sie an, sie soll die Scheiß-Ärztin auspiepsen, Gnade ihr Gott, wenn sie es nicht tut. Ich weiß, das war nicht höflich, aber es steigerte sich ins Unerträgliche. Sie ging beleidigt aus dem Zimmer und piepste nicht, denn die Ärztin kam erst um 3:00 Früh und setzte mir einen Tropf, was auch immer das war. Über diesen Trampel beschwerte ich mich heute in der Direktion. Nicht die Ärztin, die wusste von nichts. Ich schrieb bereits, mit Krankenschwestern darf sich niemand anlegen. 

In der Früh entfernten sie mir den OP-Tuch-Dreck in meinem Körper, ich durfte um 10 Uhr ein verspätetes Frühstück einnehmen und aß mit Genuß ein alt schmeckendes Brot, mit gruseliger Wurst, die sich bereits an den Seiten einrollte und Tomatenstücke, die das ganze halbwegs retteten. Dann war ich meinen klaren Gedanken ausgesetzt. Ich blätterte in der Vogue, meine Schwester besuchte mich, was mich freute, denn ich war in St.Pölten, was doch ein Weg war, wir plauderten, sie brachte mir viel Schokolade mit, was entzückend war. Mittagessen bekam ich durch das späte Frühstück erst um 14 Uhr, es war ein aufgewärmter Kartoffelauflauf mit Sauce, ekelhaft, sowas bringe ich nicht runter. Ich durfte die Station verlassen und wandelte in der Halle mit Tropf herum, sah die Menschen an, dachte, dass ich das mag, Menschen ansehen wie eine Kamera, einfach nur ansehen. Alle starrten in Handys, selbst Besucher, die neben alten PatientInnen gingen, sie hörten nicht zu. 

Durch das Handy haben die Leute den Zugang zum Gegenüber verloren, das dachte ich. In der Blumenhandlung kaufte ich Blumen für die Tagesschwestern, die waren lieb. Eine setzte sich sogar kurz zu mir und erzählte mir von ihrem Sohn, während sie mich wusch, was mir sehr unangenehm war, sie winkte ab, das sei ihr Job. 

Ich drehte den Fernseher nicht auf, bekam immer weniger Lust auf Geschehnisse, aber ich wollte über den Sohn mehr wissen, der studierte Elektrotechnik und sie war stolz. Eine andere Schwester plauderte über den Verkehr, die dritte fragte ständig, ob alles in Ordnung sei. Ich freute mich über den Kontakt. Am späten Nachmittag kam ich zur Untersuchung, während die Ärztin untersuchte, standen acht StudentInnen und starrten mein Geschlecht an. Die Scham konnte kein Thema mehr sein, auch nicht die bewusst hochgestochenen Fachausdrücke, die extra für die StudentInnen betont wurden. 

Um 18 Uhr kam die furchtbare Krankenschwester und hielt mir das Fieberthermometer ins Ohr, ging wieder grußlos hinaus, die Abneigung war beidseitig, ich dachte "Blöder Trampel!"

Dachte an die Chocolate Hills, wie schön es auf den Philippinen war, ein Paradies, und wie freundlich die Menschen waren. "Anscheinend macht Österreich mürbe, zerbrösle nicht, Du Drachen!", sagte ich laut.

Heute wurde ich am Vormittag entlassen, alles in Ordnung, meinte die Ärztin, der Direktor der Klinik kam zu mir und entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten. Ich weiß, was jetzt passieren wird, ich hatte das auch einmal, jeder muss bei einer Beschwerde einen Bericht schreiben. Ja, auch ich musste, denn ich sagte zu einer Vorsorgeuntersuchungspatientin einmal: "Nun, dann gebe ich Sie ein" und lächelte, da beschwerte sie sich, ich hätte sie ausgelacht. Puh, das war heftig. 

Papa brachte mir mein Telefon später, ich sah sofort, dass sämtliche neue Nachrichten auf gelesen standen. 

Vielleicht wirkte alles noch so nach, ich schwieg. Aber, die Sache mit ihm, das werde ich ihm niemals verzeihen. Wäre er jemals ein Vater gewesen, hätte ich es noch verstanden, so nicht. 



Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Aron Manfeld.

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